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J. G. Hamann: Sämtliche Werke

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Historisch-kritische Ausgabe von Josef Nadler. Thomas-Morus-Presse im Verlag Herder, Wien 1949. 1. Band, 349 Seiten

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Historisch-kritische Ausgabe von Josef Nadler. Thomas-Morus-Presse im Verlag Herder, Wien 1949. 1. Band, 349 Seiten

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Die literarische Welt ist Zeuge eines ungewöhnlichen Ereignisses: zum erstenmal vernimmt sie die Stimme des „Magus des Nordens' mit der ganzen ihr eigenen Breite und Kraft. Das bedeutet: Der Quell des Stromes, der Klassik und Romantik hieß, wird damit zum erstenmal allen sichtbar. Denn es ist jedenfalls auch in der wechselvollen Textgeschichte unserer größten Autoren ungewöhnlich, daß seit eineinhalb Jahrhunderten alles Urteilen über Hamann ein Urteilen über einen Bruchteil seines gesamten Werkes war. Das Hamann-Bild Goethes, Fr. Roths, Hegels, Gildemeisters, ja selbst Rudolf Ungers fußte einzig auf den von Hamann selbst zum Druck beförderten Schriften. Nun aber, da das geistige Abenteuer, das Hamann-Ausgabe heißt, aus dem Stadium des Erwägens und Planens in das der Verwirklichung tritt, nun wird zum erstenmal der Vorhang von dem geheimnisvollen Urbild des Magus mit liebevoller Hand hinweggezogen. Damit finden Planungen ihren Abschluß, die im Jahre 1770 noch von Hamann selbst als Forderung und Vermächtnis aufgestellt worden waren. Wer eindringendere Unterweisung fordert, sei auf den grundlegenden Rechenschaftsbericht Josef Nadlers, „Die Hamann-Ausgabe" 1930, in den Schriften der Königsberger Gelehrtengesellschaft, Geisteswissenschaftliche Klassiker, Heft 6, nachdrücklichst verwiesen. Dort ist der für die Hamann-Ausgabe zuständige „Roman eines Romans" getreulich berichtet; die Grundsätze, nach denen die in zwei Abteilungen (je eine der Werke und der Briefe)

aufzubauende historisch-kritische Ausgabe gestaltet werden muß, sind bis in letzte Einzelheiten (wie zum Beispiel des im Hinblick auf die Fußnoten erforderlichen Großoktavs oder im Hinblick auf die Frage: Trennung oder Nichttrennung von Werken und Briefen, chronologische oder „geistig begründete Sachgruppe“) eingehend erörtert. Wir entnehmen diesem für das Verständnis der vorliegenden Ausgabe grundlegenden Vorbericht die ungewöhnliche Tatsache, daß die Briefe Hamanns eine noch größere Zahl von Bänden als das Werk selbst, nämlich sieben, in Anspruch nehmen sollen. Einstweilen jedoch haben wir es einzig und allein mit den Werken selbst zu tun, die vom Herausgeber auf sechs Bände verteilt werden. Eine kurze Übersicht über sie soll hier orientieren:

Band 1, „Das Tagebuch eines Christen", bringt überhaupt zum erstenmal die gesamte Masse von Hamanns Londoner Aufzeichnungen von 1758 auf 400 Seiten, während die bisher einzig zugängliche Ausgabe von Roth den gleichen Londoner Betrachtungen nur 75 Seiten Kleinoktav eingenäumt hat. Band 2, „Leben, Philosophie, Kritik", soll Hamanns Schriften der ersten Periode enthalten. Band 3, „Sprache, Mysterien, Vernunft", bringt die bedeutendsten Werke Hamanns. Band 4, „Kleine Schriften", läßt in die geistige Werkstatt des Journalisten, Theologen, Philosophen, Pädagogen und Übersetzers blicken. Band 5, „Der Bücherfreund", zeigt Hamann als den ungeheuren Bücherfresser, der er in der Tat war, und druckt das Verzeichnis seiner Bibliothek ab. Band 6, „Schlüssel und Leben", soll einen Kommentar zu den vorangehenden Bänden sowie einen gedrängten Lebenslauf

Hamanns enthalten. Hier ist nun der Ort, schon jetzt auf die in nächster Zeit erscheinende große Biographie Hamanns von Josef Nadler zu verweisen (485 Seiten, Verlag Otto Müller, Salzburg). Der Leser wird Leben und geistergeschichtliche Bezüge hier ausführlich erörtert finden und so den lebendigsten Kommentar zur historisch-kritischen Ausgabe in Händen halten. Eine ausführliche Würdigung dieses Buches in der „Furche" ist in Aussicht genommen.

Der Inhalt des ersten der geplanten acht Bände ist durch das erste Wort des Bandes gegeben: „Gott ein SchriftstellerI" Die geschlossene Masse der in diesem Bande vereinigten Londoner Aufzeichnungen, Bekenntnisse in der Zeit tiefster Seelennot wi e seligster Verzückung, münden alle in die Betrachtung des Wortes Gottes, der Sprache als Weg vom Du Gottes zum Ich des Menschen. Nicht Bibelkommentar, Exegese sind diese Erörterungen zur Bibel und zu Kirchenliedern, sondern Betrachtungen, Kritik der eigenen Seele am Wegweiser der Heiligen Schrift. Wer Hamanns Werk auch bloß im bisher zugänglichen Umfang kennt, ahnt sofort, daß mit der hier publizierten Schriftengruppe der Keim zu allem aufgeht, was die folgenden Bände vor dem Leser ausbreiten werden. Eines läßt dieser Band schon klar hervortreten. Diese Blätter „bezeugen Hamann zum erstenmal als das religiöse Genie, das er gewesen ist..." und „daß die geistige Wurzel des großen achtzehnten Jahrhunderts, des Klassizismus wie der Romantik, deren beider Vater Hamann war, religiösen Ursprungs ist" (S. 321). Vielleicht wird es nötig sein, nach Abschluß dieser neuen, höchst verdienstvollen Ausgabe und nach Erscheinen der Biographie das Bild von Klassik und Romantik einer Revision zu unterziehen.

Literatur für die Jugend. Wohl zum ersten Male nach dem großen Kriege liegen auf dem Büchertisch heuer auch wieder Kinder- und Jugendbücher, deren künstlerische Gestaltung dem Range der Erzähler entspricht. Dieser doppelten Anforderung genügt in hohem Maße das Volksbuch für Jung und Alt und Wissenschaft „Sagen und Geschichten aus Oberösterreich' von Karl Paulitsch (Oberösterreichischer Landesverlag Linz), dessen graphischer Schmuck (Maria Grengg) sich würdig dem reichen Inhalt einfügt. — In noch prächtigerer Ausstattung hat der Verlag Carl Ueberreuther, Wien, Robinsonaden aus der Feder des Polarfahrers Franz Bžhounek unter dem Titel „Meuterei auf der Bounty" herausgebracht. Im gleichen Verlag begann mit „Dr. Dolittle und seine Tiere' und „Dr. Dolitt- les schwimmende Insel' eine Neuausgabe der in allen Weltsprachen verbreiteten klassischen Jugendbücher Hugh Loftings mit den Originalillustrationen des Autors — Inhalt, Ausstattung und Druck gleich erfreulich. An der Grenze für Jugendliche und Erwachsene liegt die besinnlich-heitere Lektüre von Pankraz Schuks „Aus dem Skizzenbuch einer Kindheit.

Bubengeschichten' (Bernina-Verlag, Wien). Für die Kleineren hat der österreichische Bundesverlag in Friederike und Gustav Tsdiiedels „Die Wurzelmännchen', ein Waldmärchen, und in Berti Haydes-Gustav Tschie- dels „Eisenerz erlebt den Frühling" eine reizende Schneemanngeschichte Iierausge- bracht, deren frische klare Prosa gleich sauber illustriert ist. Konservativer in Bild und Text, von echter kindlicher Frömmigkeit erfüllt geben sich Jolanthe Haßlwanders farbige „Blumenlegenden" (Bernina-Verlag, Wien). Zu den wertvollsten Neuerscheinungen gehören in diesem Jahre die flüssig übersetzten und bezaubernd illustrierten zwei Märchenbüchlein des früh verstorbenen ungarischen Bühnen- und Jugendschriftstellers A. M. Gaal, „Das Laternenmännlein" und „Der Märchenprinz' (Verlag Dr. E. Mensa, Wien); hier ist eine originelle kindliche Menschen- und Dingschau in blühende Sprache gekleidet; hier leuchtet ein kosmisches Weltbild von der dichterischen Kraft Waldemar Bonseis auf; hier sind Kästner-Töne.

Heiliges Wien. Von Dr. Alfred Missong, Wiener Dom-Verlag 1949. 390 Seiten.

Der hochgeachtete Verfasser hat seinen Führer durch die Wiener Kirchen und Kapellen unter fleißiger Berücksichtigung der seit dem ersten Erscheinen eingetretenen, zumeist durch kriegerische Einwirkungen entstandenen Bauschäden umgearbeitet. So kann er eine — vielleicht die erste — fast vollständige Übersicht des sakralen Baubestandes nach dem schrecklichen Kriege bieten. Damit tritt ein neuer Vorzug des Buches zu den früheren. Die Ordnung nach Bezirken erleichtet die Benützung bei Führungen und beim Unterricht. Andächtige Besucher der Gotteshäuser werden manche fromme Anregung empfangen, Geschichtsfreunde eine dankenswerte Hilfe bei ihren Wiener Kunst- wanderungbn finden.

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