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„Keine Universitäten zertrümmern“

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„FURCHE"-Interview mit ÖH-Vorsitzendem Ernst Streeruwitz (Universität Wien) über die zukünftige Taktik der österreichischen Studenten

FURCHE: Österreichs Studenten haben in den letzten Jahren, die vor allem in der deutschen Bundesrepublik, in Frankreich und in Italien einer Periode des gärenden und oft auch überschäumenden akademischen Nachwuchses gleichkam, den innenpolitischen Frieden erfreulicherweise nie in Gefahr gebracht. Warum?

STREERUWITZ: Ohne unbescheiden wirken zu wollen, sehe ich dies zum guten Teil als ein Verdienst der österreichischen Hochschülerschaft an, die mit ihren Reformvorschlägen zur Strukturverbesserung in Richtung einer demokratischen Leistungsuniversität mit studentischer Mitbestimmung bereits einige Erfolge verbuchen konnte. So bekommen wir etwa die Drittelparität quasi auf dem Silbertablett serviert, während in Deutschland dafür halbe Universitäten zertrümmert wurden. Weiters glaube ich, daß die ungünstige Rechtsbasis der Hochschülerschaft sowie die Hochschulstruktur im Zusammenhang mit der Einführung des Numerus clausus viel zur Radikalisierung der Studentenschaft in der Bundesrepublik beigetragen hat.

FURCHE: Liegt es vielleicht auch daran, daß in Österreich das ideologische und politische Engagement der Hochschüler traditionell geringer als in den genannten Staaten ist? Könnte das in Zukunft anders werden?

STREERUWITZ: Dieser leider weitverbreiteten Auffassung möchte ich widersprechen. Die sogenannte „schweigende Mehrheit“ ist überall ziemlich gleich groß, und wir habendi»-Österreich immerhin nach Finnland, wo das studentische Mitbestimmungsrecht eine hohe Entwicklungsstufe erreicht hat, die zweithöchste Wahlbeteiligung unter den demokrati schen Staaten Europas! Weitere Gründe für die ruhige Situation bei uns sind wohl auch das Fehlen eines so gewaltigen Prüfungsdruckes, wie er beispielsweise in Frankreich herrscht, und nicht zuletzt der Mangel an außenpolitischen Verwicklungen. So trugen in Frankreich die via NATO indirekte Involvierung in den Vietnamkonflikt, in der Bundesrepublik die Divergenz bezüglich der Ostpolitik sicherlich maßgeblich dazu bei, daß sich radikale Minoritäten in ebensolche Majoritäten bei ungefähr gleichbleibender politischer Abstinenzrate verwandeln konnten.

FURCHE: Einer ÖSU-Umfrage zufolge ergab sich, daß rund 40 Prozent der interviewten Studenten mit ihrer materiellen Lage unzufrieden sind. Halten Sie eine baldige Besserung dieser Situation für möglich? Werden Sie nach diesen Studentenwahlen darum kämpfen?

STREERUWITZ: Die Studenten können viel erreichen, wenn sie nur wollen. Durch Initiative der

Hochschülerschaft ist es gelungen, eine Erhöhung des stark unterdotierten Bildungsbudgets um rund 80 Millionen Schilling durchzusetzen, wobei seitens Frau Minister Dr. Fimberg zugegeben wurde, daß diese Aufstockung ohne studentische Protestaktionen nicht zustande gekommen wäre. Auch auf die Erreichung des kostenlosen Studiums ab 1. Oktober 1971 sind wir stolz. Natürlich existieren noch viele Punkte im Sozialplan der ÖSU, deren Verwirklichung ein langfristiges Konzept, beträchtliche budgetäre Mittel und vor allem ein möglichst geschlossenes Eintreten der Studentenschaft für ihre berechtigten Forderungen voraussetzen. Ich denke hiebei zum Beispiel an eine Dynamisierung der Stipendien, an die Beseitigung der Diskriminierung studierender Ehepaare sowie an eine Kreditvergabe für Studenten, wie sie etwa in Schweden schon lange erreicht wurde.

Mit Ernst Streeruwitz sprach Winfried Eder.

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