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Was alles war Fouché ?

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Dieses Werk eines in seinen Zwanzigerjahren stehenden Verfassers, erschien 1901 und nimmt wohl für alle Zeiten einen festen Platz unter den Klassikern der französischen Geschichtsschreibung ein.

Was alles war Fouché? In der Soutane Physiklehrer im Kolleg der Oratorianer von Arras, Freund Robespierres, Abgeordneter zum Konvent, Terrorist in Nevens, Moulins und neben \Collot d’Herbois in Lyon, Präsident des Jakobinerklubs, Drahtzieher bei der Vernichtung Robespierres, um sein eigenes Leben zu retten, mit seinem Rat Gracchus Babeuf dienend, aber am 13. Ven- démiaire an Seite von Barras stehend, Gesandter in Mailand und in Holland, Polizeiminister unter dem Direktorium und nach dem 18. Brumaire der einflußreichste Minister Bonapartes, der ihn brauchte und dabei mißtraute. Aus dem Kartätscher von Lyon wurde der Schutzengel der Emigranten. Napoleons verletzender Spott brach sich an der Schlagfertigkeit Fouchés. Der Kaiser warf ihm vor: „Sie haben doch für den Tod des Königs gestimmt“, und erhielt die Antwort: „Ja, Sire, und das war der erste Dienst, den ich Eurer Majestät zu leisten imstande war.“ Als Napoleon 1809 von geheimen Verbindungen Fouchés mit England erfuhr und ihn absetzen wollte, hielt ihn Talleyrand zurück: „Fraglos hat Fouché Unrecht, auch ich würde ihn ersetzen, alber nur durch einen einzigen Mann: durch Fouché.“ Während zweier Monate des Jahres 1813 Gouverneur des Königreichs Illyriens, glückte ihm der von Feind und Freund bewunderte friedliche Abzug der Franzosen. In Neapel beriet er Murat in dessen zweideutiger Haltung. So lang er kannte, trat er für die Nachfolge des Königs von Rom und die Regentschaft von Marie-Louis ein, entschied sich aber rechtzeitig für die Rückkehr der Bourbonen. Vielleicht waren es die 100 Tage, in denen seine Meisterschaft die Höhe erreichte. Polizeiminister und eigentlicher Leiter der Innen- und Außenpolitik, zeigte er seine von Metternich gerühmte weise Mäßigung den Royalisten gegenüber, gewährte Pressefreiheit, hob die Zensur auf und erstickte durch kluge Verhandlung einen Aufstand der Vendée. Er gab den letzten Anstoß zur Abdankung Napoleons, rettete Paris und die letzte französische Armee vor einer aussichtslosen Schlacht.

Ludwig XVIII. ernannte, von Wellington und Talleyrand beraten,

Fouché zu seinem Minister und der Königsmörder leistete in die Hände des Königs seinen achten Treueid. Erst die ihm übel gesinnte „chambre introuvable“ brachte Fouché zu Fall, wie bald danach Talleyrand. Er ging als Gesandter nach Dresden. Anfang 1816 wurde er, weil er seinerzeit für den Tod Ludwigs XVI. mit der überwältigenden Majorität gestimmt hatte, entlassen und verbannt. Metternich gewährte ihm ein Asyl in Prag. 1818 übersiedelte er nach Linz, wo er ein gastliches Haus führte, und schließlich nach Triest, wo er, mit Jerome und Elisa, Napoleons Geschwistern, befreundet, starb. 1885 wurden seine sterblichen Reste nach Frankreich überführt.

Was für ein Mann! Das unerreichbare Vorbild des Polizeiministers, der zugleich die innere und äußere Politik beeinflußte, an Klugheit von keinem seiner Zeitgenossen übertroffen, auf der geistigen Höhe eines

Metternich und eines Talleyrand, der echte Politiker, der sich stets «n die Deichsel spannen ließ, um nicht unter die Räder zu kommen. Zyniker und Opportunist, verstand er durch 35 Jahre immer sich jener Partei zuzuwenden, von welcher er voraus sah, daß sie ans Ruder kommen werde. Damals waren die Politiker noch nicht fest an eine Partei gebunden und konnten noch von der Freiheit Gebrauch machen, ihre Meinung zu wechseln. Fouché besaß außergewöhnlichen Mut und zeigte vor dem Kaiser- und dem Königsthron seine selbstbewußte Überlegenheit Seine Treue beschränkte sich auf Frankreich.

Madelin bietet eine durchaus objektive Darstellung ohne jede Beschönigung oder Verherrlichung. Er läßt die Taten für und gegen ihn sprechen und diese geben zugleich ein getreues Bild von den Macht- Verhältnissen zur bewegtesten Zeit Frankreichs.

FOUCHE 1759—1820. Von Louis M eiti elin. Societäts-Verlag, 374 Seiten, DM 25.—.

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