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Schrei nach der Polizei

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Vor einigen Jahren noch wurde auf dem Münchner Oktoberfest ein Betrunkener festgenommen, weil er Radau geschlagen hatte. Als die Ordnungshüter den Widerstrebenden zur „Grünen Minna“ mehr schleiften als trugen, erhob er lauthals Protest, indem er rief: „Und das will eine Demokratie sein!“ Damit gab er einer weitverbreiteten Stimmung Ausdruck, die nach zwölf Jahren des Hitlerischen Polizeistaats ihre Gründe hatte, einer Stimmung, die häufig in Parteinahme des Publikums gegen einschreitende Staatsorgane Ausdruck fand.

Das kommt auch heute noch vor, wohl nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland. Opfer sind nicht zuletzt die uniformierten Damen, die in den Großstädten Parksündern Strafmandate auf die Windschutzscheibe pappen. Aber mit der Antipathie gegen die Polizei ist es nicht mehr so schlimm, wenn man die Ergebnisse einer Meinungsbefragung des Allensbacher Instituts

für Demoskopie als repräsentativ anerkannt. Danach erheben 62 Prozent aller erwachsenen Bürger der Bundesrepublik den Schrei nach mehr Polizei. Bei den mehr als Sechzigjährigen sind es sogar 74 Prozent, aber auch die Sechzehn- bis Neunundzwanzigjährigen, als die Generation, die allgemein als für einen vagen Anarchismus mit kommunistischer Schlagseite anfällig angesehen wird, meint zu 57 Prozent, im freien Teil Deutschlands fehlten Polizisten. Auf die Frage „Finden Sie, daß die Polizei gut für Sicherheit und Ordnung sorgt?“ antworteten sogar 66 Prozent dieser Altersklasse: „Nein, es müßte mehr getan werden.“ Die Frauen erwiesen sich als um nichts ängstlicher als das starke Geschlecht. Ziemlich genau gleich 62 Prozent beider Geschlechter wollen mehr Polizisten.

Weltrevolutionsdilettanten

Nun hatten sich zum Zeitpunkt

der Befragung einige besonders widerwärtige Verbrechen ereignet, die Serie der Liebespaarmorde, die Entführung und Ermordung eines jungen Mädchens durch einen Amateurerpresser, die vielen Banküberfälle mit Opfern aus den Kreisen völlig Unbeteiligter. Schließlich ist es ein Unikum, daß die Polizei eines für europäische Begriffe großen Landes bereits seit Jahren nach der Baader-Meinhof-Gruppe fahndet und bisher nur Randfiguren gefaßt hat, wenn man von dem APO-An- walt Horst Mahler absieht. Während die Staatsführung und große Teile der veröffentlichten Meinung geneigt scheinen, sich mit solchen Vorfällen als wohl unvermeidbaren Zivilisationsschäden abzufinden und der Resozialisierung der Übeltäter vor dem Schutz der nicht straffälligen Bürger und Steuerzahler den Vorrang zuzuerkennen, finden auch 66 Prozent der befragten Arbeiter Ordnung und Sicherheit nicht genügend geschützt. Im Ge-

genteil, gerade unter dem sogenannten „einfachen Volk“ ist die Erbitterung am größten, wie man in jedem Gespräch feststellen kann. Es ist bezeichnend, das nach jedem Taxifahrermord die Kollegen des Opfers für die Wiedereinführung der Todesstrafe demonstrieren. Milde gegenüber den Gewalttaten, besonders wenn sie politisch motiviert werden, begegnet man nahezu ausschließlich unter wohlhabenden Leuten mit höherer Bildung. Hat doch die Polizei selbst die Vergeblichkeit ihrer Fahndung nach der Baader-Mednhof-Gruppe auf deren Unterstützung durch Angehörige dieser Kreise geschoben. Bei der Sympathie, auf die als „Untergrund

kämpfer“ oder „Stadtguerillas“ firmierende Meuchelmörder, Bombenleger, Heckenschützen, Menschenräuber und dergleichen bei der akademischen Jugend stoßen, die ihretwegen immer wieder auf die Straße geht, ist der Hinweis der Polizisten zumindest subjektiv verständlich. Die Allensbacher Meinungsbefragung wird es aber künftig dem Häuflein der Weltrevolutionsdilettanten schwer machen, sich auf Einverständnis mit einer „schweigenden (roten) Mehrheit“ zu berufen. Diese spricht, wenn man sie dazu bringt, absolut eindeutig gegen die Verbrecher und damit, wenn auch vielleicht nicht in allen Fällen gern, für die Polizei.

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