"Eine Form von Regulativ im LITERATURBETRIEB"

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Vor 55 Jahren wurde die Österreichische Gesellschaft für Literatur gegründet. Geschäftsführer Manfred Müller im Gespräch über Literaturvermittlung, Subventionen und Veränderungen.

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Vor 55 Jahren wurde die Österreichische Gesellschaft für Literatur gegründet. Geschäftsführer Manfred Müller im Gespräch über Literaturvermittlung, Subventionen und Veränderungen.

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Seit mehr als 15 Jahren ist der Literaturwissenschaftler Manfred Müller in der 1961 gegründeten Österreichischen Gesellschaft für Literatur (ÖGfL) in der Wiener Herrengasse tätig. 2014 übernahm er die Geschäftsführung.

DIE FURCHE: Vor welche Herausforderungen steht eine derart geschichtsträchtige Institution?

Manfred Müller: Einerseits gibt eine geschichtsträchtige Institution eine Richtung vor. Die ÖGfL war von Anfang an als Salon angelegt. Wir sind kein Theater, keine Bühne, wo nur etwas präsentiert wird, wir sind, schon was unsere Lage und die Ausstattung der Räume anbelangt, ein halb privater Ort, ein Ort der Diskussion, des Gesprächs. Das ist als Abgrenzung zu anderen Einrichtungen sehr wichtig. Andererseits muss weiterentwickelt werden, was entstanden ist. Die ÖGfL hatte im Sinn ihres Gründers Wolfgang Kraus drei Schwerpunkte. Der erste war die Vermittlung von Gegenwartsliteratur aus Österreich. Einen Ort anzubieten, wo eine Diskussion stattfinden kann über das, was gerade geschrieben wird, war damals, 1961, völlig neu. Der zweite Schwerpunkt war das Zurückholen jener Autorinnen und Autoren, die von den Nazis vertrieben wurden, die flüchten mussten und zu jener Zeit zum größten Teil noch nicht wieder in Wien gewesen waren. Kraus brachte Autoren und Wissenschaftler wie Manès Sperber, Erich Fried, Martin Esslin nach Wien.

DIE FURCHE: Und dann war da noch der Sprung über den Eisernen Vorhang ...

Müller: Ja, Autorinnen und Autoren, die jenseits des Eisernen Vorhangs schrieben, sollten Möglichkeiten für Auftritte und Publikationen erhalten. Das war ein sehr komplexer, auch sehr politischer Schwerpunkt. Wir haben im Februar ein Forschungsprojekt über die Geschichte der ÖGfL begonnen - da spielt auch dieser Punkt eine große Rolle: die Kontaktanbahnung, die Finanzierung - wie ist das alles passiert, mit wem hat Kraus Kontakt gehabt, mit wem hat er reden können, dürfen und müssen. Ursprünglich spielte in seinen Überlegungen der Mitteleuropagedanke mit, auch der Gedanke, die alten Länder im Osten der Habsburgermonarchie wieder anzubinden an Wien, also nach dem Zweiten Weltkrieg einen Zustand wiederherzustellen, den es um die Jahrhundertwende gab.

DIE FURCHE: Diese Themen haben sich im Lauf der Zeit ziemlich verändert ...

Müller: Ja, die Emigranten spielen mittlerweile natürlich eine kleinere Rolle in unseren Aufgaben, aber es gibt nach wie vor Kontakte und einen thematischen Schwerpunkt in diese Richtung. Auch im Bereich der Literatur in Mittel-,Ost-und Südosteuropa hat sich mit und seit dem Fall des Eisernen Vorhangs sehr viel verändert. Die Kontakte, die von der ÖGfL in den 60er und 70er-Jahren fast monopolartig betrieben werden konnten, sind mittlerweile von vielen anderen Institutionen mit übernommen worden. Trotzdem sind unsere Aufgaben immer noch wichtig: Wir betreuen im Auftrag des Außenministeriums die Österreichbibliotheken, vergeben Übersetzerstipendien, vermitteln Autorinnen und Autoren ...

DIE FURCHE: Auch die Vermittlung österreichischer zeitgenössischer Literatur hat sich fundamental gewandelt ...

Müller: Die Szene ist heute eine völlig andere ist als zu Anfang der 60er-Jahre. Noch in den 80er-Jahren haben drei öffentlich geförderte Institutionen - die Alte Schmiede, das Literaturhaus und wir - weit mehr als die Hälfte aller Literaturveranstaltungen in Wien abgedeckt, die es damals gegeben hat. Mittlerweile sind es noch gute 10 Prozent, obwohl wir alle ein größeres Programm haben als damals. Jetzt gibt es unzählige andere Orte, wo man zu Buchpräsentationen hingehen kann: Buchhandlungen, Cafés, Gasthäuser, Bibliotheken, Theater. Allein deshalb, und um sich von dieser Masse abzuheben, muss man sich auf das konzentrieren, was der eigentliche Auftrag einer öffentlich geförderten Institution ist. Und so gesehen sind wir heute sicher auch eine Form von Regulativ in einem immer größer werdenden, extrem heterogenen Literaturbetrieb.

DIE FURCHE: Ein Regulativ in Bezug worauf?

Müller: Wir versuchen, den Markt auszugleichen. Auch denen eine Stimme zu geben, die am Markt aus welchem Grund auch immer nicht reüssieren, nicht nur die Bücher zu präsentieren, die von vornherein einen großen Verkaufserfolg garantieren, nicht nur die Autoren zu präsentieren, die aufgrund ihrer medialen Präsenz ohnehin bekannt sind. Wenn eine Buchhandlung Lesungen macht, muss sie mehr als wir darauf achten, dass das Publikum bringt und sich das Produkt Buch verkauft. In der ÖGfL geht es eben nicht darum, dass das Buch gut verkäuflich sein muss. Natürlich könnte man oft mehr Publikum ansprechen als zum Beispiel mit kleinen österreichischen Lyrikbänden, die aber, denke ich, wichtig sind und präsentiert werden müssen. Die Kriterien, nach denen wir auswählen, sind daher völlig andere. Auch was die Präsentation, Moderation, das Drumherum betrifft, sind unsere Aufgaben andere.

DIE FURCHE: Im Buch "Der Kulturinfarkt. Von Allem zu wenig und überall das Gleiche. Eine Polemik über Kulturpolitik, Kulturstaat, Kultursubventionen" forderte unter anderem der Direktor der Schweizer Kulturstiftung "Pro Helvetia" 2012 das Ende der gegenwärtigen Subventionskultur, vor allem bei Museen und Theatern. Künstler und Kulturvermittler sollten statt dessen marktgerecht produzieren. Was sagen Sie dazu?

Müller: Die Kulturszene ist sehr heterogen. Es gibt aber Bereiche, in denen der Verlust von Förderungen bedeuten würde, dass diese Bereiche verschwinden. Ohne Literaturförderung würde ein großer Teil der Literatur gar nicht in Buchform erscheinen, würden die meisten österreichischen Verlage nur schwer existieren, würden Autoren nicht leben können. Abgesehen davon sind die Summen, die in der Literaturförderung ausgegeben werden, bei sehr großer Wirkung vergleichsweise niedrig.

DIE FURCHE: Die Frage ist ja auch, ob es Aufgabe des Staates ist, die Masse der Kulturproduktion zu erhalten, zu vergrößern ...

Müller: Ich meine: Ja, weil es niemand anderen gibt, der es tun könnte. Es gibt in einem kleinen Land wie Österreich kaum Mäzenatentum, kein Stiftungswesen, die so wie in anderen Ländern eine breitere Kulturproduktion garantieren könnten. Und es gibt, zumindest in der Literatur, eben keinen Markt, der dafür sorgt, dass viele ohne Förderungen existieren können. Österreich präsentiert und definiert sich im Ausland immer mit Kultur, gerade auch aus gegenwärtiger Produktion: Da finde ich es nur angemessen und logisch, wenn es dann diese Form von kulturellem Leben auch fördert. Man kann dann aber auch nicht sagen, ich fördere nur die Besten. Das ist ein bisschen wie in der Schuldiskussion: Man kann bei Achtjährigen oder Zehn-oder Zwölfjährigen in den seltensten Fällen sagen, aus dem wird was und aus dem nichts. Wenn der Staat also am Anfang nicht breit fördert, bleibt am Ende nichts übrig, womit er sich rühmen könnte. Kulturförderung ist daher immer auch damit konfrontiert, dass es Leute gibt, die irgendwann aufhören zu schreiben, aber eben auch welche, von denen man nicht erwarten konnte, dass sie jemals den Stellenwert haben würden, den sie nun haben. Wenn man also Literatur in Österreich im gewohnten, gewachsenen Ausmaß haben will - und gerade im deutschsprachigen Raum spielt die österreichische Literatur eine weit größere Rolle als die Einwohnerzahlen es erwarten ließen -, dann ist Kulturförderung die einzige Möglichkeit.

Die Furche: Die ÖGfL fördert auch, indem sie Autoren für ihre Auftritte entlohnt.

Müller: Ja, eine erschreckende Entwicklung ist, dass es zwar immer mehr Veranstaltungen gibt, Autorinnen und Autoren aber immer öfter ohne Honorar auftreten sollen. Das ist fatal. Von einem Buch, das in Österreich als Erfolg gilt, verkauft man ein paar Tausend Exemplare; man braucht lange, um es fertigzustellen, sitzt für einen Roman vielleicht zwei Jahre daran; für jedes Exemplar kriegt man zum Beispiel zwei Euro. Da kommt, wenn man nur vom Buchverkauf leben müsste, ein Stundenlohn heraus, der lächerlich ist. Es gibt daher in Österreich auch nur ein paar Leute, die ausschließlich davon leben können. Und deshalb sind Lesehonorare ein wichtiger Bestandteil des Einkommens.

Die Furche: Es gab immer kritische Stimmen über die politische Verflechtung und ideologische Ausrichtung der ÖGfL, es gab die Einteilung hier konservativ, dort links. In dieser Hinsicht dürfte sich im österreichischen Kulturbetrieb einiges verschoben haben?

Müller: Ja, sicher. Es gab diese Einteilungen lange. Die Ausrichtung der ÖGfL und ihres Gründers Wolfgang Kraus hat, nachdem die Szene sich zu entwickeln begann und die ÖGfL ihre Alleinstellung verloren hatte, auch Kritik verursacht. Kraus war jahrzehntelang unglaublich präsent in der literarischen Szene, er war nicht nur der Leiter der ÖGfL, er war auch im Außenamt aktiv, in Fernsehen und Radio präsent, er war Lektor des Europa- und des Zsolnay-Verlags und hat Kritiken geschrieben: Es gab wahrscheinlich wenige Möglichkeiten, als Autorin oder Autor an ihm vorbeizukommen, zumindest in den 60er-Jahren und Anfang der 70er-Jahre. Franz Schuh zum Beispiel hat in mehreren Texten als junger Autor Kraus geradezu als Reizfigur aufgebaut. Ich glaube aber nicht, dass irgendjemand, der die Szene kennt, heute noch sagen kann, dass es in der ÖGfL ideologische, politische, ästhetische Abgrenzungen gibt, wie sie Kraus, der bis 1993/94 Leiter der ÖGfL war, nachgesagt wurden. Es ist sicher auch ein Verdienst von Kraus' Nachfolgerin Marianne Gruber, dass sie die ÖGfL wieder geöffnet und zu einer Institution, die auch im Inland stark vernetzt ist, erweitert hat.

Das Gespräch führte Brigitte Schwens-Harrant

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