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Trauriger Wirrwarr

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Das Geschichtswerk Herodots ist eines der farbigsten und gestaltenreichsten Bücher der Welt, und es war ein glänzender Gedanke, es als Grundlage einer Fernsehserie zu nehmen. Was hätte aus diesem Thema gemacht werden können - und was ist daraus geworden J

Die Serie heißt „Dialoge mit Herodot“, denn von Zeit zu Zeit erscheinen in der Landschaft Herr Lindner und ein bärtiger Mann in antikischem Weiß; sie richten langsame Sätze aneinander, trinken Wein an einem modernen Tisch, „Herodot“ zieht hinter seinem Rücken ein Buch hervor und liest vor, Dolf Lindner trifft „Herodot“ unter einem Baum liegend usw. Das soll „verlebendigen“ und wohl auch ein bißchen verfremden, aber es langweilt eher. Beiden Herren ist auch sichtlich unwohl in ihrer Rolle.

Eine solche Art des Auflockerns bringt für den Zuschauer nichts; hier scheint der Produzent überfordert gewesen zu sein. Dazwischen blitzt es dann wieder auf: „Herodot“ liest im Theater von Epidauros den Bericht des Aischylos über die Schlacht von Salamis, er liest ihn gut, und plötzlich spürt man, wie schön diese Sendungen sein könnten.

Mit allem Nachdruck sind allgemein verständliche Produktionen dieser Art zu begrüßen, die wissenschaftliche Ergebnisse einer breiten Bevölkerungsschicht anschaulich und lebendig nahebringen sollen. Der ORF hat schon erfolgreiche Beispiele dafür gezeigt. Voraussetzungen sind freilich Klarheit und zuverlässige Kommentierung des Bildmaterials. Vielleicht darf hier auf die jüngsten Sendungen der Reihe etwas näher eingegangen werden.

Es ist unzumutbar, daß dem Fernseher immer wieder unentbehrliche Informationen vorenthalten werden. Viel zu oft sehen wir eindrucksvolle Landschaftsaufnahmen, große Ruinenfelder, Mauern, Monumente, Säulen, ohne daß wir erfahren, wo wir sind und was wir uns dabei vorstellen dürfen. Bei den Ruinen von Mykene hören wir zwar den Ortsnamen und einiges Allgemeines, aber die bedeutenden, im Bild gezeigten Denkmäler werden nicht konkret erläutert.

Wenn bei der athenischen Akropolis vom Parthenon gesprochen wird (und wie kurz), sehen wir im Bild Touristen, die zu den Propyläen emporsteigen. Aus verschiedenen Museen werden in oft hervorragenden Detailaufnahmen prachtvolle und interessante Exponate vorgeführt, aber der Zuschauer bleibt zumeist ohne Kommentar und hilflos. Besonders bestürzend ist etwa die lange Serie von Plastiken und Vasenmalereien am Ende der zehnten Folge, ohne jedes Wort der Erklärung.

Hält man dazu, daß uns bis zum Überdruß Straßenszenen des modernsten Athen (mit jausnenden Touristen), endlose Aufnahmen der uninteressanten Wohnhäuser des heutigen Sparta und viele, viele Bilder vom Schiffsvy- kehr durch den modernen Kanal von Korinth vorgesetzt werden, so stellt sich der Eindruck ein, daß ein reichliches und ziemlich disparates Filmmaterial dann in Österreich nicht ohne Gewalt in einen zusammenhängenden Film gestopft wurde. Und wo man bei Funden, Landschaften oder Ruinen keine Erläuterung bei der Hand hatte, scheint man es sich oft überaus einfach gemacht zu haben.

Die Folge 7 ist Sparta gewidmet, bringt aber vor allem langatmige Diskussionen über Frauenraubsagen und den trojanischen Krieg (was Herodot am Beginn seines Werkes selbst als sekundär beiseite schiebt). Uber das historische Sparta hören wir dürftigste Gemeinplätze, die in dessen Untergang gipfeln: „Lange Zeit kannte niemand die Stelle, an der einst der mächtigste

Kasernenhof von Hellas gestanden hatte“; Kommentar überflüssig.

In bestechender Schnoddrigkeit wird die Schlacht an den Thermopylen als „Durchhalteeskapade“ bezeichnet, aber in Folge 9 wird sie ganz entgegengesetzt und sehr viel einsichtiger beurteilt.

In den Folgen 8 und 9 wären für den Namenskatalog jonischer Städte oder die Erwähnung von Kap Atemision Landkarten empfehlenswert gewesen. Die Art, wie der Zug des Mardonios nördlich der Ägäis und der spätere Feldzug von Marathon in Verbindung gesetzt werden, ist, milde gesagt, verwirrend. Anläßlich der (militärisch unwichtigen) Erstürmung der Akropolis durch die Perser des Xerxes werden lange und kommentarlos assyrische Reliefs gezeigt, dann plötzlich wieder persische Darstellungen von Gabenbringern: ein schmerzliches Durcheinander.

Die zehnte Folge vergüt Kimon und betont für das klassische Athen nur Perikies. Dennoch sind die Kommentare hier zeitweise besser. Warum aber zur Person des Perikies moderne athenische Straßenmusikanten gezeigt werden, bleibt ein pikantes Rätsel.

Wenn der dialogisierende „Herodot“ auf dem Markt Athens zwei ganz verschiedene Stellen aus seinem Werk vorliest, sollte man diese doch deutlich voneinander trennen, damit der Hörer nicht ganz verwirrt wird, und unbekannte Personennamen sollten erklärt werden. Und dann zeigt man uns zum klassischen Athen ausführlich die hellenistische Stoa des Attalos, wobei zu ihren Innenräumen neckisch bemerkt wird: „Diogenes hatte sein Faß irgendwo hier stehen“; das ist lustiger als beabsichtigt.

Noch eine kleine Blutenlese von Entgleisungen (in Auswahl): Die mykeni- sche Zeit wird offenbar mit der mittel- helladischen Kultur geglichen „oder einfacher der Bronzezeit“ (sie war das Späthelladikum, der letzte Abschnitt der Bronzezeit). Die Lakedaimonier sollen den trojanischen Krieg gewonnen haben (nicht Agamemnon, der König von Mykene). Später nennt man uns „die lakedaimonischen Könige und ihre rauhen Söldnerheere“; aber im Sparta der Perserkriege gab es noch gar keine Söldner.

Summa summarum: ein herrlicher Stoff, vortreffliches (und meist einschlägiges) Bildmaterial, Zusammenstellung und Kommentare deprimierend.

Der Verfasser ist Ordinarius Für Römische Geschichte, Altertumskunde und Epigraphik an der Universität Wien.

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