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Menotti ist der Star

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Zum 14. Male flattern die Fahnen des Festival dei due Mondi vor den Toren der mittelalterlichen umbrischen Stadt, um mit Oper, Theater, Ballett und Konzerten die Gäste aus aller Herren Ländern zu erfreuen. Gian Carlo Menottįs Festival stand dieses die "zweite Welt" unter keinem guten Stern. Das ungarische „Düna“-Volkstanzensemble ist nicht annähernd so gut, wie die staatliche Gruppe, Operettenkostüme, monotone, stereotype Choreographie zu Kodály und Brahms, mit keinem einzigen guten Solotänzer. Nur der Rahmen, in dem sie auftraten, ist prachtvoll: die 1967/68 von den „Freunden Spole- tos“ restaurierte Kirche San Nicolo, und eine andere, noch nirgends erlebte Neueinführung ist lobenswert: die ersten, für die Journalisten reservierten fünf Reihen haben Klapptische, wie in der Eisenbahn, zum Notizenschreiben.

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Zum 14. Male flattern die Fahnen des Festival dei due Mondi vor den Toren der mittelalterlichen umbrischen Stadt, um mit Oper, Theater, Ballett und Konzerten die Gäste aus aller Herren Ländern zu erfreuen. Gian Carlo Menottįs Festival stand dieses die "zweite Welt" unter keinem guten Stern. Das ungarische „Düna“-Volkstanzensemble ist nicht annähernd so gut, wie die staatliche Gruppe, Operettenkostüme, monotone, stereotype Choreographie zu Kodály und Brahms, mit keinem einzigen guten Solotänzer. Nur der Rahmen, in dem sie auftraten, ist prachtvoll: die 1967/68 von den „Freunden Spole- tos“ restaurierte Kirche San Nicolo, und eine andere, noch nirgends erlebte Neueinführung ist lobenswert: die ersten, für die Journalisten reservierten fünf Reihen haben Klapptische, wie in der Eisenbahn, zum Notizenschreiben.

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Es muß schon ein recht begabter Oststaaten-Theateragent gewesen sein, der auch das Prager Schwarze Theater mit gleich zwei verschiedenen Programmen hier an den Mann gebracht hat Dieselbe Gruppe, die wir vor einigen Jahren iri Wien, damals noch bei Gerhard Bronner, enthusiastisch bejubelten, ist eintönig und dabei merkwürdigerweise verworren geworden.

Nicht nur der Hauptdarsteller des „Boris Godunow“, von Menotti regielich betreut, trug die Krone, die ganze Aufführung, so wie sie ist, krönt dieses Festival. Erstmals wird nicht die auf spätromantischen Klang hin bearbeitete Fassung von Rimsky Korssakow benützt, sondern Mus- sorgskys eigene, erste, aus dem Jahre 1869, die, kleiner instrumentiert, schroffer wirkt, zumal sie in der Zeit der Herrschaft des Belkanto keinerlei Arien hat und inhaltlich ohne Liebesgeschichte (und fast ohne Frauenrollen) auskommt; tiefen Eindruck hinterließ die in der zweiten Fassung stark gekürzte Szene mit dem Narren, von David Ogg erschütternd gestaltet. Menottis Humanität und unerschütterliche Menschenliebe gipfelte in diesem Bild. Auch der Zuschauerraum war prominent besetzt: Ezra Pound, der stumme, wie ein versponnenes Heinzelmännchen wirkende Eremit, auf dessen Gesicht, was immer sich auch auf der Bühne abspielt, sich nichts wiederspiegelt, seine liebe, freundliche Frau (die einzige stilvolle und vornehm gekleidete alte Amerikanerin in dieser Stadt) redet ununterbrochen, mit Engelsgesicht auf ihn ein. In der anderen Loge Lucchino Visconti, düster, humorlos, abweisend wirkend. Von schönen und min der schönen jungen Herren umgeben, die, wie gehorsame Chamäleons, seine Stimmungsregie befolgen.

Menotti lebt hier wie ein moderner, intellektueller Fürst, sein eigenes, schönes Haus auf der Piazza del Duomo beherbergt im Parterre das mondäne Restaurant „Tric-trac“, den ersten Stock bewohnt das Ehepaar Ezra Pound, den zweiten Samuel Barber, auf der Dachterrasse hat er sich für seine Parties und täglichen Mittagscocktails, bei denen die Mitwirkenden und einige auserwählte Freunde von den schönsten und liebenswürdigkeiten italienischen Damen betreut werden, den schönsten Ort, behalten.

Er selbst aber wohnt in einem großen Palazzo, wo in den Salons und offiziellen Empfangsräumen an die 400 Gäste bewirtet sein können. Ich hatte das besondere Vergnügen und die Ehre, zu einem Mittagessen zu siebent eingeladen zu sein, bei dem in vier Sprachen zugleich unter den Tischpartnern gesprochen wurde — Menotti beherrschte alle vier. Leicht plaudernd erzählte er uns, daß er fest entschlossen sei, sein amerikanisches Domizil in kurzer Zeit zu verlassen — er habe sein berühmtes New Yorker Haus, das Capricomo, schon feilgeboten und — im Begriff sei, sich womöglich in Irland niederzulassen. Er verträgt den Lärm, die Hautnähe der Menschenmassen nicht mehr, will Wind und Regen um die Ohren haben und vielerlei Getier züchten.

Es läutet das Telephon, und Visconti wird gemeldet: er erscheint mit einem Gefolge beim Kaffee, gibt sein kurzes und energisches „nein“ zu seiner „Tristan"- Inszenierung in der Wiener Staatsoper 1973 und verschwindet

Am nächsten Tag war Volksfest in Spoleto: mit einem Fackelzug holten Hunderte Menotti vor der letzten Boris-Aufführung ab, um ihm ein frohes Geleit bis zum Dompiatz zu geben., wo der amerikanische Chor,

der auch im Boris tätig war, ein kurzes Menotti-Werk und ein Happy Birthday sang, währenddem der sechzigjährige Gefeierte sein glücklich lachendes Gesicht mit beiden Händen verbarg.

Es war wie immer ein rauschendes Fest, bei dem die gesellschaftlichen Ereignisse den künstlerischen fast den Rang abliefen. Neue Pläne wurden geschmiedet, gute Kontakte hergestellt, und es ist sehr zu hoffen, daß beim 15. Festival im nächsten Jahr Österreichs Literatur durch zwei seiner größten Autoren — es gibt solche Pläne — dominierend vertreten sein möge.

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