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Zeit des Schwärmens

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Nach fast dreijähriger Vorbereitungszeit konnte in der Galleria Nazio- nale d’Arte Moderną in Rom die Ausstellung „Die Nazarener in Rom“ eröffnet werden. Die Rückkehr der Nazarener-Bilder nach Rom, wo sie vor ungefähr 150 Jahren entstanden waren, bewirkte einen breiten Publikumserfolg.

Dem vor einigen Jahren neu erwachten Interesse an der Kunst der romantischen Strömungen wurde bereits in ei

nigen bemerkenswerten Ausstellungen Rechnung getragen. 1977 veranstaltete das Städelsche Kunstinstitut in Frankfurt eine umfangreiche Nazarener-Ausstellung, im gleichen Jahr wurde in Wien in der österreichischen Galerie Johann Scheffer von Leonhardshoff vorgestellt, 1979 zeigte die Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum in Graz Zeichnungen und Druckgrafik dieser Gruppe.

Das Erwachen des Nationalgeistes und die bildungsbetonten Bestrebungen der Aufklärung führten in der Kunst

zur Ausbildung des Dualismus von Klassizismus und Romantik, der die stilhistorische Lage um 1800 charakterisiert.

Während die Klassik die Antike zum Ideal neuer Größe und damit zur geistigen Norm erhebt, ist das Vorbild der Romantik in der engeren, nationalen Tradition zu suchen. Ein unter der Fremdherrschaft Napoleons gesteigertes Nationafgefühl und eine oft pietisti- sche Frömmigkeit werden zum Glaubensbekenntnis eines neuen Subjektivismus, der in Wackenroders „Her’zer- gießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ und Tiecks Roman „Franz Sternbalds Wanderungen“ literarisch formuliert ist.

In Wien wurden Friedrich Schlegel und der missionseifrige Redemptoristenpater Clemens Maria Hofbauer die Führer einer religiösen Neuerungsbewegung, die ihr Ziel in einem katholisch geeinten Europa nach mittelalterlichem Vorbild sah. Schlegels Aufruf zur „ewigen Revolution“, zur Pflege einer religiösen, neudeutsch ausgerichteten Kunst, wurde von den Studenten der Akademie freudig aufgenommen. Als Absage ap die nüchtern akademische Glätte des Historismus, die Routine sowie den strengen Lehrbetrieb an der Wiener Akademie unter Heinrich Füger, gründeten Overbeck, Pforr, Win- tergerst, Vogel, Hottinger und Sutter den Lukasbund. Diese Künstlergruppe wird zur Keimzelle der nazarenischen Strömung, einer eigenständigen Entwicklung innerhalb der Romantik.

An diese Kerngruppe, die 1810 nach Rom übersiedelte, schließen sich Schnorr von Carolsfeld, Veit, die Brüder Olivier, Scheffer von Leonhardshoff, Führich u. a. an. Catel, Carstens, Janssen und Koch, die nur am Rande diesem Kreis zugezählt werden können, sind im Sinne einer vollständigen Dokumentation in die Ausstellung mitein- bezogen.

Ihr weltabgeschiedenes, strengen sittlich religiösen Regeln mönchischer Bruderschaften verpflichtetes Leben im Kloster San Isidoro am Monte Pincio sowie das äußere Zeichen ihrer Gemeinschaft, die in der Mitte gescheitelten langen Haare, trugen ihnen den Spottnamen Nazarener ein. Gemeinsam verfolgten sie das Ziel einer Erneuerung der „alten, heiligen Kunst des Mittelalters“, ihre Ideale waren Dürer, Raffael und Perugino.

Diese auf die Vergangenheit ausgerichtete Gesinnung stößt schon bei ihren Zeitgenossen, wie zum Beispiel Goethe, auf Ablehnung. Selbst Schlegel, der als Anreger der nazarenischen Bewegung gilt, warnt vor einer übertriebenen sentimentalen Frömmigkeit und hatte damit bereits die Gefahren einer programmatischen Kunsttheorie, welche die Nazarener mit sektiererischem Eifer vertraten, erkannt. Gerade durch diese dogmatische Forderung nach Religiosität und Patriotismus war ein Zug ins Genrehafte oft unausbleiblich und durch eine idyllisch gefühlsbetonte Darstellungsweise der Weg zur

Trivialisierung der religiösen Bildgestaltung nicht mehr weit - eine Gefahr, auf die in dieser Ausstellung allerdings durch den zeitlichen Rahmen von 1810 -1830, die Blütezeit der Bewegung also, nicht hingewiesen wird.

Die innige, romantischen Dichterfreundschaften ähnliche Beziehung der Nazarener untereinander, das schwärmerische Gefühl der Verbundenheit, fand seinen künstlerischen Niederschlag im gegenseitigen Porträt sowie in allegorischen Freundschaftsdarstellungen. Die feinsinnigen Arbeiten von Cornelius, Ramboux, Pforr, Scheffer von Leonhardshoff und Overbeck, dessen Selbstbildnis aus den Uffizien übrigens als einziges Exponat aus italienischem Besitz stammt, geben Zeugnis von den qualitätvollen Leistungen der Nazarener auf diesem Gebiet. Overbecks allegorisches Gemälde „Italia und Germania“ wurde durch seinen aktuellen Bezug, der Versinnbildlichung italienischdeutscher Beziehungen, zum Programmbild der Schau.

Die Landschaftsmalerei, eine der Grundthemen der Romantik, wurde bisher in der kunstgeschichtlichen Bearbeitung der Nazarener eher vernachlässigt. Sie kamen dabei, wie die Ausstellung beweist, zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen, die von nüchtern verhaltenen Aussagen bis zu einer fast naturalistischen Bildgestaltung mit romantischem Stimmungsgehalt reichen.

Sämtliche Themen sind mittelalterlichen Stilprinzipien entsprechend in strenger, flächiger Komposition gegeben. Aus der Vorherrschaft der Linie gegenüber der Farbe, die in glatter, lasurartiger Technik aufgetragen wird, und dem Streben nach Perfektion resultiert die Vorliebe der Nazarener für die Zeichnung, der in dieser Ausstellung mit 120 Exponaten großer Raum gegeben wird.

Äußerer Anlaß für das Zustandekommen der Ausstellung war die Restaurierung der Fresken im Gartenhaus des Marchese Carlo Massimo, bei denen die Nazarener erstmals wieder die Technik des echten Freskos aufgegriffen haben. Zwei, mit profunder Kenntnis der kunst- und geistesgeschichtlichen Hintergründe geschriebene Aufsätze des Katalogs befassen sich mit diesen großangelegten Wandmalereien, an denen von 1817 bis 1829 Peter von Cornelius, Friedrich Overbeck, Julius Schnorr von Carolsfeld, Ferdinand Olivier, Joseph Anton Koch und Josef von Führich arbeiteten.

Die Ausstellungsgestaltung lag in den Händen von Klaus Gallwitz, der bereits 1977 die vielbeachtete Nazarener-Ausstellung in Frankfurt konzipiert hatte und von Giorgio de Marchis, dem Leiter der Nationalgalerie für moderne zeitgenössische Kunst in Rom. Der umfangreiche Katalog mit Beiträgen namhafter Experten, wie Michael Krapf (österreichische Galerie, Wien), der den österreichischen Beitrag zur Ausstellung besorgt hat, wird auch in deutscher Sprache erscheinen.

Die Autorin ist Kunsthistorikerin am österreichischen Kulturinstitut in Rom.

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