Ausbildung - aus für die Bildung?

Werbung
Werbung
Werbung

Zwei Schülerinnen über ihre Eindrücke vom ersten "Forum Sacré CSur" mit dem Erziehungswissenschaftler Alfred Schirlbauer zu "Visionen für die Schule von morgen".

Die ursprüngliche Idee der Schule war es, den Schülern ein möglichst breites (Allgemein-)Wissen zu vermitteln, um sie zu denkenden, urteilsfähigen Menschen zu erziehen. Dies kann man auch sehr deutlich aus dem traditionellen Lehrplan ersehen: Die sogenannten septem artes liberales (sieben freien Künste), zu denen Mathematik, Logik, Grammatik, Philosophie, Latein, Griechisch und Gymnastik zählten, bildeten das Rüstzeug eines freien Mannes, der durch seine Bildung zum geistig geschulten und von der Vernunft geleiteten Menschen wurde. Bildung sollte den Geist anregen und eine feste Basis, eine Art Fundament für das weitere Leben schaffen.

Ausbildung bedeutet im Gegensatz zu Bildung, dass genau jene Bereiche gelehrt werden, die später im Berufsleben wichtig sind. Dieses Konzept ist der Ausgangspunkt für die Spezialisierung und auch Kommerzialisierung des Schulwesens. Alfred Schirlbauer prognostiziert - anhand des entsprechenden EU-Weißbuchs - ein weiteres Fortschreiten der Spezialisierung in den nächsten Jahrzehnten. Vor allem aber würden große Konzerne die Schulen verstärkt via Sponsoring beeinflussen und so festlegen, was gelehrt wird. Sie würden in "ihren" Schulen genau jene Arbeitskräfte heranbilden, die sie (glauben zu) brauchen.

Demgegenüber ist Schirlbauer generell davon überzeugt, dass es kaum Sinn macht, in der Schule Wissen in genau jenen Bereichen zu erwerben, mit denen man dann ohnehin das ganze Leben lang konfrontiert ist. Im Unterricht solle der junge Mensch nicht unter dem Gesichtspunkt von Brauchbarkeit Wissen anhäufen - sondern denken lernen. Von daher hält es Schirlbauer auch für wenig sinnvoll, dass lebende Fremdsprachen oder Informatik im Lehrplan enthalten sind. Englisch oder Französisch ließen sich genauso gut während eines einjährigen Auslandsjahres erlernen; und wahrscheinlich habe keiner der anwesenden Schüler seine Computerkenntnisse tatsächlich im Informatikunterricht, sondern wohl viel eher in der Freizeit erworben, so der Referent. Statt dessen plädiert er für Hebräisch als Fremdsprache - dies schule, ähnlich wie Latein und Griechisch, das logische Denken...

Wie sich dann bei der Diskussion zeigte, war Schirlbauer von einigen falsch verstanden worden. So wurde seine Forderung nach Hebräisch heftig kritisiert und auch z.T. ins Lächerliche gezogen. Schirlbauer konkretisierte: Es gehe ihm nicht um die Einführung eines Hebräischunterrichts an allen Schulen, sondern darum, dass im Zuge der Spezialisierung auch Platz sein müsste für solche Nischen.

In den Wortmeldungen aus dem Publikum wurde freilich vielfach vehement das Prinzip "Ausbildung statt Bildung" vertreten. So wurde zum Beispiel sogar der Wunsch nach dem Schulfach "Wie bewerbe ich mich richtig" artikuliert. Dies sei wenig sinnvoll, hielt dem Schirlbauer entgegen, da sich ja dann alle auf dieselbe Art und Weise um Stellen bewerben würden...

Alles in allem ein äußerst interessanter Abend - auch wenn man die Meinung des Vortragenden nicht in allen Punkten teilen und nicht allen seiner doch teilweise ziemlich düsteren Zukunftsvisionen Glauben schenken möchte.

Julia Macho, 8b

Gleich eingangs ging Alfred Schirlbauer mit dem Weißbuch der Europäischen Kommission von 1996, "Lehren und Lernen auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft", welches eine Annäherung von Schule und Unternehmen forciert, hart ins Gericht. Abgesehen vom grammatikalischen Unfug einer "kognitiven Gesellschaft": Lernt und lehrt man nur, um der Gesellschaft etwas Gutes zu tun? Ist das höchste Lernziel Konkurrenzfähigkeit? Was ist mit Mündigkeit, Emanzipation, Bildung? Der wahre Zweck des Menschen sei Bildung, dazu benötige er Freiheit, sagte schon Humboldt um 1800. Deshalb misstraute Humboldt der Politik, weil er sich der Illusion nicht hingeben wollte, dass diese vollkommen selbstlos Geld in Bildung investiere.

Auch Schirlbauer misstraut der (Bildungs-)Politik. Heute bestehe die Gefahr, Bildung nur noch im Hinblick auf die Anpassung an Entwicklungstendenzen zu sehen. "Learning on demand" scheint das neue Motto zu sein - zum Zwecke der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft.

Neben den Grundkompetenzen Lesen, Schreiben, Rechnen wird vermehrt auf IT-Kenntnisse, Fremdsprachen und soziale Fähigkeiten gesetzt. Deshalb wird in einem Länderbericht auch lobend von der Entlastung der Lehrpläne gesprochen. Es soll also ein Gegenwartsmensch gebildet werden. IT, Sprachen und soft skills sind heute bei nahezu jeder Berufswahl Voraussetzung oder zumindest von Vorteil. "Es wird in die Human-Ressourcen - das sind wir - investiert, um sie optimal zu nutzen", wie Schirlbauer es ausdrückt.

Wir stecken gegenwärtig in einer Krise aller gesellschaftlichen Institutionen: Schule, Familie, Militär etc. Diese Krise sieht Schirlbauer auch als Übergang von einer Disziplinargesellschaft in eine Kontrollgesellschaft. In der Disziplinargesellschaft lief das Leben als eine Folge von an bestimmte Institutionen gebundenen Phasen ab: von der Schule zum Militär, dann auf die Universität, in die Arbeitswelt und zum Schluss ins Altersheim. Dazwischen gab es verschiedene Formen des "Freispruchs", etwa in Form eines Abschlusszeugnisses.

In der sich neu bildenden Kontrollgesellschaft werden die Institutionen gedrosselt, Schulen beispielsweise werden wie Unternehmen gehandhabt; es gibt keine "Freisprüche" mehr, sondern nur noch nahtlos ineinander übergehende Abschnitte, die Idee des "permanenten Lernens" ersetzt den alten Bildungsgedanken.

Das "Unternehmen Schule" wird in den Reformvorschlägen der vom Bildungsministerium eingerichteten Zukunftskommission skizziert. Es sollen Qualitätsstandards eingeführt werden, wie in den Betrieben für die Produkte. Die Schaffung von Leitbildern, Entwicklungsprogrammen und Zielsetzungen führt zur Selbstevaluierung und somit zum Selbstmanagement, das dann wiederum evaluiert wird - wodurch ein großer Arbeitsaufwand entsteht, der bewältigt werden muss.

Vor dem Hintergrund von GATS, einem Abkommen der Welthandelsorganisation WTO zur Liberalisierung von Dienstleistungen, sind auch die Tendenzen zur Ökonomisierung des Schulwesens zu sehen. Ob diese Entwicklungen aber zu einer Verbesserung des Schulsystems führen, ist ungewiss.

Marie-Therese Richter, 8a

Forum Sacré CSur

Unter diesem Titel veranstaltet das Wiener Gymnasium Sacré CSur im laufenden Schuljahr gemeinsam mit der Furche eine fünfteilige Gesprächsreihe. Den ersten Abend bestritt Univ.-Prof. Dr. Alfred Schirlbauer (Institut für Erziehungswissenschaften, Universität Wien) am 11. Dezember 2003 zum Thema "Visionen für die Schule von morgen". Schüler und Schülerinnen brachten danach ihre Eindrücke zu Papier, zwei der Beiträge veröffentlichen wir auf dieser Seite.

Zu Gast beim zweiten "Forum Sacré CSur" am Freitag dieser Woche ist Vizekanzler a.D. Erhard Busek, Sonderkoordinator des EU-Stabilitätspaktes für Südosteuropa. Das Thema des Abends lautet "Schule im Horizont des erweiterten Europa" (Moderation: Rudolf Mitlöhner, Die Furche). Eine Nachbereitung seitens der Schüler/innen ist wiederum vorgesehen.

Freitag, 23. Jänner

19.30 Uhr, Festsaal

1030 Wien, Rennweg 31

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung