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Mut zum Widersprach

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Hitler, wie alle tyrannischen Systeme aller Zeiten, haben auf das Gewissen der gehorsamen Untertanen gepfiffen. Ihre Frage war nicht, ob man sich auf das Gewissen der Mitbürger verlassen kann, sondern wie man es anstellen muß, um unkritischen Gehorsam zu erzwingen. Haben gläubige Christen der verschiedenen Konfessionen den Kriegs- und Mordbefehlen untertänigst gehorcht, so müssen sich die Glaubenslehrer eben dieser Kirchen demütig fragen, ob sie alles getan haben, um Christen zu einem mündigen Gewissen heranzubilden, damit man sich auf deren Gewissen beziehungsweise deren Gewissensweigerung in kritischen Zeiten verlassen kann.

Oder haben sie gar selbst einseitigen Gehorsam gepredigt? Die Kirche hat nachträglich viele selig und heilig gesprochen, die den Mut zum Widerspruch auch gegenüber mächtigen Kirchenmännern hatten. Das ist ein Beitrag zur Heranbildung von Christen, auf deren Gewissen sich Kirche und Welt in entscheidenden Stunden verlassen können.

Noch nie hatte die Kirche so viele theologisch hochgebildete Laien wie zu unserer Zeit. Wissen die mächtigen Männer der Kirche dies zu schätzen?

Mit dem Einfluß des Gesamts der heutigen Fachtheologen auf das römische Lehramt und auf jene Bischöfe, die „päpstlicher sein wollen als der Papst“, hat es jedoch eine besondere Bewandtnis, die ins Auge zu fassen ist, wenn wir uns ein sachlich-ruhiges Urteil über die heutige Situation (Spannung zwischen Gewissen und Lehramt und als Teil dieser Spannung die Spannungen zwischen dem Lehramt des Apostolischen Stuhles in Rom und dem Gesamt der Theologen und theologisch gebildeten Laien) bilden wollen.

Päpste, Kardinäle, Bischöfe und vor allem die Römische Inquisition mit ihren Rechtsnachfolgerinnen (Hl. Offizium und Glaubenskongregation) hängen sehr viel mehr als sie

sich bewußt werden, von „den“ Theologen ab, nämlich von jenen, unter deren Anleitung sie studiert haben und deren Denkmodell und Lösungen sie sich weithin angeeignet haben. Ohne böse Absicht, aber ohne hinreichende Bewußtseinsbildung, wählen sie sich als Berater am liebsten solche Theologen aus, die auf der gleichen „Wellenlänge“ liegen.

Bei der Fülle der Aufgaben und der zunehmenden Tendenz, alles in Rom für die ganze Weltkirche zu entscheiden, bildete sich eine zunehmende Kluft zwischen den je

gegenwärtigen, mehr oder weniger jungen Generationen der Theologen in aller Welt und dem Römischen Lehramt.

Bei einem Teil der Amtsträger, vor allem bei entschiedenen vatikanischen Vertretern eines restaurati-ven Zentralismus, herrscht ein relativ hohes Niveau von Vertrauen auf Wissen, Sachverstand und Gehorsamsgewissen der von ihnen als „vertrauenswürdig“ eingestuften Theologen der älteren Generation, besonders ihrer früheren Lehrer. Dagegen zweifeln sie, wenn nicht am Wissen, so doch an der Unterscheidungsgabe und dem Gehorsamsgewissen der führenden Theologen von heute und generell der Theologen, die aus anderen Kulturen stammen und andere Denkmodelle und Wertungskriterien vertreten. Wie weit kann man sich auf das Gewissen jener Männer verlassen, die Gewissensgehorsam mit Sanktionen und Treueiden eintreiben wollen?

In der Vergangenheit haben Theologen oft schwer versagt, weil sie es trotz besserer Einsicht nicht gewagt haben, sich freimütig gegen Mißstände und/oder obsolete Lehrformeln auszusprechen. Sonst hätten die grausame Hexenverfolgung mit Folter und das schauerliche Zere-

moniell von Ketzer- und Hexenverbrennungen nicht so lange dauern

können.

Hinter unserer Frage nach der Verläßlichkeit und Kompetenz der Gewissen steht eine heute nicht mehr zu verschiebende Aufgabe, sündige Strukturen und durch sie geförderte gefährliche Bewußtseinshaltungen zu entlarven. Es geht nicht darum, andere anzuklagen und uns selbst leichthin zu entschuldigen. Wir alle müssen uns aufrichtig befragen und hinterfragen lassen, wie weit wir selbst verwickelt sind und wie weit wir uns mitschuldig machen, falls wir nicht das uns jeweils Mögliche tun, unsere eigene Bewußtseinshaltung und deren eventuelle Konditionierungen zu erhellen, üoer die Reinheit unserer Motive kritisch zu wachen. Wir alle sind aufeinander angewiesen im Streben nach einem mündigen, verläßlichen Gewissen.

Wenn neulich ein Kurienkardinal, der sich in Archiven auskennt, behauptete, daß alle nicht-geof fen-barten Lehren, die vom kirchlichen Lehramt über einen längeren Zeitraum hin gelehrt und wiederholt vom Papst eingeschärft wurden, schlechthin unreformierbar seien, müssen wir ihm höflich sagen, daß er die Theologiegeschichte sehr schlecht kennt. Er weiß von der Geschichtsbedingtheit vieler Lehraussagen nichts und gibt auch jenen Päpsten, die in Treue zu ihrem Gewissen und im Füreinander und Miteinander der Gewissen manche Aussagen, die jahrhundertelang eingepaukt wurden, schließlich reformiert haben, nicht die ihnen gebührende Ehre.

Die großen Lehrerder Kirche, einschließlich der Inhaber des Petrusdienstes, sind jene, deren Gewissen im Suchen nach mehr Licht am vollkommensten das Miteinander und Füreinander der Gewissen verkörpern.

Der Beitrag ist ein stark gekürzter Auszug aus dem vom 77jährigen Redemptoristenpater und Moraltheologen Häring vergangenen Donnerstag in Wien gehaltenen Vortrag „Ist auf das Gewissen Verlaß?“

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