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Siedlung und Aussiedlung

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Es war eine sehr erwünschte Arbeit, eine Geschichte der National!-tätenverhältnissa im Gebiet westslawischer Völker zu schreiben: in Böhmen und Mähren, in der Lausitz, in Schlesien und Glatz. Eine solche Geschichte, vom Mittelalter bis heute, hat Lubos geschrieben und mit einer Menge von Quellenmaterial ausgestattet; er zitiert auch Autoren der slawischen Seite, was deutsche Fachgenossen meistens schon darum unterlassen, weil sie das nicht lesen können ... Mian kann freilich dennoch nicht wünschen, ' daß dieses Buch weit verbreitet wird — was wohl kaum geschehen wird; dehn Funktionäre von Heimatvertriebe-nen-Venbänden werden wohl die bittere Kritik, die ihnen hier zuteil wird, reichlich zurückzahlen. Dieses Buch können wir nur jenen empfehlen — diesen freilich wärmstens —, welche genug Geschichtskenntnis haben, um das zu können, was man in unserem charmanten Jahrhundert als Geschichtsfreund können muß: ein Buch lesen, sei es henlemistisch oder leninistisch, indem man das Material zur Kenntnis nimmt und die parteiliche Soße beiseite gießt. Sehen wir nun nach der Einstellung von Lubos! Er ist linksorientiert bis zum ausdrücklichen Antiklerikalismus; und das erklärt wohl, was wir als die größte Lücke seines Werks empfinden. Er erklärt die polnische Landnahme nach 1945 als ■Wiederherstellung des mittelalterlichen Zu-stands, als Revanche für deutsche Methoden älterer und neuerer Zeit — und .gewiß ging es auch darum. Er verbreitet sich aber nicht, und jedenfalls nicht hinreichend, über den zwingenden Grund (vis major), warum die polnische Landnahme erfolgen mußte, und wenn die Polen hätten alles verzeihen wollen (was freilich keineswegs der Fall war). Die polnische Landnahme (die stellenweise, woWgemerkt, auch die Tschechen verdrossen hat) mußte stattfinden, weil die polnische Nation um — ich weiß nicht, wie viele — Kilometer nach Westen umsiedeln mußte, damit weite Räume an die Sowjets kamen... Und dies ist der zwingende Grund warum eine Heimkehr der Heimatvertriebenen einfach nicht in Frage kommt; dies, und nicht nur der Deutschenhaß der Westslawen. Der Autor, wohlgemerkt, verbreitet sich auch nicht darüber, wie in den letzten Jahren dieser Haß so sehr durch andere Haßgefühle ersetzt worden ist, daß man heute den gefühlvollen Pan-slawismus, wenn irgendwo, nur in der Emigration findet... Wollen wir noch kleinliche sprachliche Bemerkungen machen? Wir wüßten gerne, aus welchem Deutsch Lubos geschöpft hat, wenn er die „mystizistische Religiosität“ des polnischen Volks erwähnt. Eine andere Bemerkung — die überhaupt für deutsche und österreichische Journalistik und Literatur gilt — betrifft das Wörtchen „jetzt“. Laut Waschzettel stammt der Autor aus BeutJhen (jetzt Bytom). Nicht doch! Immer schon Bytom — auf polnisch; heute noch Beuthen — auf deutsch. So denken freilich nicht Schreiber, für die amtliche Vorschrift eins und alles ist. Für solche Schreiber heißt Bengalen Bangla, Breslau Wroclaw, Agram Zagreb — nämlich heute; vor einunddreißig Jahren freilich hieß ;Wars^iwa, auch in slawischem Text Warschau. Gegen diese Sitte wolle, wir bei dieser'Gelegenheit ausdrücklich protestieren: der Ortsnamentoe-stand einer Sprache ist für Gebildete nicht davon abhängig, was „jetzt“ die amtliche Vorschrift sein mag. Also, bitte schön: „jetzt“ gehört vor einen Ortsnamen nur dann, wenn er wirklich neu ist: wie „Gottwaldov für „Otrokovice“, oder eine Zeitlang „Hindenburg“ für „Zabrze“. Sonst gebraucht ein Gebildeter eine Sfijrache^jjsde Sprache ftf, wie die Geschichte sie eben geschaffen hat, und guckt nicht nach dem Amtskappel.

DEUTSCHE UND SLAWEN. Von Arno Lubos, Beispiele aus Schlesien und anderen Ostgebieten. Europa-Verlag. 224 Seiten.

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