6872754-1978_31_05.jpg
Digital In Arbeit

Mit der Kamera Jagd auf die Armut?

Werbung
Werbung
Werbung

Video als Stimulans für soziales Empfinden und Handeln. TV-Kameras als Mittel zur Bewußtmachung von Armut und zur Sensibilisierung aller Betroffenen.

Vergangene Woche ging ein internationaler Kongreß in Wien zu Ende, der sich mit dem Thema Videoeinsatz in der Sozialarbeit befaßte. Veranstalter war das Europäische Zentrum für Ausbildung und Forschung auf dem Gebiet der sozialen Wohlfahrt mit Sitz in Wien. Dieses Insitut wurde 1974 von den Vereinten Nationen und der österreichischen Bundesregierung gegründet.

Wiewohl das Kuratorium durch die sozialistische Alleinregierung von österreichischer Seite her politisch einseitig besetzt ist, schwärmt Dr. Franz Pawelka, leitender Mitarbeiter des Institutes, vom Ziel einer schwarz-roten Gemeinschaftsarbeit zur höheren Ehre sozialer Humanität. Dies könnte sich dann verwirklichen, wenn schwarze Gemeinden oder Bundesländer - motiviert durch ein Team filmender Sozialarbeiter - mit der roten Regierung „gemeinsame Sache” machen, um die versteckte, verschreckte Armut zu lindern. Zwar habe die österreichische Bundesregierung den Kampf gegen die traditionelle Armut gewonnen (dies konstatierte Sozialminister Gerhard Weißenberg vor nicht allzu langer Zeit), anderseits aber hat sich eine neue Form der Armut herauskristallisiert, besser bekannt unter dem von der CDU einge- brachten Begriff der Neuen Sozialen Frage.

Neben internationalen Symposien zu Ausbildungsfragen in der sozialen Wohlfahrt sowie Veranstaltungen von Workshops zum Zwecke des Erfahrungsaustausches setzt das Europäische Zentrum die Video-Technik ein, um mit Hilfe gefilmter Armut und damit angeregter Diskussionen und Gespräche die Menschen zu mehr Aktivität und Anteilnahme zu bewegen. Das Medium Film übt auf den einzelnen eine wesentlich stärkere Wirkung aus, als es je das geschriebene oder gesprochene Wort vermag. Dessen bewußt, filmt man überall dort, wo arme Menschen über ihre Ansprüche gegenüber dem Staat uninformiert sind, wo sie sich ihrer Armut schämen oder wo sie, infolge der oft rüden und teünahmslo- sen Behandlung durch Beamte verschreckt in ihre Armut zurückfallen.

Hier nun motiviert das Aufnahmeteam in den Gemeinden mittels Vorführung der Bänder und gibt durch Anregung zu Diskussion echte Hilfe zur Selbsthilfe: Die Gemeinde wendet sich an das Sozialministerium, dort wird das Material den Verantwortlichen vorgeführt, die bereits in einigen Fällen spontan Hilfe leisten konnten. Oder: Man konfrontiert die zuständigen Sozialarbeiter mit den Filmen, um ihnen weiteren Einblick in die Verhaltensweisen der heutigen Armen zu geben; und man zeigt sie den Beamten der Sozialämter als Anregung zu einer freundlicheren und aktiveren Grundhaltung gegenüber den Armen, zum Mitdenken im einzelnen Notfall, um so durch gezielte Beratung dem Bedürftigen zu seinem Anspruch zu verhelfen.

Zwei vom Europäischen Zentrum mit dieser Methode erarbeiteten Berichte - Dokumentation und Maßnahmenkatalog über sämtliche Versorgungslücken im sozialen Bereich — werden im Herbst der Öffentlichkeit vorgelegt. So sehr der wirkungsvolle und damit erfolgversprechende Einsatz der Elektronik auf dem Gebiet der Wohlfahrt zu begrüßen ist, so umfaßt er die Gefahr der Beeinflussung und Manipulation. Wer immer mittels Kamera Zugang zu den Randschichten der Bevölkerung bekommt, könnte diesen - wenn er nicht aus ethischen Gründen davon bewußt Abstand nimmt - zpm Zwecke der politischen Meinungslenkung nutzen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung