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Rückkehr zur Eigenart

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Die Marktgemeinde Rauris im Pinzgau hat eine im Sinne des Wortes reiche Vergangenheit. Im 16. Jahrhundert erlebte sie eine Blütezeit durch den Goldabbau in den Hohen Tauern. Die stattlichen Gewerkenhäuser, die dem Markt heute noch das Gepräge geben, zeugen davon. Rauris ruht sich aber keineswegs auf den Lorbeeren seiner Vergangenheit aus. Ein rühriger Bürgermeister und eine fleißige Bevölkerung sorgen dafür, daß Rauris immer wieder im Mittelpunkt des Gesprächs steht. Bildungswochen, Literatur- und Malertage und Symposien zum aktuellen Thema „Nationalpark“ gehören zum Jahresablauf.

„Die Kultur fängt bei uns im Tal an“, sagte Bürgermeister Otto Kaiserer einmal bei der Eröffnung einer Tagung. Ich bat ihn um ein Gespräch zum Thema.

.Also — wie meinen Sie das?“ „Die Grundlage aller Kultur ist ein einfaches Leben, aus dem Kultur sich erst entwickeln kann. Ein Leben voll Arbeit, das dem Menschen aber auch Zeit läßt.“

„Warum soll das Leben einfach sein?“

„Wegen der arbeitsfreien Zeit. Wenn das Leben aus lauter Vergnügungen und Zerstreuungen besteht, bleibt ja keine Zeit übrig. Und Zufriedenheit gehört auch dazu und ein Maßhalten-Können. Und eine Bindung zur Natur, denn der Mensch ist auch ein Stück Natur. Dann gehört noch etwas dazu, das den Menschen zum Menschen macht: das Gespräch. Und die Freude am Schönen.“

„Bei den Menschen im Tal, die durch die Jahrhunderte hart arbeiten mußten?“

„Da fängt's an. Vielleicht könnt man sagen, mit dem Denken fängt die Kultur an.“ Er überlegt einen Augenblick. „Mit dem Sprechen und Singen, mit dem, was über das Notwendige und Nützliche hinausgeht. Mit einfachen Gebrauchsgegenständen, mit einem geschnitzten Löffel. Das Brauchtum gehört dazu, die täglichen Lebensgewohnheiten, die Religion. Was Schönes schaffen zu wollen, über das Nützliche hinaus, das heißt: etwas leisten zu wollen, ohne Bezahlung, halt nur aus Freude am Schönen. Kultur ist auch Ei-gen-Art. Daß ein Gegenstand so, nur so und nicht anders aussieht, daß das von Tal zu Tal verschieden ist, das macht die Mannigfaltigkeit der Kultur aus. Das gab's alles, und das gibt's noch - oder wieder. Denn man besinnt sich wieder darauf. Schauen Sie sich die Backformen der Hausfrauen an, Hufeisen, Ringe, Flecken, und der Teigrest, das gibt noch eine Maus oder ein Manderl. Und zu Festtagen gibt's ein anderes Backwerk als am Werktag. Denken Sie an unser bäuerliches Handwerk, unsere Volkskunst: die geschnitzten Perchtn-Mas-ken, die Krippenfiguren, die täglichen Gebrauchsgegenstände, Trachtenkapelle, Theaterspiel.“

„Ist die Theatergruppe wieder aktiv?“

„Oh ja, das ist eine Tradition, die bis ins vorige Jahrhundert reicht.“

„Hat das alles durch den Tourismus nicht schwere Einbuße erlitten?“

„Hat es. Am Anfang sehr. Da wurde der Götze Fremdenverkehr auf einen hohen Sockel gestellt. Da haben die Leut' das letzte Bett im Haus, die letzte Couch vermietet in ihrem Wohnzimmer und haben mit den Kindern auf dem Dachboden oder im Keller kampiert. Das hat sich gründlich geändert. Heute schaut man, daß man einen eigenen Raum für die Gäste hat und die Stube wieder für die Familie. Das Familienleben wird wieder betont.“

„Sie meinen, daß trotz - oder gerade wegen — der Einflüsse und Veränderungen durch den Tourismus eine Selbstbesinnung einsetzt?“

„Ja. Auf vielen Gebieten. Das Eigene rückt wieder in den Vordergrund. Wir wollen die Gäste nicht nachahmen, sondern die Gäste sollen erfahren, wie's bei uns zugeht.“

„So weit also die Basis. Die jahrhundertealte Kultur im Tal. Und der Uberbau?“

„Sie meinen Bildungswochen, Literatur- und Malertage?“

„Ja. Das ist ja alles noch verhältnismäßig neu. Erst eineinhalb Jahrzehnte.“

Er lächelt.

„Sie wissen selbst, daß auch hier nicht alles Gold ist, was glänzt. Da hat's Schwierigkeiten, auch Mißverständnisse gegeben. Aber dieser .kulturelle Uberbau4 hat seine Wirkungen gehabt: Zwischenmenschliche Kontakte, Auseinandersetzung, Denkanstöße. Wir hoffen auf Wechselwirkungen.“

Das gleiche, was er sagt, habe ich in den verschiedensten Häusern im Gespräch mit Einheimischen gehört:

„Wir haben voneinander gelernt.“

Tags zuvor war ich im Tal-Museum, habe die alten bäuerlichen Gerätschaften betrachtet, die Werkzeuge zum Goldbergbau, die kunstvoll geschnitzten Buttermodel, die aus Kuhhorn geformten Löffel. Ein Schlichthobel trägt die Jahreszahl 1701, ein Fughobel die Zahl 1846, alle hölzernen Werkzeuge sind reich verziert mit Kreuzen, Herzen, Sternen, Kerbschnitzereien.

„Die Kultur fängt bei uns im Tal an“ ... die Bevölkerung des Marktes wird sich dieser Kultur mehr und mehr bewußt.

Die Autorin ist 1. Marktschreiberin von Rauns.

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