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Politik und Bühne

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Folitik und Theater gehen selten eine glückliche Ehe ein. Die Berliner Schaubühne am Hallesdien Ufer, die mit Peter Steins exzellenten Inszenierungen von Goethes „Tasso“ und Brechts „Mutter“ den Gegenbeweis erbrachte, stolperte nun bei Handke und Enzensberger. So grundverschieden „Der Ritt Aber den Bodensee“ und „Das Verhör von Habana“ sind, eines haben sie gemeinsam: ihr problematisches Verhältnis zum Theater.

Der Österreicher Handke versuchte in seinem neuesten Stück „Der Ritt über den Bodensee“ nach- zuweisen, daß alle menschlichen Verhaltensformen, so frei sie sich auch geben mögen, von vornherein festgelegt sind. Dabei kokettierte er offensichtlich mit Ionesco, ohne dessen brillante Dialoge auch nur annähernd zu erreichen. Und bei Hans Magnus Enzensbergers „Das Verhör von Habana“ steht zwar die authentische Dokumentation außer Zweifel, aber zur Darstellung auf der Bühne scheint sie wenig geeignet zu sein. Die spärlichen dramatischen Akzente des Werkes wurden durch die kollektive Produktion — im Gegensatz zur Uraufführung in Recklinghausen — noch abgeschwächt, an- tatt sie hervorzuheben.

Rätsel über Rätsel gibt Handkes „Ritt über den Bodensee" auf. Auch die Erklärungen des Autors stiften da nur Verwirrung. „Was am Anfang klar war oder sich jedenfalls so darstellte, ist im Verlaufe des Stücks von Satz zu Satz, von Geste zu Geste unklarer geworden, aber es ist versucht worden, das mit jedem Satz und jeder Geste so klar und grob wie möglich zu machen.“ Basta! — Handke merkt zusätzlich an, daß sein Werk weder Tragödie noch Farce noch Lehrstück noch Lustspiel noch Volksstück sei, sondern Darstellung der gesellschaftlichen Entsprechungen dieser Theaterformen.

Der Dialog bewegt sich oft in Ionesco-Nähe, einmal wird der Wortlaut von Ionescos Sketch „Begrüßungen“ fast wörtlich übernommen. Handke wollte aber offensichtlich über Ionesco hinausgehen. Das Verhältnis von Herrschaft und Sprache ist vermutlich das zentrale Anliegen des Stückes. Verhaltensformen, die gänzlich frei und unbefangen erscheinen, erweisen sich plötzlich als festgelegt, nach gewissen Gesetzen ablaufend. Da ist die Rede davon, daß sich Frauen die Kategorien, nach denen sie Männer beurteilen, selbst schaffen. Ansatzpunkte noch und noch. Nur gibt es im Bereich der Sozio-Linguistik darüber wesentlich ergiebigeres Schrifttum. War also diese Handke- Uraufführung, die ständig zwischen Salonkomödie und tieferer Bedeutung hin- und herschwankt, eine überflüssige, geschwätzige Angelegenheit? Gewiß. Es blieb aber — wenigstens zeitweise — bei einem Mordsspaß für die Mimen. Sie konnten sich in vielen Posen präsentieren. Und es gab einige umwerfendkomische Momente in der Inszenierung des Teams Claus Peymann- Wolfgang Wiens.

Beste Kräfte waren auf geboten: Jutta Lampe (Elisabeth Bergner) und Edith Clever (Henny Porten) in ihrem Spiel von einem schier unerschöpflichen Nuancenreichtum, die Unsicherheiten des Handke-Textes unterstreichend. Barbara Sukowa als Frau mit dem Kopftuch wirkte dezent, nur Barbara Bertram und Erika Eller als Kessler-Zwillinge blieben etwas blaß. Bei den Herren Otto Sandner (Emil Jannings) als genüßlich-grausamer Herrschaftstyp, Bruno Ganz (Heinrich George) ironisch-unterwürfig, Günter Lampe (Erich von Stroheim) voller Possen- haftigkeit. Protagonisten, die ihre Rollen — die keinen Bezug zu den berühmten Schauspielern haben — bravourös bewältigten. Das Bühnenbild von Karl Ernst Herrmann hielt sich genau an die Handke-Vor- schriften, Moidele Bickel und Joachim Herzog verfertigten noble Kostüme. Viel Beifall.

Bei der Premiere einiges Buh, tags darauf anläßlich einer Aufführung im Auditorium maximum der

Freien Universität viel Zustimmung für Hans Magnus Enzensbergers „Das Verhör von Habana“. Das Universitäts-Gastspiel der Schaubühne stimmte zeitlich mit dem Streikprogramm der sozialistischen und kommunistischen Studenten (in Berlin die überwiegende Mehrheit) überein, bekam also Solidaxitäts- charakter. Die verschiedenen Reaktionen zeigen deutlich, daß die Zuschauer Enzensbergers Text politisch werteten, ihn also — je nach politischer Zugehörigkeit — ablehnten oder begrüßten. Dabei war die stark gekürzte Schaubühnenversion der authentischen Dokumentation über das Habana-Verhör kaum dazu angetan, Emotionen zu wecken. Die kollektive Produktion gab sich nämlich betont nüchtern, ja verzichtete sogar darauf, die Szene als Tribunal zu sehen und aufzubauen. Das kostete selbst die wenigen dramatischen Momente, es blieb beim Herunterdeklamieren einzelner Rollen.

Gerichtssaalatmosphäre stellte sich nur ein, wenn Dieter Laser, Michael König, Otto Mächtlinger, Tilo Prückner und Heinrich Giskes auf der Bühne standen. Da ein Teil der Darsteller sowohl anklagende Journalisten als auch Invasoren zu spielen hatte, verpuffte zusätzlich Spannung. Auch die eingeblendeten Dokumentationsfilme über die Schweinebuchtinvasion im Jahre 1961 und das Habana-Verhör, untermalt mit Folklore und kubanischen Revolutionssongs, verscheuchten nicht die Langeweile. Peter Stein, der auf dem Programm namentlich genannt wurde, schien sich um die Produktion kaum gekümmert zu haben — soviel Dilettantismus hätte er sicherlich kaum zugelassen. Freilich sollte der gescheiterte Versuch mit Enzensberger — auch Recklinghausen und Ost-Berlin blieben die Bühnenwirksamkeit schuldig — nicht dazu verleiten, in Zukunft kollektive Produktionen überhaupt fallenzulassen.

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