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Von den falschen Alternativen
Nichts ist leichter zu handhaben als das vorgeprägte Wort. Nichts ist verführerischer, nichts fließt gefälliger von den Lippen, nichts rinnt angenehmer ins Ohr, als die durch Wiederholung glatt und geschmeidig gewordene Phrase, nichts ist allerdings auch gefährlicher und tödlicher als die Phrase. Am gefährlichsten ist die religiöse Phrase. Nichts ist davor gefeit, zur Phrase zu werden, niemand darf sich sicher wähnen vor der Phrase. Zur Phrase kann alles werden, was gedankenlos gesagt wird. Wenn der Gedanke, der einmal Wort geworden war, tot ist, bleibt eine leere Lauthülse übrig. Mit diesen Worthülsen wird dann in der Diskussion herumgeworfen, je toter, desto härter und treffsicherer scheinen sie.
Wer zuerst einmal den Gedanken der Verchristlichung der Welt gedacht hat, hat etwas Umwälzendes gedacht, ihm ist klargeworden, daß die Welt uns zur Aufgabe gestellt ist, daß der Christ sich nicht vor dieser Welt verstecken, diese Welt nicht verachten darf, daß er nicht flüchten darf. Der gefährlichste aller Egoismen ist der religiöse Egoismus, der meint, es genüge, wenn man selbst gerettet wird, möge die Welt, mögen die Mitmenschen zugrundegehen. Wer als erster den Gedanken von der Verchristlichung der Welt, von der Solidarität aller Christenmenschen gedacht hat, der mag vor der Größe der Aufgabe gezittert haben. Durch die Wiederholung verlor dieses Wort vieles von seiner Gewaltigkeit, vieles von seiner Größe, es wurde abgegriffen zur kleinen Münze, zum Jahresthema katholischer Organisationen, so als ob man die Welt nun einmal in einem Jahr verchristlichen könne, wenn man sich das nur so richtig vornähme.
Das soll kein Vorwurf sein, gegen niemanden. Wir alle, auch die sogenannten engagierten Christen, haben sich dabei nichts Böses gedacht. Gerade einem Journalisten würde ein Vorwurf schlecht anstehen, nimmt er doch täglich das vorgeprägte Wort, die gefällige Phrase in den Mund. Weder er noch der Leser braucht sich dabei allzuviel zu denken, bekannt klingt sie ja auf jeden Fall.
Wer sich zuerst Gedanken gemacht hat, wieweit die Kirche und die Katholiken in die Gesellschaft hineinwirken können und mit welchen Mitteln sie dies tim sollten, hat ebenfalls eine Schwelle der Isolation überschritten, den Kreis der Selbstbetrachtung durchbrochen. Heute gibt es keine Tagung, keine Konferenz, keinen Arbeitskreis, wo nicht über die „gesellschaftspolitische Präsenz“ der Katholiken gesprochen würde. Unter dieser gesellschaftspolitischen Präsenz werden vielfach Forderungen an die anderen formuliert, an den Staat, an die Regierung, an die Parteien, an die Massenmedien, an Rundfunk und Fernsehen. So als ob diese nur darauf gewartet hätten, von den Katholiken, oder besser gesagt von bestimmten katholischen Organisationen Aufträge, Befehle, Erwartungen entgegenzunehmen. Wir können nicht streng genug sein, wenn es um die öffentliche Moral geht. Bei unserer eigenen Privatmoral sind wir schon großzügiger.
Wer je in seinem Leben um eine Entscheidung gerungen hat, der weiß, wie schwer es sein kann, sich entscheiden zu müssen. Er wird trachten, solche Situationen soweit wie möglich zu vermeiden und er wird sich auch hüten, andere leichtfertig vor Entscheidungen zu stellen. Dies muß nicht Bequemlichkeit, muß nicht Angst, muß nicht Feigheit sein, sondern kann auch Rücksichtnahme, Hilfe, Menschlichkeit sein. Und so gesehen ist es nicht menschlich und daher nicht christlich,' von anderen Entscheidungen zu fordern, wo sie nicht unbedingt notwendig sind.
Jesus hat seine Jünger nur vor eine Alternative gestellt: Man kann nicht Gott und dem Mammon zugleich dienen. Aber ist es nicht gerade das, was wir täglich zu tun versuchen, Gott und dem Mammon zu dienen? Der Mammon, das ist unser Egoismus, unsere Egozentrik, unsere Bequemlichkeit, unsere Verfallenheit an Produktion und Konsum. Und daneben schielen wir ein wenig nach Gott. Und für alles haben wir ein hübsches Wort parat, ein gefälliges Wort, ein Wort, das ins Ohr geht
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