6797086-1971_15_20.jpg
Digital In Arbeit

Wie Jesus in Ägypten…

Werbung
Werbung
Werbung

Das Flüchtlingsproblem ist im 20. Jahrhundert ein anderes geworden, als es im 19. Jahrhundert gewesen war. Damals war die Frage, ob man polnische Veteranen oder russische Nihilisten in einem westlichen Staat beherbergen wollte, eine rein politische; ihre Zahl war keine solche, daß sie zu einer wirtschaftlichen Belastung werden konnten. Heute sind es jeweils Tausende, die flüchten wollen, nicht weil sie unzufrieden sind, sondern weil sie für ihr Leben fürchten. Doch gleichzeitig ist es seit der großen Arbeitslosigkeit der dreißiger Jahre so, daß jede Regierung vor jedem Zuwachs an Menschen zittert. Wird eine Regierung um Zuflucht gebeten, dann fragt sie ganz natürlich: Wie kommen wir da zu? Weil es bei uns gesittet zugeht, sollen wir durch Einwanderung Hungriger bestraft werden? Als Juden aus Deutschland zu flüchten begannen, fragten die freien Länder so — mit gräßlichem Ergebnis. Man Will daher Flüchtlingen allgemeine Rechte geben. Nun ist aber der Fall Österreichs ein besonderer. Österreich ist das erste freie Land, das von zwei bis drei unfreien Ländern aus zu erreichen ist; wenn man Österreich nur Pflichten und keine Hilfe zuteilen würde, müßte es durch diese Sachlage wirklich schwer belastet werden. Das Flüchtlingsproblem begann denn in Österreich gleich bei Kriegsende — zu einer Zeit also, als das Land „befreit, aber nicht frei“ war. In wesentlichen Din gen galt der Wille der Befreier und Besatzer; und so kam es, daß die Ortsnamen Lienz und Bleiburg blutbefleckt im Gedächtnis bestimmter Völker haften. Seither hat sich vieles entscheidend geändert. Internationale Stellen mit allerhand Initialennamen (deren Vielfalt den hilflosen Flüchtling in bestürzte Verlegenheit bringt) haben Rechtesätze verschiedenster Herkunft zugleich mit österreichischen Stellen anzuwenden; die formalen Belange sind ebenso mühsam wie die sachlichen Schwierigkeiten der Einzelfälle, die doch menschliches Schicksal darstellen. Hochwillkommen ist daher ein Handbuch, welches in diese nur allzu verwickelte Materie Einsicht gewährt. Auch aus ihm ist zu ersehen, wie ehrenhaft Österreichs Bemühungen in dieser traurigen Angelegenheit bisher sind.

DIE ORGANISATION DES FLÜCHTLINGSWESEN S IN ÖSTERREICH SEIT DEM ZWEITEN WELTKRIEG. Von Yvonne von Stedingk. Abhandlungen von Flüchtlingsfragen, Band VI. Treatises on Refugee Problems (with a Summary in English). Fürst-Franz-Josef - von-Liechtenstein-Stiftung. Braumüller, 1970. S 160.—.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung