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LUKIAN

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„Ein herrlicher Morgen“, sagte der mit einem freundlichen Lächeln von Ohr zu Ohr, gut gelaunt und gut rasiert seinen Platz am Konferenztisch einnehmende Präsident Carter, „draußen im Park zwitschern die Vögel, auch wir sollten uns nicht von kleinen Widrigkeiten den Tag verderben lassen. Lassen Sie uns also in Treue zu den moralischen Grundsätzen der USA an die Arbeit gehen. Welche Probleme gibt’s heute zu lösen?“

„Der sowjetische Schriftstellerverband hat Lew Kopelew ausgeschlossen“, sagte der Leiter der Osteuropa- Abteilung im State Department, „weil er ein Buch über den stalinistischen Terror geschrieben hat.“

„Ich werde die Angelegenheit in meiner nächsten Pressekonferenz erwähnen“, sagte der Präsident, „behalten Sie das weitere Schicksal dieses armen Mannes im Auge. Wenn er verhaftet werden sollte, bin ich sofort zu verständigen. Auch nachts, auch, wenn ich geweckt werden muß!“

„Ich habe ein sehr ähnliches Problem“, sagte der neben dem Leiter der Osteuropa-Abteilung sitzende Herr.

„Aber Sie leiten doch die Abteilung Mittlerer Osten!“ sagte erstaunt und etwas indigniert der Präsident.

„Eben“, sagte der Mann, „und heute nqcht wurden in Persien wieder einige Regimekritiker verhaftet, in den nächsten Tagen sollen sogar zwei Dissidenten hingerichtet werden!“

„Wie lange sind Sie denn auf Ihrem jetzigen Posten?“ sagte der Präsident.

„Zwei Jahre“, sagte der Mann, „und ich hätte die Angelegenheit gar nicht erwähnt, wenn nicht drei Abgesandte der persischen Regimekritiker zu Vance vorgedrungen wären und verlangen würden, daß Sie, wie in einem früheren Fall bei einem Russen, kurz auf ein Shakehands hineinschauen!“

„Wieso konnte er sich überhaupt unterstehen, diese Leute zu empfangen?“ sagte der Präsident, „der Schah wird äußerst ungehalten sein!“

„Vance kann nichts dafür“, sagte der Abteilungsleiter, „di’ese Leute hatten nämlich die Frechheit, sich als geflüchtete sowjetische Regimekritiker auszugeben, da hat er sie natürlich vorgelassen.“

„Abwimmeln“, sagte der Präsident, „Vance soll ihnen eine Andeutung machen, daß ihre Abschiebung nach Persien unvermeidlich werden könnte, wenn sie keine Ruhe geben, das wird sie schon veranlassen, Vernunft anzunehmen.“

„In meinem Bereich bahnt sich eine ähnliche Geschichte an“, sagte der Chef der Westeuropa-Abteilung im State Department.

„Waaas?“ kreischte Carter.

„Ich verstehe auch nicht, was in die Leute gefahren ist“, sagte der im Dienst ergraute hohe Beamte, „daß in der französischen .Fremdenlegion Desertion, Befehlsverweigerung und auch kleinere disziplinarische Vergehen mit äußerster Brutalität bestraft werden, ist ja nichts Neues, aber wer konnte ahnen, daß diese Leute es wagen würden, mit einer Erklärung an die Weltöffentlichkeit zu treten, Menschenwürde und Menschenrechte seien unteilbar, und wenn die USA den Mut hätten, der Sowjetunion bei der Behandlung ihrer aufsässigen Staatsbürger dreinzureden, müßten sie doch die Konsequenz haben, ihre Verbündeten auf Verletzungen der Menschenrechte in ihren Ländern hinzuweisen!“

„Disziplinarstrafen gibt es in jeder Armee“, sagte der Präsident.

„Ja“, sagte der Leiter der Westeuropa-Abteilung, „aber die Sträflinge der Fremdenlegion müssen den Kasernen- hof mit der Zunge auflecken, und das ist noch eine der milderen Foltern.“ „Sträflinge werden eben hart angefaßt“, sagte Carter, „MilitärSträflinge erst recht!“

„Es ist eine bodenlose Frechheit“, sagte der Westeuropa-Referent, „aber diese Leute behaupten, selbst Kriminelle hätten Menschenrechte!“

„Da!“ sagte der Pressereferent des Weißen Hauses, „in den New York Times steht ein Leitartikel ,Ein Prüfstein der amerikanischen Moral“! Er behandelt dasselbe Thema!“

„Ist denn heute der 1. April?“ sagte Carter.

„Der ist leider schon vorbei“, sagte einer der Herren.

„Ich bekenne reumütig“, sagte Carter, „ein frischgebackener Präsident macht Fehler. Ich habe ja auch in der Frage eventueller sowjetischer Übergriffe gegen Jugoslawien meine Meinung geändert. Wir müssen mit den Menschenrechten künftig etwas behutsamer umgehen. Konnte ich ahnen, welch heißes Eisen das ist?“

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