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UNO vor „Apokalypse" durch Separatismus
Eine „apokalyptische Situation" könnte sich nach den Worten des UdSSR-Botschafters bei den Vereinten Nationen in Wien, Roland M. Timerbaev, für die UNO ergeben, wenn zur schwierigen Lage angesichts der Golfkrise noch das Problem des Separatismus hinzukäme. In einem Gespräch mit der FURCHE weist er auf die globale, nicht nur sowjetische Dimension separatistischer Tendenzen hin. „Soll die UNO zwei tschecho-slowakische, sechs jugoslawische, 15 sowjetische Republiken und etwa auch ein unabhängiges Quebec anerkennen?" Der Westen - so Timerbaev - habe sich 1943/44 einem Stalin-Vorschlag widersetzt, damals alle 16 Sowjetrepubliken als Mitglieder der neu zu schaffenden UNO zu akzeptieren.
Der Ständige Vertreter der Sowjetunion bei den Wiener Internationalen Organisationen befürwortet eine Art Referendum in den unabhängigkeitswilligen sowjetischen Teilrepubliken, sollten diese auf ihre Bestrebungen insistieren. Gorbatschow allein könne diesbezüglich nichts entscheiden, selbst wenn der Westen Druck auf ihn ausüben sollte. Timerbaev, der darauf hinweist, daß ein neuer Unionsvertrag am 17. Dezember im Kongreß der Volksdeputierten debattiert werden soll, spricht sich für einen demokratischen, nicht totalitären und gewaltlosen Prozeß aus, an dem alle Bewohner einer Republik, auch deren ethnische Minderheiten, beteiligt sein müßten.
Dem jüngst von Alexander Sol-schenizyn präsentierten, in der Sowjetunion heftig diskutierten Vorschlag der Bildung eines Großrußlands - bestehend aus Rußland, der Ukraine, Weißrußland und einem großen Teil Kasachstans kann der Botschafter wenig abgewinnen, weil auch diese Republiken nach größerer Autonomie strebten. „Solsche-nizyns Vorstellungen beruhen nicht auf konkreten Analysen", betontTi-merbaev. Deswegen erfahren Sol-schenizyns Thesen „im Volk mehr Kritik als Zustimmung".
Hinsichtlich der alten Brüderschaft der COMECON- beziehungsweise Warschauer Pakt-Länder weist der UdSSR-Vertreter darauf hin, daß es günstig wäre, würde die Region Osteuropa wegen ähnlich gelagerter ökonomischer und ökologischer Probleme auch weiterhin gemeinsam in der UNO auftreten. Den Warschauer Pakt plane man aber „in ein, zwei, drei Jahren langsam auslaufen zu lassen". Dasselbe müsse auch für die NATO gelten, fordert Timerbaev. Gleichzeitig verlangt er die Ersetzung der Blöcke durch ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem, dessen Entwicklung bereits im Gange sei. Ob in diesem Zusammenhang die Zahl der Neutralen in Europa zunehmen wird, könne er nicht sagen.
Botschafter Timerbaev betont abschließend, daß er an ein Weiterbestehen des Marxismus-Leninismus in der sowjetischen Gesellschaft glaube, weil dieser - wie andere Ideologien und Glaubensüberzeugungen auf „Zusammenfassungen der Erfahrungen ganzer Generationen" beruhe. (Wortlaut Seite 3).
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