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Weißer Rabe unter den Intendanten

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Er ist für viele ein Begriff, vielen auch ein Freund, jüngeren Künstlern meist ein Freund und Förderer: Walter Erich Schäfer, seit 1949 23 Jahre Intendant der Württembergischen Staatstheater, Stückeschreiber für Theater j und Hörfunk. Dem Sprechtheater wie der Oper und dem Ballett gleichermaßen verbunden, ein weißer Rabe unter den deutschen Intendanten, der innerhalb von zehn Jahren mit Hilfe des Tänzers, und Choreographen John Cranko aus einem Stadttheaterensemble ein Ballett von Weltformat gemacht hat.

Er widmete sich aber auch zeitgenössischen Komponisten, brachte alljährlich mindestens eine Uraufführung der totgesagten Gattung Oper heraus, war in Wien, wo er nicht die besten Erfahrungen gemacht hat, Kodirektor Karajang — und ist ein überaus fesselnder und sympathischer Erzähler. Einer nämlich, der viel erfahren hat und weiß, von Schaffenden und Interpreten, auch sehr Persönliches von Kunst' lern, mit denen er befreundet war. Aber er berichtete darüber ohne Indiskretion, wenn auch auf sehr subjektive Weise, und über seine Sympathien und Antipathien läßt er keinen Zweifel.

Vor allem aber: der Leser glaubt und vertraut dem großen alten Monn, der die oft schwierigen Eigenschaften dieses merkwürdigen Stammes der Schwaben, der dem Österreicher meist nicht ganz geheuer ist, von der positivsten und liebenswürdigsten Seite zeigt. Denn Schäfer ist ein Urschwabe, auf einem Bauernhof inmitten großer Wälder aufgewachsen, wanderte zwar bald ins Bayerische ab, ist aber ein bis in die Faser gefärbter „Schwöb“ geblieben.

Wer einmal, auch nur ein einziges Mal, Gelegenheit hatte, mit ihm zu sprechen, womöglich in seinem Stuttgarter Stammhaus (wobei aus dem für eine halbe Stunde vorgesehenen Gespräch leicht ein zweistündiges wurde), der hat den großen alten Mann nicht ohne Bereicherung an Wissen, an Rat, Erkenntnis und Einsichten verlassen.

Das ganze Buch aber, dieser Lebensbericht eines Theatermannes, Opernliebhabers, Ballettfans und Freundes großer Künstler, ist ein Hohelied aufs Ensembletheater, das weder berühmte Sänger als Gäste noch Gastregisseure ausschließt. Eines der schönsten, bedeutendsten und verständnisvollsten Kapitel ist Wieland Wagner gewidmet, den Schäfer liebt wie einen Sohn und dessen Genie er frühzeitig erkannte. Bei ihm in Stuttgart hat Wieland Wagner mehr Neuinszenierungen (26) gemacht als in Bayreuth. Dabei hatte Schäfer fast während seiner ganzen Intendantenzeit Günther Rennen sozusagen als Ilaus-regisseur (mit nicht weniger als 48 Inszenierungen), der gemeinsam mit dem Hausdirjgenten Ferdinand Leitner so etwas wie einen Stuttgarter Stil ausgebildet hat. Das Repertoire war ebenso mustergültig wie die einzelnen Aufführungen: Die geradezu ergreifenden Seiten über John Cranko könnten unter dem Motto stehen „Leben mit einem Genie“. Sie seien jedem, der diesen frühverstorbenen Künstler schätzte, zur Lektüre empfohlen.

Aber auch mit seinen Behörden wußte Schäfer umzugehen, und das war bei den sparsamen Schwaben nicht einfach. Aber schließlich war ja auch Schäfer Schwabe, und alles, was auf dieser Ebene spielt, weckt beim Leser Heiterkeit und Schmunzeln. Er hat sieben Kulturminister überlebt und sich ihnen anpassen müssen — aber zum Glück hatte er einen Bürgermeister — genannt soll er werden: Dr. Arnulf Klett — mit dem er sich bestens verstand. Schäfer mußte jahrelang als Sparintendant fungieren — ein bitteres Los. Aber u'ie man aus der Not eine Tugend machen kann, dies nachzulesen und zu überdenken sei besonders dem österreichischen, speziell dem Wiener Leser empfohlen.

BÜHNE EINES LEBENS. Erinnerungen. Von Walter Erich Schäfer. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart. 300 Seiten, S 246.40.

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