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Schon zehn Jahre vor der „Charta 77”

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Im Frühjahr 1966 erregte ein Plakat einigen Unmut, das Kaiser Franz Joseph mit einem „Pülcherkappl” auf dem Kopf zeigte. Es warb für eine Ausstellung, die Msgr. Otto Mauer in seiner „Galerie nächst Sankt Stephan” dem tschechischen Karikaturisten Bohumil Stepan bereitete, österreichischer Monsignore - tschechischer Ostblockmann - Verhöhnung des österreichischen Kaisers, an den man sich eben im 50. Jahr nach seinem Tode verstärkt zu entsinnen begann: Ein solcher eigenartiger Dreiklang mußte in vielen österreichischen Ohren und Herzen einen argen Mißton ergeben. Gleich anderen teilte auch ich Otto Mauer, den ich in manchen Fragen moderner Kunst zu Rate gezogen hatte, meinen Mißmut brieflich mit und erhielt von ihm eine mich sehr beeindruckende Antwort. Sie heute zu veröffentlichen halte ich nicht nur deswegen für sinnvoll, weil Otto Mauer, noch bewußtes Kind des Kaiserreiches, in diesen Tagen 70 Jahre alt geworden wäre, sondern weil er sich auch mit der Aussagefreiheit und -Unfreiheit in der Tschechoslowakei beschäftigt. Der Brief trägt das Datum 4. Juni 1966 und lautet:

„Verehrter Herr Minister! Darf ich mir als Epilog zu der Ausstellung von Bohumil Stepan erlauben, zu der genannten Ausstellung Stellung zu nehmen.

Einleitend darf ich bemerken, daß das auch von Ihnen als verletzend empfundene Plakat nicht von mir erfunden wurde und daß ich es nicht gesehen habe, bis es mit dem Ausstellungsgut selbst, unmittelbar vor der Eröffnung der Ausstellung, in unsere Hände kam. Trotzdem übernehme ich selbstverständlich als Leiter der Galerie die Verantwortung für alle gezeigten Objekte und das Plakat Zur Ausstellung und zum Plakat erlaube ich mir nun folgendes zu bemerken:

1. Die Ausstellung selbst enthielt in der Zahl von zirka 150 Objekten eine einzige kleine Collage, die sich politisch mit Österreich und mit der alten Monarchie in Person des Kaisers beschäftigte. Dieses einzige kleine Objekt bildete die Grundlage für das Plakat. Der übrige Teil der Ausstellung war allgemein menschlichen Zuständen und Schwächen gewidmet, nur das Kabinett mit der kleinen Collage des Kaisers hatte hochpolitischen Charakter. >

2. In diesem Kabinett waren zahlreiche Karikaturen gehangen, die sich mit dem .Personenkult’ beschäftigten. Man kann sagen, daß sie fast ausnahmslos gegen Stalin und den Stalinismus gerichtet waren. Es hat mich aufs äußerste befremdet daß niemand von dieser politischen Sensation Kenntnis nahm. Wenn ein Tscheche, der in Prag ansässig ist, in diesen Karikaturen Stalin mit Lenin kämpfend, Stalin als auf den Kopf gestürztes Denkmal darstellt, Stalin und den Sta linismus als blutiges System anklagt, dann hätte das in Österreich höchstes politisches Interesse hervorrufen müssen, noch dazu, wo der tschechische Kulturattachė mit einigen Mitarbeitern bei der Eröffnung anwesend war und der Galerie seinen Dank und seine Anerkennung aussprach. Dieses politische Kabinett zeigte einerseits, welche Tendenz in Prag gegenüber dem Stalinismus vorhanden ist (in Prag hatte diesselbe Ausstellung

40.000 Besucher), anderseits, welch hohes Risiko trotzdem echte Künstler in Volksdemokratien einzugehen wagen, da ja der politische Kurs sehr rasch und für den Künstler gefährlich wechseln kann. Schließlich zeigt es sich, welcher relativen Freiheit sich die Kunst sogar schon in der letzten, von der stalinistischen Kulturpolitik beeinflußten .Volksrepublik erfreuen kann.

3. Was nun die Collage mit Kaiser Franz Joseph betrifft, muß ich gestehen, daß ich in der Interpretation dieses Objektes vollkommen anderer Meinung bin, als viele andere Österreicher. Die Figur und das Antlitz des Kaisers selbst sind in keiner Weise entstellt In der Montage mit der Sport- oder Arbeitermütze liegt keinerlei Gehässigkeit oder Aggression.

Der Künstler selbst hat sich als Verehrer der alten Monarchie bezeichnet. Er interpretiert das kleine Objekt in doppelter Weise:

a) Der Kaiser ist der erste Arbeiter seines Volkes,

b) der Kaiser ist ein Mensch unter Menschen.

Will man diese Selbstinterpretation von Bohumil Stepan nicht anerkennen und sie als objektiv unrichtig bezeichnen, kann man in dieser Collage doch füglich nur eine milde, mit verschmitztem Lächeln vorgebrachte Kritik an der Demokratie sehen, die Kaiser und Könige zu Bürgern unter Bürgern macht Innerhalb des obgenannten politischen Kabinetts bildete die kleine Collage einen eklatanten Gegensatz zu den stalinistischen Karikaturen; während der Kaiser, sozusagen ins bürgerliche, demokratische Zeitalter versetzt, freundlich ,entmythologisiert’ erscheint, werden der Diktator und sein System frontal und sarkastisch angegriffen.

4. Ich bedauere es überaus, unwillentlich und unwissentlich Ihre persönlichen Gefühle durch das in Frage stehende Plakat verletzt zu haben; ich darf aber wöhl darauf hinweisen, daß ich selbst noch einer Generation ange höre, die die alte Monarchie gekannt hat. Ich habe nicht nur als Kind aus vollem Halse ,Gott erhalte, Gott beschütze …’ gesungen; ich kletterte nicht nur als Knabe auf den Laternenpfahl, um das Begräbnis und den Trauerzug Kaiser Franz Josephs sehen zu können; ich habe nicht nur in der gesamten Zeit des Ersten Weltkrieges als Kind mitgehungert und als Mittelschüler in den Pausen mein schimmeliges Maisbrot verzehrt, sondern teile mit vielen Osterreichęrn das Gefühl der Pietät gegenüber dem alten Reich. Als Mann, der mit jeder seiner Predigten während der Zeit des nationalsozialistischen Regimes zumindest seine Freiheit aufs Spiel setzte, brauche ich mich wohl als Österreicher nicht erst zu legitimieren.

5. Im übrigen kann ich darauf verweisen, daß eine nicht geringe Anzahl von Intellektuellen das besagte Plakat in keiner Weise so aufgefaßt hat, wie es viele andere getan haben, von denen allerdings die meisten die Ausstellung selbst nicht gesehen haben.

Als Epilog zur Ausstellung Bohumil Stepan darf ich sagen, daß trotz des gegen die Galerie entfesselten Nervenkrieges mir die tröstliche Gewißheit geblieben ist, daß die Österreicher an der Kontinuität ihrer Geschichte tiefen Anteil nehmen und daß es offenbar wenige gibt die diese Geschichte erst mit 1918 beginnen wollen. Vielleicht sehr verehrter Herr Minister, bezeichnet diese Erfahrung das Gemeinsame zwischen Ihrer und meiner Auffassung, sosehr diese Auffassungen in der Interpretation des in Frage stehenden Gegenstandes vielleicht noch immer differieren dürften!”

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