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„Von Natur aus sündhaft"

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Der ungewöhnliche Kremser Kongreß des Instituts für mittelalterliche Realienkunde der österreichischen Akademie der Wissenschaften (Leitung Harry Kühnel) beleuchtete das Alltagsleben der Frau im Spätmittelalter und damit anhand der Quellenlage gleichzeitig ihre Stellung in dieser Zeit. Mediävisten, Kunsthistoriker, Germanisten, Soziologen und Rechtswissenschaftler waren zugegen. Interessanterweise wiesen die männlichen Referenten neben vermögensrechtlichen auch andere Ansätze zur Gleichberechtigung nach und hoben die Position der Frau als relativ zufriedenstellend hervor. Die weiblichen Vortragenden brachten hingegen alarmierende Fakten über die Stellung der Frau auf der Ebene von Sklaven oder Haustieren zu Gehör, von der deutlich anderen emotionalen Bewertung gar nicht zu reden.

Unter dem massiven Einfluß eines überkommenen Frauenbildes auf der Basis der kirchenväterlichen Theorie der Frau als Wesen, das sozusagen nur aus Mängeln besteht, wurde den Frauen eine unvereinbare Doppelrolle aufgezwungen, die sie in eine mit Erbsünde schwer belastete, verführerische und der Fleischeslust verfallene Eva und eine hochgepriesene Maria spaltete, sie zugleich dämonisierte und idealisierte.

Uber sich selbst nachzudenken war ihr über den vielen ihr zugemessenen Aufgabenbereichen -

auch des „Kindergewinnens" -nicht möglich. Sie erfüllte gehorsam alle in sie gesetzten Erwartungen und an sie delegierten Arbeiten, während die Männerwelt sich mit abstrakten Konzepten über die Welt begnügte. Sie nahm Schuldzuweisungen und widersprüchliche Zuschreibungen auf sich. Sie war züchtige Hausfrau und Mutter oder verachtete Hure, Jungfrau mit gesenktem Blick und — in Frankreich — Heilpraktikerin oder Chirurgin, freilich ohne zur Ärztin promovieren zu können. In Flandern war sie als verantwortliche Verwalterin und Steuereinnehmerin tätig, bis unter einer Zentraladministration solche Stellen bezahlt und daher von Männern eingenommen wurden. In Italien arbeitete sie als un-honorierter Partner in Männerhandwerken und -geschäf ten, und sie war gleichberechtigte Spitalspflegerin und -administratorin in einer Laienbruderschaft, bis diese sich als Orden etablierte und für Frauen nur mehr niedrige Dienste übrigblieben.

Stets stand über ihr das Züchtigungsrecht, (wenn nicht sogar -pflicht!) des Mannes, der damit ihre „natürliche Sündhaftigkeit und angeborene Geschlechtslust" in Zaum halten zu müssen glaubte. Sie schuldete ihm absoluten

Gehorsam „ohne jedes Zeichen von Mißfallen" und eheliche Treue, auch wenn er untreu war, hatte sich auch um seine Bastarde zu kümmern — und sie durfte bald nicht mehr lesen lernen.

Obwohl „moralisch und verstandesmäßig weit unter dem Manne stehend", erfüllte sie die Aufgabe, ihn zu erziehen und seine Fehler auszubessern- je mehr desto stärker —, damit ihr gemeinsames Konto am Jüngsten Tag ausgeglichen wäre. Dabei durfte sie ihm keine Vorhaltungen machen, ihm nicht widersprechen und keine eigenen Entscheidungen treffen — wenn sie „zänkisch" war, kam sie an den Pranger! Zu den Hexenverfolgungen und ihren Greueln war es dann nur ein logischer Schritt.

Die vefmögensrechtliche

Gleichstellung vor dem Gesetz half der Frau wenig. Allein konnte sie diese kaum in Anspruch nehmen, sie schöpfte die Gesetzeslage — außer in einer Prosperitätsperiode in Polen — gar nicht aus. (Das klingt sehr vertraut.) Bei selbständiger Tätigkeit war sie, bei den Beginen, nicht vor Diffamierung sicher, und als Prostituierte lebte sie am kriminellen Rand einer Gesellschaft, die dennoch ihrer Dienste nicht entraten konnte. Wenn sie für „männliche" Tätigkeiten bezahlt wurde, dann schlechter. Was auch schon wieder vertraut klingt.

Nur wissen wir nach diesem anregenden Kongreß endlich etwas genauer, welche Wurzeln dies hat.

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