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Kinder, ist das hochgestochen!

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„Was unterscheidet Juden von Türken? - Die Juden haben es schon hinter sich.“ Und: „Wie passen 20.000 Türken in einen VW-Bus? - Vorne zwei, hinten zwei, die anderen in den Aschenbecher.“

Diese „Witze“, wie sie im Schulbuch „Lebendige Sprache“ für die dritten Klassen der Hauptschule und Allgemein bildende Höhere Schulen (AHS) abgedruckt sind, sorgten für einen Aufschrei der Empörung. Die Folge: Die inkriminierten Stellen werden gestrichen.

Das ist ein Paradebeispiel dafür, wie wichtig Schulbuchkontrolle und gegebenenfalls öffentliche Kritik an Schulbuchmängeln sind. Der Katholische Familienverband hat deswegen bereits zum achten Mal gemeinsam mit Eltern- und Schülerorganisationen eine „Blütenlese“ zusammengestellt, wobei 227 Lehrbücher, die in der Schulbuchaktion für kommendes Jahr zur Auswahl stehen, analysiert wurden.

Zeigten sich bei einem Buch Mängel, so wurde der zuständige Verlag mit der Bitte um Stellungnahme informiert. Dabei gab es heuer mehr als 100 Änderungszusagen.

Von den begutachteten Werken sind mehr als zehn Prozent aus inhaltlichen beziehungsweise pädagogischen Gründen als nicht empfehlenswert zu bezeichnen, mehr als 50 Prozent sind teilweise zu kritisieren. Rund ein Drittel der Bücher kann als „unbedenklich“ empfohlen werden.

Thema Partnerschaft

Der Großteil der Schulbuchkritik bezieht sich auf das Fehlen eines „pädagogischen Realismus“. Dies wird besonders deutlich, wenn tendenziöse Einseitigkeiten den Zugang zur Wirklichkeit verstellen.

So enthält der vom Unterrichtsministerium herausgegebene Medienkoffer ,.Frau und Mann — Partnerschaft“ eine kräftige Portion ehe- und familienfeindlicher Unterstellungen.

Familie wird darin wörtlich als „antiemanzipato-risch und antidemokratisch“ bezeichnet. Als ob es kein Neues Familienrecht und keine partnerschaftliche Familie gäbe! Nicht weniger kühn ist die Behauptung, daß die Mutterliebe „erst (bei) entsprechenden ökonomischen und sozialen Voraussetzungen zu realisieren“ ist.

Diese Feststellungen verwundern nicht mehr, wenn man den methodischen Ansatz eines ausschließlichen „Bedingungszusammenhangs zwischen Ökonomie, Sozialstruktur und Familienstruktur“ beachtet. Demgemäß hat die Familie keinen eigenen Stellenwert, sondern ist bloß jeweiliges sozioökonomisches Produkt!

Ein Gipfelpunkt der Inkompetenz und Leibfeindlichkeit ist schließlich, wenn bei der Interpretation der Schöpfungsgeschichte mit Genehmigung des Unterrichtsministeriums steht: „Der Sündenfall, das ist der Geschlechtsakt“.

Die pädagogische Aufarbeitung fehlt, wenn Schulbuchautoren im Sinne eines platten Realismus angeben, die gesellschaftliche Realität bloß abbilden zu wollen und Schüler mit Problemtexten allein lassen.

Dazu gesellt sich oft eine einseitige Auswahl der Themen und Perspektiven, die umso schwerer wiegt, als man darüber keine Rechenschaft gibt. Dieser Vorwurf ist etlichen Lebenskunde-Büchern des Polytechnischen Lehrgangs zu machen, die fünfzehnjährigen Schulabgängern im wesentlichen nur Probleme und Negativbeispiele aus dem Familienbereich, aber weder Lösungen noch gelungene Beziehungen mit auf den Weg geben.

Freilich gibt es auch das andere Extrem der Vorgau-kelung einer illusionären „heilen Welt“. Etwa wenn Zwölfjährigen die Arbeitsaufgabe gestellt wird, zu begründen, warum „Mohammed in einem Staat wie dem heutigen Österreich... das Almosengeben sicher nicht zur Pflicht gemacht“ hätte („Geschichte miterlebt“). Als ob es in unserem Land keine Armut gäbe und die soziale Absicherung perfekt wäre!

Die Forderung nach einer schüler- und kindgerechten Realitätsaufarbeitung kann das Schulbuch nur erfüllen, wenn es einen altersgemäßen Schwierigkeitsgrad hat. Erstmals wurde im

Rahmen der „Blütenlese“ die wissenschaftliche Untersuchung der „Schwierigkeitsstufen von Texten in deutscher Sprache“ (Bam-berger-Vanecek) für das aktuelle Schulbuchangebot ausgewertet.

Von den 13 dabei analysierten Lehrbüchern haben sich alle für die jeweilige Schulstufe als zu hoch erwiesen! Spitzenreiter der Uberforderer ist das Geographiebuch „Geographie und Wirtschaftskunde“ für die dritten Klassen der Hauptschule und AHS, das den Schwierigkeitsgrad einer sechsten Klasse AHS aufweist.

Die Leseforschung hat erhoben, daß der Wortschatz von Zehn- bis Vierzehnjährigen jährlich um 1.000 bis 3.000 Wörter wächst - je nachdem, wieviel sie lesen.

„Alle Lehrbücher einer Hauptschulklasse bringen jedoch insgesamt etwa 4.000 bis 6.000 neue Namen, Dinge \ und Begriffe, besonders Fachausdrücke an die Kinder heran“, stellen die beiden Autoren Bamberger-Vanecek in ihrer neuen, noch unveröffentlichten Schulbuchstudie fest.

Provoziert wird diese Uberforderung, die zu Lernmüdigkeit führt, durch die Einheitslehrpläne für AHS und HS, die nicht einmal den für alle Schüler verbindlichen Grundstoff festlegen. Ein Physikbuchautor gibt das in seiner Stellungnahme gegenüber der „Blütenlese“ auch direkt zu...

Ein weiterer Schwerpunkt der diesjährigen „Blütenlese“ bezieht sich auf die Behandlung des Judentums in den Religionsbüchern der Pflichtschule. Dabei hat sich gezeigt, daß die neue Generation von Religionsbüchern die ältere, mitunter tendenziöse Darstellung der Glaubensbuchreihe, in der zum Beispiel Jesu Jude-Sein nicht erwähnt wird, überwindet:

„Das Alte Testament haben wir Christen von unseren jüdischen Glaubensbrüdern übernommen. Für Jesus, seine Mutter Maria und seine Freunde waren diese Schriften ihr Heiliges Buch.“

Die Schüler erfahren weiters: „Jesus war Jude... Nicht alle Juden waren gegen Jesus. Er hatte auch viele Anhänger in seinem Volk, vor allem einfache Leute, auch Pharisäer“ („Miteinander glauben lernen“, 1. Klasse Hauptschule). Wohltuende und verantwortbare Texte, die Verständnis wecken und so -ganz im Gegensatz zu den eingangs zitierten rassistischen „Witzen“ - Vorurteilen entgegenwirken!

Bestellungen der BLUTENLESE: Katholischer Familienverband der Erzdiözese Wien, 1010 Wien. Stephansplatz 6/V/17, Tel.: 51 552/330, Stückpreis: öS 12,-.

Der Autor ist Generalsekretär des Katholischen Familienverbandes Wien.

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