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Wozu der Zauber?

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Spöttische Beobachter verziehen den Mund zu einem geringschätzigen Lächeln: Der Sommer ist da und damit beginnen in Osterreich auch die kleinen und großen Festspiele allerorts. Kein Dorf ohne Festspiel. Es kommt noch so weit, daß man jene Gemeinden, die zur Sommerzeit für die Kultur nichts tun, wird suchen, wird als Oasen der Ruhe und der Bescheidenheit eigens auszeichnen müssen. So lautet die hämische Kritik.

Jene Spötter und Ubergescheite, die hinter jeder Geste einen niedrigen Beweggrund wittern, führen die allgemeine Lust am Veranstalten von Festspielen auf drei Beweggründe zurück: Eitelkeit, Ehrgeiz und Gewinnsucht.

Sie meinen, die kleinen und - das Wort wird gedacht, allerdings selten ausgesprochen - provinziellen, die im Ausleben ihrer Eitelkeit unbefriedigten Küngel und Cliquen finden sich auf den Festspielbühnen zusammen, um einmal im Jahr aus dem Schatten zu treten und sich von einem anspruchslosen Publikum beklatschen zu lassen.

Dadurch stellt sich - so raunt man weiter - Hintertupfing neben Salzburg, Wien, Bregenz, Graz und Forchten-stein, und das biedere Landvolk findet also neue Gründe, die Tatkraft seiner lokalen Politiker zu bewundern.

Nicht genug damit: Die Angelegenheit bringt vielleicht auch noch Geld: die Investitionen werden über die Einnahmen des Fremdenverkehrs zurückgewonnen, sodaß die Mimen und Musikanten eigentlich die Kosten der projezierten neuen Kläranlage oder des geplanten Schwimmbades erspielen.

Und also - so lautet die Schlußfolgerung jener Schöngeister in arroganten Höhen - wozu nehme man das sommerliche Treiben wirklich ernst?! Kunst wird ja ohnehin nur in den Metropolen und auch dort nur in den Geheimzirkeln der Eingeweihten produziert!

In Wirklichkeit sind die sommerlichen Festspiele wahrhaft wichtige Ereignisse einer aus sich selbst schöpfenden, sich unentwegt erneuernden, heiteren und kräftigen Kultur.

Ihre Gegner befinden sich bezeichnenderweise in den beiden extremen Positionen des Kulturbetriebes: sie sind entweder überreich dotierte Snobs, die die elementare menschliche Lust an Fest und Spiel nicht mehr verstehen, oder verbitterte Ideologen eines gesellschaftlichen Umsturzes um jeden Preis, denen das fröhliche Treiben nicht in den Kram paßt.

Erlaubt ist, nach ihrer Meinung, allein, was die Grundsätze unseres derzeitigen Zusammenlebens radikal in Frage stellt oder - das ist das Mindeste - die Haltlosigkeit und Morbidität eines im Absterben begriffenen Systems zum Ausdruck bringt. Nicht zum ersten Mal in der Geschichte bilden Snobs und Totschläger eine absurde Allianz.

Die großen, mit gewaltigen Mitteln versorgten, sich um Stars kristallisierenden Festspiele, also vor allem die

Bühnen von Salzburg, Wien, Bregenz, Forchtenstein und die des „steirischen Herbstes” haben ihre eigene Problematik. In gewisser Hinsicht sind die vielen kleinen Festspiele wichtiger. Sie sind freundliche Mittelpunkte findiger und opferbereiter Aktivitäten; sie lassen auch die Amateure, also die Freunde der Kunst - an der schöpferischen Arbeit Anteil nehmen: sie sind mit einem Wort Bewegungen gegen Gleichmut und Passivität.

In einer Gesellschaft, die gewohnt ist, alles auf die Kosten-Nutzen-Rechnung zu reduzieren, sind alle Bewegungen zu begrüßen, die im Zeichen der menschlichen Ganzheit über den einseitig ökonomischen Aspekt hinweggehen und unsere Sehnsucht nach dem mit materiellen Mitteln nicht faßbaren Traum artikulieren: unser Streben nach Glück nicht durch Konsumieren, sondern durch Denken und Fühlen, unseren Wunsch, nicht nur untätige Empfänger neuer technischer Apparate zu sein, sondern auch Mitarbeiter eines Spiels.

Denn es ist fraglich, ob all die famosen technischen Erfindungen , die uns der lästigen Aufgabe entheben, mit den eigenen Füßen gehen, mit den eigenen Augen sehen, mit dem eigenen Kopf denken zu müssen, wirklich einen kulturellen Fortschritt und eine geistige Bereicherung bedeuten, oder ob sie uns in zunehmendem Maße zwingen , von fremden Energien abhängig zu sein. Die vielen kleineren Festspiele sind in diesem Sinne fröhliche Rebellionen gegen eine uns drohende Welt der seelischen Surrogate und geistigen Prothesen.

Die unmittelbare Begegnung mit namhaften Schauspielern, sonst nur aus dem Rundfunk bekannten Musikern, schärft den Sinn für selbstständige Kritik und steigert die Fähigkeit, den schöpferischen Akt des' Künstlers mitfühlend nachzuvollziehen. Aber auch die Großen der Bühne und der Konzertsäle gewinnen Inspiration durch die Begegnung mit einem für sie neuen Publikum - so helfen Festspiele, die Routine zu überwinden.

So gewinnen gerade die kleineren, die übersichtlichen Festspiele eine gleichsam kultische Bedeutung: Unter freiem Himmel versammelt sich die festlich gestimmte Gesellschaft, stärkt sich im Gefühl der Gemeinsamkeit, erlebt, wenn die Produktion geglückt ist, die befreiende Kraft des Lachens, manchmal auch die Katharsis der Tragödie, erahnt die große, für unser Wissen oft bereits verlorengegangene Einheit von Mensch und Natur, überwindet die kleinlichen und beängstigenden Sorgen des Alltags.

Wozu also der Zauber? Um uns selbst zu verzaubern: um uns wenigstens für den einen Abend des Festes in einsichtigere Wesen und nachdenklichere Menschen zu verwandeln - mit Hilfe der Kunst. Diese übt sich bei den kleineren Festspielen gewiß nicht in steifer Perfektion, sondern bietet uns die Frische und die köstliche Vitalität des schöpferischen Augenblicks.

Wer die vielen Festspiele nicht mag, ist nicht gezwungen, sie zu besuchen. Er ziehe sich getrost in die Grottenbahn einer gekünstelten Kunst zurück. Uns aber lasse man die erfrischende Freude am verwegenen Fest.

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