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Leben für die Musik

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Nach zwei vorausgegangenen Bänden ist nun ein weiterer im Verlag der Mozart-Gemeinde (Elisabeth La-fite) erschienen, der die zahlreichen, im Laufe von Jahrzehnten verfaßten Reden und Schriften Hans Sittners enthält und damit das Wirken dieser ungemein vielseitigen Persönlichkeit widerspiegelt. Das Buch ist mit einem „Rückschau und Ausblick“ betitelten Artikel des Autors eingeleitet, der seinen Weg als schwer und nicht immer schön, aber von drei Aufgaben erfüllt, bezeichnet: von Lernen, Arbeiten und Helfen. Diese Einleitung kann einen leicht schmerzlichen Unterton nicht verbergen, hervorgerufen — wenn, auch nicht direkt ausgesprochen — durch die nicht zustandegekommene Wahl Dr. Sittners zum Ersten Rektor der Musikhochschule Wien. Der Passus weist darauf hin: „Es war schön, gebraucht zu werden! Nun ist auch das vorbei, weil es einige so wollten.“ Was aber als die wesentlichsten Verdienste Sittners anzusehen sind, davon berichtet die Rede des Prorektors Eberhart Würzl bei der Inaugurationsfeier am 20. Oktober 1971.

Das Sittner-Buch kommt in erster Linie für solche Leser in Betracht, die sich für das österreichische Musikleben interessieren. Dabei ist zu bemerken, daß von den verschiedenen Artikeln manche wohl nur für den Fachmann bestimmt sind, manche andere wieder ohne weiteres auch den musikalischen Laien ansprechen. In allen Kapiteln aber offenbart sich die große Belesenheit und Gedächtniskraft Sittners in den zahlreichen Zitaten aus Schriften und Äußerungen großer Musiker, Dichter, Wissenschaftler, Historiker und Politiker. Seine umfassende Kenntnis der Musikl&teratur tritt in vielen als Beispiel dienenden Stellen vor allem aus symphonischen und Kammerrnusikwerken zutage. Auf manchen Seiten seines Buches hat Sittner so zahlreiche Daten und Erinnerungen zusammengetragen, daß man sich in ein kleines Musiklexikon versetzt fühlt. Die einzelnen Kapitel sind mit „Musikleben“, „Musikhochschule“, „Musikpädagogik“, „Musikhistorisches“, „Mein Instrument“ und .Erinnerungen“ überschrieben. In diese ist, für den Fachmusiker in Betracht kommend, unter anderen eine interessante Studie über die traditionellen Wurzeln der österreichischen zeitgenössischen Musik aufgenommen, die Sittner in einen Vortrag anläßlich der Kremser Musiktage 1964 eingekleidet hatte. Sehr aufschlußreich ist der Artikel „Liedverfall am Beispiel Wiens“, in welchem das nach dem Zweiten Weltkrieg sich entwickelnde, immer mehr verfremdete Wienerlied im Gegensatz zu den aus dem Kunstlied entstandenen, im Geist des Volkes verankerten, bodenständigen Gesängen gestellt wird, wie es zur Zeit eines Wenzel Müller und dessen von Beethoven zum Variationsthema genommenen Liedes vom „Schneider Kakadu“ der Fall war.

Das Kapitel „Mein Instrument“ handelt von der Soziologie, Technik und Ästhetik des Klavierspiels; hier gibt der Autor als vortrefflicher, in seiner Jugend oft in Konzerten bewährter Pianist den Klavierstudenten praktisch erprobte Hilfsmittel an. Intensiv beschäftigt sich Sittner in dem Abschnitt „Musikpädagogik“ mit den „Wegen zur neuen Musik“. Er stellt ihm folgenden Ausspruch Hindemiths voran: „Sollten die unentwegt Modernen nicht manchmal zur Kenntnis nehmen, daß nichts langweiliger und öder ist als die antiquierteste aller Süchte, nämlich die, modern zu sein? Bei aller Wertschätzung, die man billig den technischen Neuerungen entgegenbringen kann, ist es doch angezeigt, in der Bezeichnung Neue Kunst die Betonung des Wortes neu zu vermeiden und dafür Kunst um so mehr hervorzuheben. „Und da nicht alles Neue Anspruch hat, ernstgenommen zu werden, so verhält sich nach Sittners Ansicht „Modern“ zu „Monder-nistisch“ wie Kunst zu Kitsch.

Für den als Laien zu bewertenden Musikfreund sind die Kapitel „Beziehung zwischen Landschaft und Musikleben“, „Vom Idyll zum Image“, „Im Schatten des Ararat“, „Weltreise“ und „Ein Subventionsakt des alten Wiener Konservatoriums“ bestimmt. Sittners nicht ganz leicht zu lesendes Buch — der Autor liebt überlange Perioden mit häufigen Einschüben — ist das Buch eines Mannes, der die sieben Dezennien seines Lebens mit unablässiger, werteschaffender und vor allem ihn mit der Jugend verbindender Arbeit ausgefüllt und sich dadurch selbst jung erhalten hat. Sittner gehört zu jener seltenen Kategorie von Menschen, die sich nicht — mehr oder weniger widerstandslos — vom Leben treiben lassen, sondern ihm eine gezielte Stoßrichtung geben und diese konsequent, bis auf eine Bremsung durch Vis major, durchzuhalten versuchen.

AUS SCHRIFTEN UND REDEN. Band 3. Von Hans Sittner. Verlag Mozart-Gemeinde (Elisabeth La-fite) Wien, 1973. 144 Seiten.

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