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Pharisäer?

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„Pharisäer“ ist ein beliebtes Schimpfwort unserer Zeit; alles möchte man lieber sein, nur das nicht. Was ist das nun wirklich: ein Pharisäer? Ein Heuchler! wird die richtige Antwort lauten. Aber wie genau die Bezeichnung im einzelnen Fall dennoch überprüft werden sollte, hat ein Vorfall in den letzten Wochen gezeigt.

Da hat ein sozialistischer Abgeordneter sich als „katholisch“ bezeichnet; man darf also annehmen, daß er einen Taufschein besitzt und Kirchensteuer zahlt. Dann hat ein Politiker der Oppositionspartei herausgefunden, daß jener nur standesamtlich getraut ist und seine Kinder nicht hat taufen lassen. Auf der Titelseite einer verbreiteten

Tageszeitung wurden beide „Pharisäer“ genannt. Sind sie es? Beide?

ęhristus sagt von den Pharisäern, daß sie zwar das Rechte lehren, sich aber selbst nicht daran halten. Darum rief er aus: Wehe euch, ihr Pharisäer, wehe euch, ihr Heuchler! - und er ermahnte die Zuhörenden, zwar der Lehre, nicht aber dem Beispiel zu folgen. Unserem „Genossen“ lag wohl nichts ferner, als die Notwendigkeit der Taufe, der Kirchenzugehörigkeit „lehren” zu wollen; er stellte einfach fest, daß er Katholik sei, und rein formal stimmt das sicher; aber er weiß ganz genau, daß diese Zugehörigkeit auch den persönlichen Glauben und entsprechendes Verhalten voraus-

setzt, daß er also „eigentlich” längst nicht mehr zur Kirche gehört. Aus taktischen Gründen will er den Anschein erwecken, er, als „katholischer“ Abgeordneter sei berechtigt, im Parlament auch für „die Katholiken“ zu sprechen. Das ist „pharisäisch“, da eine Täuschung beabsichtigt ist.

Ist nun aber auch der politische Gegner, der die näheren Lebensumstände dieses „Katholiken“ bekannt macht, ein Pharisäer? Wieso denn? Diese Beschuldigung enthüllt das verbreitete Mißverständnis, ein Christ habe Fehler oder Schwächen seiner Mitbürger unter allen Umständen mit dem „Mantel der Nächstenliebe“ zu bedecken. Aber war es nicht selbstverständliche politische Pflicht, eine Falschmeldung, die mit keiner Notsituation zu entschuldigen ist, sondern die aus pfiffiger Berechnung und - das sei zugegeben - vielleicht halb im Scherz lanciert wurde, sofort aufzudecken? - Vielleicht, wenn die Dinge heute noch so gelagert wären wie in der Zwischenkriegszeit, könnte man von „Denunziation“ sprechen, aber die Dinge liegen ja nun wirklich ganz anders! Würde jeder, der einen Heuchler entlarvt, dadurch selbst zum Heuchler, dann bräche erst die goldene Zeit für Heuchler an! Wennjeder, der eine Unkorrektheit aufdeckt, damit den verächtlichen Namen eines Denunzianten verdienen würde, dann stünde es um die sonst so stürmisch geforderte Transparenz noch schlechter!

Wir christlichen Laien werden von Priestern aller Rangstufen immer wieder ermahnt, uns nicht vor der politischen Auseinandersetzung zu drücken. Da dürfen wir wohl empfindlich reagieren, wenn mit dem Hinweis auf eine formale Noch-Zugehörigkeit zur Kirche, im Widerspruch zu ihrer einmütigen und eindeutigen Stellungnahme, gegenchristliche Gesetze beschlossen oder verteidigt werden; in diesem Fall die „Fristenlösung“.

In den Massenmedien wird jeder, der öffentlich dargebotene Pornographie bekämpft, „Pharisäer“ gescholten. Gewiß wird es unter den „Pornojägern“ auch einmal einen echten Pharisäer geben, ebenso wie es leider, selten aber doch, untfer den Polizisten Diebe und Mörder gibt. Dennoch brauchen wir die Polizei. Und wir brauchen wohl nichts dringender in Österreich, als Menschen, die ihre staatsbürgerliche Verantwortung ernst nehmen, die eine Überzeugung nicht nur haben, sondern sie auch verteidigen und zu ihr stehen, und sei’s auf verlorenem Posten, wie manchmal in Fernsehdiskussionen; obwohl das in der Regel nicht nur Spott, sondern Verdächtigungen aller Art einbringt. Denn mit der heute so populären Devise „Leben und leben lassen!“ allein werden wir die vielen lebensbedrohenden Probleme, die auf uns zukommen, leider nicht lösen können!

Die „Randbemerkungen eines engagierten Christen“ geben die Meinung des Autors wieder. Sie muß sich nicht in jedem Fall mit der Linie der FURCHE decken.

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