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Lehren einer Tournee

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Kommenden Sonntag steht die Entweihung eines Musentempels auf dem Programm. Noch dazu auf dem Opemprogramm. Nicht nur, daß wieder einmal eine leichte, unterhaltende „opera buffa”, freilich ein besonders reizvolles Exemplar dieser sonst in die Volksoper verbannten Gattung, im ehrwürdigen Haus am Ring gespielt wird. Das wäre noch zum Aushalten, man muß als gestandener Kultursnob ja nicht hingehen. Das Schreckliche an der Sache ist, daß der „Don Pasqua- le”…

Nein, wir wagen es nicht auszusprechen. Wir müssen aber doch. Also bringen wir es mutig hinter uns. Es muß nun einmal gesagt werden. Der „Don Pasquale”, eine italienische Oper, wird - deutsch gesungen!

Das ist das Ergebnis der - allenthalben ausverkauften - Staatsopemtour- nee durch die Bundesländer. Man konnte in Enns und in Weiz, in Feldkirch, Judenburg und Hollabrunn, nicht italienisch singen. Weil es gerade in einem solchen Werk so auf den Dialogwitz, die Pointen ankommt. Anderseits sollen aber auch die Wiener sehen können, was die Leut’ draußen „in der Provinz” zu sehen bekommen haben. Und es wäre auch wirtschaftlich unvertretbar, eine ganze aufwendige Produktion nach der Heimkehr einfach in der Versenkung verschwinden zu lassen. Damit ist es passiert. Das Kultursakrileg. Das Präjudiz. Denn wer würde seine Hand dafür ins Feuer legen, daß eine komische Oper, die allen hehren Prinzipien des Opembe- triebes zum Trotz nicht in der Originalsprache gesungen wird, dem anspruchsvollen Wiener Opempubli- kum - nicht gefällt?

Doch Scherz beiseite. Die Rundreise mit dem „Don Pasquale” war nicht nur ein rauschender Erfolg, es hätten nicht nur mit der linken Hand doppelt so- viele Vorstellungen verkauft werden ‘können. Auch die Rückwirkungen auf das Haus am Ring haben ihre positiven Seiten. Sicher geht auch einer komischen Oper viel von ihrem musikalischen Reiz verloren, wenn sie deutsch gesungen wird, obwohl sie auf einen italienischen Text komponiert wurde. Anderseits ist gerade in diesem Genre der Wunsch gewisser Publikumsschichten nach Textverständlichkeit legitim. Niemand kann lagen, wie breit diese Schichten iji Wien sind. In den Bundesländern haben sich die Menschen getraut, ihre Meinung offen zu sagen. Wer in Wien regelmäßig in die Oper geht, weiß, daß diesbezügliche Wünsche in den Augen der „Kenner” disqualifizieren. Der Besuch der Wiener „Don-Pasquale”-Vorstellun- gen wird zeigen, ob man eine Donizet- ti-Oper in Wien deutsch singen kann. Ob man damit vielleicht sogar dem Wunsch eines Publikum-Segmentes entgegenkommt.

Niemand wird fordern, auch eine „opera seria” anders als in der Originalsprache zu singen. Es ist nicht nur aus künstlerischen Gründen unmöglich, sondern auch, weil es der internationale Stagione-Betrieb nicht zuläßt. Die Festlegung auf die Originalsprache hat, nebstbei, jenen Normierungseffekt, der den internationalen Sängeraustausch ermöglicht. Aber gerade darum hat ein komisches Werkchen, oder auch ein zweites, im Repertoire einen weiteren positiven Effekt: Es ist eine Insel des Ensemblebetriebes. Den „Don Pasquale” kann man nur geben, wenn für jede Rolle zumindest eine der beiden vorgesehenen Alternativbesetzungen zur Verfügung steht. Das stellt, anderseits, eine besondere Bindung der mitwirkenden Sänger an diese Inszenierung her.

Die Motorisierung in Verbindung mit einer steigenden Zahl kultureller Veranstaltungen auch abseits der Landeshauptstätte, Gastspielen der Landestheater, kleinen und großen Ausstellungen, und nicht zuletzt das Femsehen, haben fast jedem den Zu- gang „zur Kultur” ermöglicht, und die Zahl der Menschen, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, ist nicht nur sehr groß, sondem auch in stetigem Steigen begriffen. Die Staatsopern-Toumee wurde trotzdem als etwas Besonderes empfunden. Die Menschen haben nicht nur das Be- wußtsein, in einer echten Staat’s- opemvorstellung zu sitzen, genossen, sondem sehr wohl die Vorstellung, das Gebotene selbst. Mehr der „Hoch- kultur” hätte es nicht mehr sein dür- fen. Eine ernste Oper, oder gar ein ita- lienisch gesungenes W erk, wären wahr- scheinlich ebenfalls ausverkauft ge- wesen, aber kaum so fröhlich genossen worden. Dank zahlreicher Pau- sengespräche mit den Besuchem der Aufführungen weiß ich, wovon ich rede.

In diesen Gesprächen wurde aber auch ein erschüttemdes Kulturdefizit sichtbar. Nämlich ein Desinteresse am Sprechtheater, das ich in dem Aus- maß, in dem ich es vorfand, nicht fiir möglich gehalten hätte. Dag egen etwas zu tun, ist nicht Aufgabe der Staats- oper, darf aber auch künftigen Burg- theatergastspielen nicht allein iiber- lassen werden.

Die Staatsoper, das hat sich eindeu- tig gezeigt, hat es da leichter. Aber sie darf es sich keinesfalls zu leicht machen. Die Absicht, auch nächstes Jahr mit dem „Don Pasquale” zu reisen, ist wirtschaftlich verständlich. Es muß aber dahingestellt bleiben, ob damit nicht der Wert des Gebotenen in den Augen von Menschen, die, auf je weni- ger vertrautem Fuß sie mit „der Kultur” stehen, umso starker an einem fragwürdigen, aber nur langsam aus- rottbaren Neuigkeitsdenken orien- tiert sind, herabgęsetzt wird. Und ob es nicht doch dafürstünde, 1978 eine andere komische Oper in Sprache einzustudieren - und die Ko- sten fiir d’en „Don Pasquale” am King zu amortisieren.

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