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Zu westlichen Verhältnissen

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In Ungarn stieg die Zahl der Verlage in den letzten Jahren sprunghaft an. Heute erleben sie eine schwierige Phase. Die schlechten allgemeinen Wirtschaftsdaten führten zu hohen Abgaben, Kapitalmangel und geringer Kaufkraft des Publikums, sagte Märta Haas, die Leiterin des Budapester Verlages „Mobil". Für anspruchsvolle Literatur sei immer weniger Platz in den Regalen. Dies bedrohe die kulturelle Vielfalt im Lande.

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In Ungarn stieg die Zahl der Verlage in den letzten Jahren sprunghaft an. Heute erleben sie eine schwierige Phase. Die schlechten allgemeinen Wirtschaftsdaten führten zu hohen Abgaben, Kapitalmangel und geringer Kaufkraft des Publikums, sagte Märta Haas, die Leiterin des Budapester Verlages „Mobil". Für anspruchsvolle Literatur sei immer weniger Platz in den Regalen. Dies bedrohe die kulturelle Vielfalt im Lande.

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FURCHE: Seit wann besteht Ihr Verlag und wie ist er organisiert?

MARTHA HAAS: „Mobil" entstand 1989, ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Privatwirtschaftsgesetzes. Er steht im Besitz der Mitarbeiter.

FURCHE: Was publizieren Sie?

HAAS: Einige wichtige Titel sind das Buch zum Film „Es war einmal in Amerika", ein Buch zur Psychologie der Frauen oder ein Ratgeber für alle jene, die an der Aktienbörse reich werden möchten. Zu unserem ständigen Programm zählen verschiedene Zeitschriften.

FURCHE: Wovon lassen Sie sich bei der Themenauswahl leiten?

HAAS: Der wichtigste Faktor ist dabei sicherlich die erwartete Nachfrage. Persönliche Interessen, etwa nach anspruchsvoller Literatur, müssen in den Hintergrund treten.

FURCHE: Ist Ihr Programm aussagekräftig für das Geschehen am ungarischen Buchmarkt?

HAAS: Freilich gibt es alle möglichen Verlage, die ein umfassendes Angebot bieten, doch ist wertvolle Literatur heute weit weniger gefragt, als zum Beispiel Ratgeber zum Aktiengeschäft, zum Kochen, zur Gesundheit et cetera oder auch pornographische Literatur.

FURCHE: Wie sind die Existenzbedingungen für Ihren Verlag und wie sehen Sie die Lage dieses Wirtschaftszweiges insgesamt?

HAAS: Kurz gesagt, schlecht. Schuld daran ist einerseits die sich verstärkende Konkurrenz durch immer mehr Verlage, andererseits sind es die veränderten politischen Rahmenbedingungen. Ab 1989 gewährte der Staat neben Zuschüssen noch eine

Steuererleichterung von 80 Prozent. Vor einiger Zeit fielen diese Begünstigungen. Mit der Privatisierung ehemals staatlicher Verlage hat sich der Staat nun gänzlich aus diesem Bereich zurückgezogen. Nachlassendes staatliches Engagement ist neben dem Kulturbereich auch im Bildungs- und Sozialwesen zu verzeichnen. Und diese negativen Tendenzen werden durch die geringe Kaufkraft der Menschen (mit einem Durchschnittsgehalt sind Bücher kaum erschwinglich) verstärkt. Die Statistik zeigt, wie sich das auf die Verlagsbranche insgesamt auswirkt:

1989 haben 40 Verlage 7.600 Titel mit einer Gesamtauflage von 108 Millionen Büchern produziert. 1992 bestanden 1.000 Verlage (600 arbeiteten kontinuierlich), die 7.700 Titel, aber nur mehr 80 Millionen Exemplare auf den Markt brachten. Eine Ausnahme waren die 113 Millionen von 1990. Sie sind auf das Erscheinen zahlreicher Geschichtsbücher, betreffend die Jahrzehnte der KP-Herrschaft, zurückzuführen.

Meiner Meinung nach gibt es in Ungarn zwei Verlagsgruppen: die neuentstandenen und die Nachfolger der ehemaligen Staatsverlage. Letztere sind zwar steuerrechtlich gleichgestellt, haben aber den Vorsprung der Erfahrungen und bestehender Strukturen.

FURCHE: Die Veranstalter der Triestiner Buchmesse „Librografica " haben sich zum Ziel gesetzt, zwischen west- und osteuropäischen Verlagen und verwandten Produktionsbereichen (Druckerei, Graphik) zu vermitteln. Informationen über Neuerscheinungen, Nachfrage, Übersetzungsmöglichkeiten sollen ausgetauscht, Handel und Zusammenarbeit intensiviert werden. Was erwarten Sie sich von einer Ost-West-Kooperation?

HAAS: Was die ungarischen Verlage brauchen, ist Geld und Know-How über die Marktmechanismen. Das würde auch die Publikation wertvoller Literatur erleichtern und den kulturellen Pluralismus in Ungarn sichern helfen.

FURCHE: Welche Erfahrungen mit ausländischen Investitionen gibt es in Ungarn?

HAAS: Westliche Finanziers haben sich am Zeitungsmarkt eingekauft. Ihr Ziel, schnell Gewinn zu machen, wurde aber nicht erreicht, denn die Werbeausgaben der Unternehmen sind noch sehr gering. Im Buchsektor sind mir keine ausländischen Investitionen bekannt.

Das Gespräch mit Dr. Märta Haas führte Günther Guggenberger.

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