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Digital In Arbeit

Romischer Traum

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„Womit kann ich Ihnen dienen?“ Der Mann im dunkelgrauen Anzug lächelte gewinnend.

„Ich bin am Institut für Bürokratieforschung in Wien beschäftigt“, begann K. seine Vorstellung, „und arbeite an einer Habilitationsschrift über Mechanismen der Arbeitsteilung und Arbeits-verteüung in großen Bürokratien. Die Glaubenskongregation als eines der wichtigsten Organe des Heiligen Stuhls“ - K. bemerkte ein feines Lächeln auf dem gebräunten Gesicht des Paters — „kann doch wohl auch als Bürokratie betrachtet werden, wie die gesamte Kirche - unbeschadet ihrer Stiftung durch den Gottessohn — eine menschliche Einrichtung, auch eine Bürokratie ist. Sie, Pater Hermann, und Ihre Mitbrüder, bis hinauf zum Prä-fekten, sind doch gewissermaßen die Hüter der Lehre, die Verwalter des Glaubensschatzes.“

„Das depositum fidei, ja. Keine leichte Aufgabe in einer Zeit der Umwertung aller Werte — aber eine notwendige.“ Ein wenig kokett, als zieme sich derlei für einen Geistlichen nicht, fügte er hinzui „Und eine gewiß sehr reizvolle.“

„Wie machen Sie es, Pater Hermann, wie verwalten Sie persönlich diesen Glaubensschatz?“

„Im Augenblick sind wir dabei“ — da ist es wieder, dieses „Wir“, in dem das Individuum untergeht in jeder großen Bürokratie, dachte K. -, „den definierten Glauben der Kirche zu digitalisieren.“

K. schaute den Mann in dem smarten Anzug fragend an. „Digitalisieren“ - das paßte besser zu ihm als „depositum fidei“.

„Es erscheint ja geradezu wie eine Fügung der göttlichen Vorsehung“, fuhr Pater Hermann fort, „daß unser Glaubensgut, wie es in den lehramtlichen Äußerungen festgelegt ist, beinahe unverändert computer-kompatibel ist.“

Pater Hermann wurde immer lebhafter: „Es gibt im Glauben der Kirche, wie im Computer, grundsätzlich nur zwei Möglichkeiten. Ja oder nein, plus oder minus, rechtgläubig oder häretisch, orthodox oder heterodox, null oder eins. Unsere Aufgabe ist es nun, die Glaubenssätze computergerecht zu machen. Es geht um die wörtliche Ubersetzung des alten ,si quis dixerit — anathema sit' in ,0 - 1'. Zweifelsfälle legen wir selbstverständlich dem Prä-fekten vor.“

„Und wenn das gesamte depositum fidei im vatikanischen Großrechner gespeichert ist, was geschieht dann damit? Die Erfassung und Speicherung allein kann doch nicht Sinn und Zweck des Unternehmens sein?“

„Da haben Sie natürlich recht.“ Wieder dieses Lächeln, das K. nun fast unangenehm berührte. „Wenn es ausschließlich um Erfassung und Speicherung ginge, wäre nicht die Glaubenskongregation zuständig, sondern die Päpstliche Bibliothek, das Päpstliche Archiv. Wir verfolgen in der Tat andere Ziele.“

Der Pater blickte auf seine Armbanduhr — der nächste Ter-, min drängte: „In naher Zukunft wird die Welt vernetzt und verkabelt sein, zumindest jener Teil der Welt, in dem sich geistig — und was für uns von Bedeutung ist: theologisch — etwas tut. Die wichtigen Verlage erledigen schon heute alles über Computer. Und da wird es für uns interessant.“

Des Paters Augen leuchteten, aber K. hütete sich, dieses Leuchten zu qualifizieren.

„Wenn wir nun die großen Verlage an dieses System anschließen, dann wird jede theologische Veröffentlichung im Stadium der Drucklegung erfaßt. Der Computer überprüft sie auf ihre Rechtgläubigkeit und wirft das Ergebnis aus. Wir haben dann zu entscheiden, was weiter zu geschehen hat. Je nach Gewicht des Autors oder des betroffenen Lehrsatzes kann das Buch oder die Abhandlung erscheinen—nota bene, ohne daß der Autor von unserer diskreten Uberprüfung erfährt — oder wir greifen ein. Selbstverständlich über die Verlagsleitungen und die Diözesanverantwortli-chen.“

K. fröstelte, obwohl der römische Sommer auch am frühen Morgen dazu keinen Anlaß bot. „Das ist ein perfektes System“, stotterte er mehr als er sagte, „aber das ist wohl Zukunftsmusik?“

Pater Hermann erhob sich und streckte K. seine Hand zum Abschied hin: „Nur zum Teil. Das deutschsprachige Programm ist fertig, die Leitungen zu den Verlagshäusern sind installiert, das System funktioniert. Es gibt erste Erfolge. Oder was glauben Sie, warum so mancher deutschsprachige Theologe seit ein paar Jahren keinen Verlag mehr findet, der seine Ideen zur Veröffentlichung annimmt?“

Die Musik seines Radioweckers riß K. aus seinen Träumen. Beim Frühstück erzählte er seiner Frau den seltsamen Traum. „Ich werde darüber eine kleine Geschichte schreiben. Vielleicht veröffentlicht sie DIE FURCHE auf ihrer Letzten Seite.“

„Tu's lieber nicht“, seufzte seine Frau und biß von ihrem Marmeladebrot, „Du könntest die Römer auf eine Idee bringen.“

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