6839728-1975_36_14.jpg
Digital In Arbeit

Prager Legende

Werbung
Werbung
Werbung

Die Perutz-Renaissance war kein Strohfeuer, sie lodert weiter, und das ist erfreulich. Jedes seiner lange Zeit zu Unrecht vergessenen, jetzt endlich wieder neu herausgegebenen Bücher schenkt dem Leser Unerwartetes, Erstaunliches, Dankenswertes.

Diesmal ist es eine Legende, die um den hohen Rabbi Loew und den Kaiser Rudolf II. kreist, beides Gestalten also, die „unbewältigt“ blieben, deren Hintergründigkeit und deren Schülern ebendeshalb die Legende besser gerecht wird als die Historie. Standen die Erkenntnisse des hohen Rabbi Loew so sehr über Ort und Zeit, daß man damals und später glaubte, sie nur mit Magie und Beschwörung erklären zu können, so war Rudolf, der scheue, mit Häßlichkeit geschlagene, in Kunstwerke und Kuriositäten verliebte, als Sammler, Anreger und Förderer der eigentliche geistige Mittelpunkt des europäischen Manierismo, der erst vor wenigen Jahrzehnten als eine Stilrichtung hohen Ranges erkannt und gewürdigt wurde. Was Rudolf, der zutiefst Unpolitische, damit schuf, war beständiger als das Reich, das er verlor. Seine Friedensliebe und seine Toleranz standen seinem fanatisierten Jahrhundert im Wege. Ein Sonderling und Neurotiker, gewiß; aber die Behauptung, er sei geistesgestört gewesen, dürfte auf die nachträgliche Greuelpropaganda Kardinal Khlesls zurückgehen, der durch Rudolfs streitbaren und vordergründigeren Bruder, Kaiser Matthias, das Reich zu lenken hoffte, wobei ihm freilich die Rechnung im letzten nicht aufging. Um die Usurpation zu legitimieren, bedurfte es jedenfalls eines „regierungsunfähigen“ Kaisers. Im „Bruderzwist“ deckte später Grillparzer, wie so oft, die tieferen, die eigentlichen Zusammenhänge auf.

Der „unbewältigten“ Gestalt Rudolfs II. wird also Dichtung am ehesten gerecht, Legende aber nicht minder; Legende, wie die von Leo Perutz ersonnene, in der das nächtliche Prag seine Rolle spielt, mit Hradschin und Karlsbrücke, mit Edelleuten und Ofenheizern, Soldaten und Schnorrern, mit der schönen Esther aus dem Ghetto, mit Mordechai Meisl, dem „das Geld nachlief“ und an den wohl heute noch die Meislovä bei der Altneu-Synagoge erinnert.

Auch in der Legende herrscht die für Perutz so bezeichnende innere Balance des echten Kunstwerks, die strenge Ordnung einer unbeirrbaren Logik, die Technik der überraschenden Lösungen, das plötzliche Ineinanderfließen der nur scheinbar, in Rondoform, paralell laufenden Ströme des Geschehens.

Auch in der Legende beglückt den Leser jene herrliche Sprache, deren Registerbreite von kraftvoller Härte bis zum lyrischen Verhauchen reicht. Ohne die klassische Struktur seiner Sätze antasten zu müssen, vermag Leo Perutz durch geringfügige Änderungen in der Wortfolge, durch diskrete Anklänge an österreichisches, Jiddisches, Tschechisches, Barockes, Amtliches, den sc zu charakterisieren, den er gerade sprechen und handeln läßt, daß dieser Handelnde und Sprechende als lebendes Wesen aus den Seiten des Buches hervortritt.

(Wann erscheint der nächste Band Perutz?)

Erich Thanner

NACHTS UNTER DER STEINERNEN BRÜCKE. Von Leo Perutz. Paul-Zsolnay-Verlag Ges. m. b. H., Wien/Hamburg, 1975. 272 Seiten.

Prag ist wirklich eine „unvergeßliche Geliebte“, wie sie Urzidil einmal nannte. Wer einmal in seinen Mauern gelebt hat, der kommt von ihm nicht los. Ein Beweis dafür sind die vielen Bücher von berühmten und weniger bekannten Schriftstellern, die seit Jahren über die „goldene Stadt“ erscheinen. Über das Leben der Prager Deutschen in der Zwischenkriegszeit schreibt soeben Friederike Hübner, die ihre Kindheit und Jugend als Tochter eines Prager deutschen Bankbeamten zwischen den beiden Kriegen erlebte. Die Prager Deutschen waren eine relativ kleine Schicht, fast durchwegs Angehörige von Intelligenzberufen und daher kulturell sehr interessiert. So nimmt denn auch die Schilderung des Prager deutschen Theaterlebens einen breiten Raum in diesem Buch ein. Und Prag hatte zwei sehr gute deutsche Theater, die sich ruhig neben den Wiener Theatern sehen lassen konnten. Außerdem gab es jede Weile berühmte Gäste aus Deutschland und Österreich. Sosehr diese deutsche Insel in Prag fast autonom lebte, mußte sie doch notgedrungen mit der tschechischen Umgebung in Kontakt kommen. Schon allein die Dienstboten waren fast auschließlich Angehörige der böhmischen Nation, von einer Treue zu ihrer Herrschaft, die ihresgleichen sucht. Natürlich sprachen diese böhmischen Dienstboten mit der Herrschaft immer deutsch, ein recht lustiges Kuchlböhmisch, von dessen Charme die Autorin genügend Beweise erbringt. Diese Welt, aus der ein Rilke und Kafka, ein Brod und Urzidil sowie viele berühmte Wissenschaftler stammten, ist endgültig dahin. Aber jedes Buch, das ein Denkmal für diese eigenartige Welt ist, ist zu begrüßen, da dadurch die Erinnerung an diesen Traum ständig wachgehalten wird.

KNOBLAUCH, KUNST UND KINDHEIT IN PRAG. Von Friederike Hübner.. Eugen Salzer-Verlag, Heilbronn, Leinen, 212 Seiten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung