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Liberale Tarnkappen sind sehr gefragt

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Liberal ist:

• Wenn ein gebürtiger Kärntner (Harald Irnberger), der seine deutschsprachigen Landsleute zu „Unpersonen” erklärt, ein früherer Funktionär der „Revolutionären Marxisten” (Georg Hoffmann-Ostenhof) und eiri Mann aus dem SPÖ-nahen Meinungsforschungsinstitut IFES (Mag. Dr. Kurt Traar) gemeinsam eine Zeitungsredaktion („Extrablatt”) gründen.

• Wenn diese Zeitung einen ehrgeizigen, aber auf publizistischem Gebiet unerfahrenen Geldgeber (Karl Heinz Pfneudl) findet, sich die Freiheit nimmt, über die „Millionen der Kirche” sowie über den „Landesverrat” betreibenden Nachrichtendienst des Bundesheeres. zu berichten, und wenn ein offenbar die eigene Kindheit schwer bewältigender Bilderzeichner (Manfred Deix) endlich einmal einen völlig liberal-entkrampften Josef Taus seinen Lesern präsentiert: Mit heruntergelassener Hose bei einem ORF-Interview am Klo.

• Liberal ist schließlich auch, was Herausgeber und Moulin-Rouge-Con- fėrencier Pfneudl in seinem „Editorial” als Extrablatt-Linie definiert: „Im Meinungsspektrum der Redakteure soll Extrablatt liberal das Gewissen der fortschrittlichen Menschen in diesem Land vertreten.”

Wie das erreicht werden kann? Extrablatt will kritisch „Ereignisse und Nichtereignisse melden und kommentieren”.

Möglicherweise ist das liberale Extrablatt das bisher größte Nichtereignis auf Karl Heinz Pfneudls Leidensweg.

Extrablatt-Mitverleger Hoffmann- Ostenhof konstatiert in Österreichs Blätterwald ein „unwahrscheinliches Bedürfnis” nach einem Zeitungstyp wie Extrablatt. Das unwahrscheinliche Bedürfnis dürfte aber sehr wahrscheinlich, genauso wie bei den artverwandten Postillen „TOP” und „Weste”, aus einer linken Ecke kommen. Die drei Genannten haben ein paar recht auffallende Gemeinsamkeiten:

Extrablatt, TOP und Weste kämpfen mit geschlossenem Visier, stellen sich entweder ausdrücklich oder indirekt als liberal dar und versuchen aus antiklerikalen Mentalreservationen - zumindest TOP und Extrablatt - Kapital zu schlagen.

Extrablatt, das laut IFES „hochgerechnet mehr als 600.000” Österreicher kaufen wollen, existiert erst in Form einer Null-Nummer, die in der SPÖ-eigenen Grazer Druckerei Ley- kam das Licht der Welt erblickte. Übrigens eine der skurrilsten Null- Nummern, die je erschienen ist. Denn: Nur wer sehr viel Geld hat, bringt eine Null-Nummer mit 100 Seiten, teüweise in Vierfarbendruck auf hochwertigem Papier auf den Markt. Nach einander widersprechenden Aussagen zweier Redaktionsmitglieder kostet die Produktion einer Extrablattnummer unter 500.000 bzw. etwa eine Million Schilling.

Mit dem Verkaufserlös (25 Schilling das Heft) und den Inserateneinnah- men (knapp über 13.000 Schilling je Seite) allein, wird wohl kein Auslangen gefunden werden können. So ist es kein Wunder, daß man in der Redaktion gar nicht bestreitet, daß gewisse Gespräche mit SP-Spitzenfunktionä- ren stattgefunden haben. Angeblich gibt es auch eine Zusage aus dem SPÖ-Zentralsekretariat, sich dafür zu verwenden, daß die der Partei nahestehenden Bankleute ein volles Jahr von Extrablatt kein Geld wollen.

Georg Hoffmann-Ostenhof („Wir sind sehr provinziell in Österreich, der Journalismus gehört im Stil überwunden … “) versichert zwar, „keinen Groschen von der SPÖ” zu bekommen, Gespräche mit Blecha und Busek hätten aber stattgefunden: „Uber Inserate und alles Mögliche…” Im Hause Busek ist man sich inzwischen klar darüber, daß Karl Heinz Pfneudl mit seinem Blättchen bei Erhard Busek an die falsche Adresse geraten war.

Pfneudl scheint im übrigen ein Opfer seiner rechterfolgreichen Geschäftigkeit zu sein. Sein Unbehagen über die Linie der Zeitung soll nicht mehr ganz zu verbergen sein. Es mag ein Mangel sein, daß ausgerechnet die Meinung des Herausgebers nicht eingeholt werden konnte, doch gehört Karl Heinz Pfneudl zu jenen Menschen, die zwar mehrere Telephone besitzen, selbst aber nie zu sprechen sind. Stattdessen bekommen interessierte Anrufer unter der Nummer (Wien) 72 52 07 eine Tonbandstimme zu hören: „Mister Pfneudls office - automatic answering service - please leave your message now!” Nach der Darstellung Georg Hoffmann-Osten- hofs ist der ehemalige Jung-ÖVPler und derzeitige Linksaußen Harald Imberger eher zufällig auf Brötchengeber Pfneudl gestoßen. Irnberger, selbst auch nicht zimperlich, soll nach Lösung seines Dienstverhältnisses mit der „Kurier”-Redaktion den Großteil seiner Abfertigung in das Unternehmen gesteckt haben.

Was unter „liberal” eigentlich zu verstehen sei, konnte Extrablatt- Schreiber Hoffmann-Ostenhof nicht so recht artikulieren, dafür stellt er die Gegenfrage: „Was ist für Sie liberal …?” Dann meint er doch, in der Politik seien die liberalen Traditionen schon lange verschwunden, erst das Ende der großen Koalition und die nunmehrige Regierung Kreisky hätten die neue „liberale Öffnung” in Österreich angekündigt.

Bei TOP ist die Lage einfacher: Für die „Arbeitsgemeinschaft für staatsbürgerliche Erziehung” zeichnet der renommierte, eben seinen Achtziger feiernde Journalist Professor Vin- cenz Ludwig Ostry als Präsident verantwortlich, ohne allerdings, wie die „Presse” bereits recherchiert hat, davon etwas zu wissen. Dafür ist sein Stellvertreter der frühere Redakteur der „Sozialistischen Korrespondenz” Karl Mlacnik, Kassier der rote Exzentralsekretär Piperger. Vertreten läßt sich TOP der Einfachheit halber gleich durch SPÖ-Anwalt Amhof.

Was TOP mit seiner „staatsbürgerlichen Information” will, ist klar: Die Staatsbürger davon überzeugen, daß Taus „Abschied von den Liberalen” nimmt und einen „Kirchenkurs der Klerikalen” steuert, daß dank Androsch die Wirtschaftswelt eine heile Welt ist („Keine Panik bei der Zahlungsbilanz”), daß, auf einen kurzen Nenner gebracht, über Österreich die Sonne scheint, denn: „Der Kreisky wird’s schon richten.”

Bei genauerer Betrachtung entledigt sich TOP bei jedem einzelnen Artikel freiwillig seines unabhängig-libe- ralen Mäntelchens. Beispielsweise in der Auseinandersetzung Kreisky- Wiesenthal, für die TOP folgende Worte fand: „Wiesenthal ist ÖVP-Mit- jglied, sogar Funktionär dieser Partei, und dient ihr als solcher mit seinen Nazi-Jagden … Die Frontstellung hieß also nicht: Jude gegen Jude, sondern Sozialist gegen ÖVP-Funktio- när.”

l)er große Vorteil des „unabhängigen” Blättchens liegt aber auch darin, daß TOP innerparteiliche heiße Eisen eher aufgreifen und im Sinne der tonangebenden Herren interpretieren kann. Etwa damals, als VÖEST-Gene- ral Koller gegen das von ÖIAG-Chef Franz Geist erhoffte Weisungsrecht ankämpfte und die SP-Tamschrift zu berichten wußte, Koller wolle ohnehin vorzeitig in Pension gehen.

Etwas anders liegt die Sache wieder bei der Geisterzeitung „Weste”. Das unter Ausschluß der Öffentlichkeit erscheinende „österreichische Nachrichtenmagazin mit objektiver Berichterstattung” will von 120.000 Personen gelesen werden… Auftrag der „Weste”: „Wir berichten, was andere nicht dürfen, können oder wollen.” So berichtet „Weste” in der Nummer 11/12-1976 über „Stadtrat Elfriede Karl”. Wahrlich: So etwas dürfen, können und wollen Österreichs konventionelle Presseprodukte nicht berichten: Frau Karl ist nämlich nicht Stadtrat, sondern Staatssekretär. Aber auch das ficht „Weste”-Heraus- geberin Ingrid Reder nicht an: „Wenn Sie einen Druckfehler finden, bedenken Sie bitte, daß er beabsichtigt ist. Unser Blatt bringt für jeden etwas, und es gibt immer Leute, die nach Fehlern suchen”, heißt es vielversprechend bereits auf Seite 2 derselben Nummer; früher waren solche Späße Faschingsblättern Vorbehalten…

Unabhängig, an keine Partei oder Interessengruppe gebunden, informiert die „Weste” ihre Zielgruppe, nämlich Österreichs Meinungsbildner und Entscheidungsträger. Zum Beispiel über die Repräsentationsspesen der Regierung. Unter dem Titel „Finanzminister Androsch und die faulen Eier der Zeitungen” wird etwa vermutet, die Veröffentlichungen über die Spesen der Minister seien von der ÖVP-Zentrale ferngesteuert worden. Abschließendes (von der SPÖ fast wörtlich übernommenes) Argument: „Im übrigen sollten die Zeitungen erst über das Geldausgeben urteilen, wenn sie selbst jene 85 Millionen Schilling zurückgegeben haben, die sie trotz zum Teil saftiger Gewinne völlig überflüssig aus dem Staatssäckel beziehen.”

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