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Viel Geld - viel Musik

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Das berühmte Musikfest von Spoleto, seit seinem nunmehr zehnjährigen Bestehen bekannt unter dem Namen „Festival zweier Welten“ — auch als eines, welches „anders als die anderen“ ist (some-thing different, man sagt hier alles in beiden Sprachen jener verschiedenen Welten!), hat nunmehr seinen ursprünglichen Charakter verändert. Es ist eine durchaus mondäne Angelegenheit geworden; das Nachtleben der kleinen umbrischen Provinzstadt ist intensiv, es wird immerzu irgendwo getanzt, ein Empfang jagt den anderen, das Betrachten der mehr oder weniger holden Weiblichkeit, welche durch die Straßen spaziert, erinnert an die Regeln für amerikanische Mädchen, die an der Accademia Cighiana dieses Jahr Musik studieren: verboten sind Miniröcke und Hosen, zu nackte Beine, auf der Straße Zigaretten anzünden und ohne Begleitung zu flanieren. Gelegentlich werden auch in Spoleto diese unwillkommenen Sitten und Gebräuche getadelt; doch überwiegt stark die Freude an der nie vorher erlebten fieberhaften Amüsierwut, welche die zahllosen Besucher dieses Sommers zu beherrschen scheint.

Daß in solcher: Stimmung unaufhörlich geredet und diskutiert wird, erscheint natürlich, eigene Meinungen und Ansichten müssen den Weg zum Ohr des nächsten Sachverständigen finden. Man diskutiert aber in der Tat nicht nur über die Länge von losen Haaren und Wadenstrümpfen, sondern auch über den eigentlichen Zweck des Ausfluges nach Spoleto: was es in diesen festlichen Wochen Wertvolles zu sehen und zu hören, was es künstlerisch zu genießen gibt. Ein schöner „Don Giovanni“ mit vorzüglichen Gesangskräften, leider durch eine zu fortschrittliche Regie etwas fremd anmutend, füllte das größte der drei verfügbaren Theater fünfmal bis zum Rande. Das Ausgraben einer recht unbekannten reizvollen Donizetti-Oper „II Furioso dell'Isola di San Domingo“ bescherte die sensationelle Entdeckung eines blutjungen, kaum seinen Konservatoriumstudien entwachsenen Dirigenten: Bruno Campanella, der durch einen für ihn recht glücklichen Zufall ans Pult kam. — Das neuerdings so berühmte Stuttgarter Opernballett bescherte zwei Programme, die trotz ihres recht verschiedenen Charakters mit großem Beifall aufgenommen wurden: im Gegensatz zu Tschaikowskys ziemlich veraltetem „Nußknacker“ weckten die choreographischen Ausdeutungen der Musik von Ravel, Strawinsky und Webern außerordentliches Interesse. — Eine seit jeher als Spezialität geltende Darbietung in Spoleto: tägliche, höchst ungezwungene Kammermusikkonzerte, zu ungewohnter Mittagsstunde, zwanglos und zweisprachig kommentiert vom temperamentvollen Amerikaner

Charles Wadsworth, füllten den intimen Saal alltäglich bis zum letzten, immer noch zugefügten Sitz. Den Abschluß des Festes markierte, wie alljährlich, eine große oratorische Orchesteraufführung auf dem herrlichen Domplatz, dirigiert von Thomas Schinner. einem seit Beginn neben dem eigentlichen Gründer und unermüdlichen Spiritus rector der Unternehmung, Gian-

corlo Menotti, als unvergleichliche Hilfe wirkenden Musiker. Diesen zu feiern, ihm zu danken, fand noch nach jener abschließenden Aufführung — dem vierten musikalischen Ereignis des gleichen Tages! — ein großer Empfang mit „schönen Worten ohne Zahl“ vor dem Wohnpalast des tatkräftigen Organisators statt.

Menotti kann seiner nächsten Spoleto-Sadson nimmehr mit bedeutend weniger Sorgen entgegensehen als zu Beginn dieses Jahres: Ein enthusiastischer Bürger seiner „zweiten Welt“, der Amerikaner Sam Rubin, überwies dem Festival die Gabe von einer Million Dollar. Nicht allein sind somit alle augenblicklichen Schwierigkeiten auf geraume Zeit hin überwunden, sondern das gute Beispiel hat bereits andere Musikenthusiasten in Amerika bewogen, ebenfalls mit namhaften Beiträgen zum Budget des Festivals freigiebig beizutragen. Also trennte man sich mit einem recht zuversichtlichen „Auf Wiedersehen nächstes Jahr!“.

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