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,Umfunktionierte' Sprache

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Große kompilatorische Emsigkeit und offensichtlich ein heißes Bemühen zeichnen das Buch „Verhexte Muttersprache“ von Richard W. Eichler aus, welches sich im Untertitel für den Interessierten noch als Abhandlung über „Das Deutsch von heute — Spiegel der Torheiten“ empfiehlt. Es ist erfreulich, daß sich immer wieder Sprachdenker und Sprachforscher finden, die dem guten Deutsch nachspüren, man denke nur an Engel, der «nst viele Bücher darüber verfaßt hat, oder an den Linzer Autor Stummer, der zwar selbst kein großes Deutsch schreibt, aber den Sprachdummheiten ernstlich zusetzt. Da es sich bei den Sprachdenkern meist um Fanatiker handelt, geraten sie einander gern in die Haare und dulden vor allem keine andere Meinung beim Laien. Sogar Karl Kraus hielt einen Menschen, der ein unzulängliches Deutsch schrieb, für charakterlich defekt. Von ihm stammt ja auch das schöne Wort: Je näher man ein Wort ansieht, um so ferner blickt es zurück. Und damit hat er einen stärkeren Ansatz zur Sprachreinigung gegeben, als etwa der sicher gutwillige Richard W. Eichler, der unter dem gleichen Umstand leidet, den man bei den Predigten in der Kirche beklagen muß: die sie hören, sind ja ohnehin Gläubige. Und die so ein Buch zur Hand nehmen, sind gewiß nicht diejenigen, die Eichler ganz zu Recht anprangert: etwa den Redner, der mit Vorliebe daher-schwadroniert: „Ich darf bemerken ... ich darf darauf hinweisen“ oder „Ich würde denken.“ Wollte er solche Leute treffen, er müßte viel giftiger sein, müßte darauf hinweisen, daß „Ich würde denken....“ doch heißt, daß der Betreffende nicht denkt. Er aber beschränkt sich auf die systematische Aufzählung von Fehlern und Ungereimtheiten, von schrecklichen Eindeutschungen und Abbreviaturen.

Nochmals müssen wir Karl Kraus zitieren, dessen „Sprachlehre“ heute noch ihre Furchen im Denken der Schreibenden und Lesenden zieht: Er hätte gewiß keinen Satz in der Einleitung zu einem Buch geduldet, der die folgende geradezu mehlige deutsche Formulierung gebraucht: „So ist auch die Sprache in unseren Tagen auf das Wirken einer Minderheit von Sprachbewußten angewiesen, damit die Dummheiten von heute nicht zur Regel von morgen werden.“ Dieses kuriose, im Vordersatz nicht begründete „damit“ hätte ihn zur Raserei gebracht. Das finale Moment liegt ja darin, daß die Sprachbewußten wirken müssen, nicht in dem Umstand, daß die Sprache darauf angewiesen ist. Wäre das ganze Buch so witzig ausgestattet, wie die Aufstellung auf Seite 167, dann könnte man von ihm mehr Wirkung erwarten: dort gibt Eichler eine Aufstellung von gestaltlosen, aber höchst brauchbaren Wörtern wieder, die er in „Readers Digest“ gefunden hat:

funktionelle/Idendifikations/-pro-blematik, oder progressive/Fluktuations/-kompo-nente, oder qualifizierte/Drittgenerations/ phase — und so weiter.

Jedes der ersten Wörter kann mit jedem folgenden beliebig und wirksam zu einer Redefloskel verbunden werden, also: Funktionelle Fluk-tationsphase, oder: Qualifizierte Identifikationskomponente und so fort. Immer klingt's hochgebildet und wird Eindruck schinden. Nun, wir haben mit unserem „Umfunktionieren“, mit unserer „Selbstverwirklichung“, mit den „Genostrukturen“ ganz hübsche ähnliche Beispiele an der Hand. Hier müßte der Hebel ansetzen. Aber dazu ist das Buch zu sachlich. So gut es also gemeint ist, einen durchschlagenden Effekt wagen wir ihm nicht zu prophezeien.

Vielleicht hat es einen netten Erfolg, das wäre ihm zu wünschen.

VERHEXTE MUTTERSPRACHE. DAS DEUTSCH VON HEUTE — SPIEGEL DER TORHEITEN. Von Richard W. Eichler. Mit Bildtafeln. Adam-Kraft-Verlag, München.

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