Paradis - © Foto: Pixabay

Das Paradies auf Erden ist teuer erkauft

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Die nicht unumstrittene kirchliche Erneuerungsbewegung "Integrierte Gemeinde" will sich nun auch in Wien ansiedeln.

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Die nicht unumstrittene kirchliche Erneuerungsbewegung "Integrierte Gemeinde" will sich nun auch in Wien ansiedeln.

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Ein Haus, ganz abgeschieden im Wald, wo die Integrierte Gemeinde zusammen Ostern feiert. Meditative Bilder darüber werden zu meditativer Musik im Anschluß an einen Vortrag des Theologen Gerhard Lohfink im Prälatensaal des Wiener Schottenstiftes gezeigt: Die Integrierte Gemeinde, eine "apostolische Gemeinschaft von Laien und Priestern im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils", wie sie sich selbst bezeichnet, versucht in Österreich Fuß zu fassen. Den 200 Zuhörern, die wöchentlich zur vierteiligen Vortragsreihe kommen, bietet die Integrierte Gemeinde das Bild einer harmonischen Gruppe von Menschen, die eine Form von Gemeinde leben, wie es sie vielleicht einst in der Urkirche gab. Da schlägt auch bei manch durchaus kritischem Theologen im Publikum das Herz höher.

Das "Paradies auf Erden" ist teuer erkauft, findet dagegen ein ehemaliges weibliches Mitglied: Bezahlt werde es mit dem Verlust der eigenen Entscheidungskompetenz, selbst in persönlichsten Fragen des Lebens: "Das einzige, was der einzelne in der Integrierten Gemeinde noch selbst entscheiden darf, ist, wann er auf die Toilette geht."

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Die Frage "Avantgarde oder Sekte?", die sich an obigem Beispiel aufzudrängen scheint, begleitet die Integrierte Gemeinde schon seit langem. Ausgangspunkt für die Gründung war die nach Kriegsende bewegende Frage, was der Kirche verlorengegangen sei, "daß ihre Gläubigen den Mord an den Juden im Dritten Reich nicht verhindern konnten". 1953 erwarben der Priester und Theologe Aloys Goergen und das Ehepaar Traudl und Herbert Wallbrecher ein Grundstück in Urfeld am Walchensee, 70 Kilometer von München entfernt, wo sie ein Festhaus bauten, in dem eine Gruppe Gleichgesinnter die Karwoche und die Osternacht gemeinsam begingen.

In den folgenden Jahren wurde aus dem losen Verband eine hierarchisch gegliederte Gemeinschaft, die zusammen wohnte, mit Gütergemeinschaft - und mit Konflikten: 1968 trennte sich Mitbegründer Goergen mit einigen anderen Mitgliedern von der Gemeinde, von der er zunehmend das Gefühl hatte, daß sie zur Sekte werde. Damit begann der Kampf der Integrierten Gemeinde um die kirchliche Anerkennung. Mittlerweile hat sie diese in sechs Diözesen erlangt: in Deutschland (München-Freising, Paderborn, Rottenburg-Stuttgart, Augsburg), Italien (Rom) und Tansania (Morogoro). Daneben gibt es auch noch Niederlassungen in Ungarn und in den USA. Laut eigenen Angaben zählen derzeit rund 1.000 Personen zur kirchlichen Erneuerungsbewegung, die heute neben mehreren Häusern und Schulen auch ein eigenes Spital und eine Pumpenfabrik besitzt.

Daß sich die Integrierte Gemeinde nun auch in Wien niederlassen will, macht jene hellhörig, die unangenehme Erfahrungen mit ihr gemacht haben. Paul Weß, Dozent für Pastoraltheologie in Innsbruck und viele Jahre Pfarrer der Wiener Intensivgemeinde "Machstraße", stand lange in Kontakt mit der Integrierten Gemeinde und lebte auch einige Monate mit der Gemeinschaft in München. Er anerkennt deren "ernsthaftes Bemühen, ein konsequentes Christentum zu leben". Daneben sieht er jedoch auch die Problematik, daß nicht mehr der einzelne zähle, sondern "das Volk als ganzes gesehen wird, fast als Kooperativperson".

Eine Erfahrung, die auch andere berichten. "Dem einzelnen wird die Möglichkeit der Erkenntnis des Willens Gottes vollkommen abgesprochen", berichtet die oben erwähnte Frau, die die Integrierte Gemeinde mittlerweile verlassen hat. Entscheidungen wie die Schulwahl der Kinder, über Eheprobleme und ähnliches, würden von den Gemeindeverantwortlichen getroffen: "Zuerst wird die Entscheidung als Rat formuliert, doch wenn man sich dagegen wehrt, wird man so lange niedergeschrien, bis man zustimmt." Häufig komme es zu Konflikten, wenn Kinder von ihren Eltern getrennt und in unterschiedliche Gemeindehäuser geschickt werden. Wer den Rat des Gemeindevorstandes nicht befolge und dann noch wage, beim Gottesdienst die Kommunion zu empfangen, werde sehr schnell der "Gotteslästerung" bezichtigt. So lange, bis man schließlich doch einen geforderten Brief an Gemeindegründerin Traudl Wallbrecher schreibe und sie darum bitte, die eigenen Kinder künftig in einem anderen Gemeindehaus unterzubringen ...

Freiwilligkeit

Die Gemeindeversammlung gebe nur einen Rat, die einzelnen hätten dann zu entscheiden, ob sie ihn befolgen oder nicht, meint dagegen Karl Zotter, gemeinsam mit seiner Frau Vorbote der Integrierten Gemeinde in Wien. Natürlich seien die Eltern für ihre Kinder selbst verantwortlich, aber der Rat der Gemeinschaft sei eine wichtige Hilfe. Freiwilligkeit herrsche auch im finanziellen Bereich. Jeder entscheide selbst, wieviel er von seinem Gehalt an die Gemeinschaft abgeben könne. "Aber manche sind mit dieser Entscheidung überfordert", meint Zotter: "Wir wollten am Anfang so viel hergeben, daß uns selber nichts mehr blieb. Da hat die Gemeinschaft gesagt: ,Das geht nicht, daß du keinen ordentlichen Anzug mehr hast, ihr müßt mehr für euch behalten.' Andere dagegen können an keinem Geschäft vorbeigehen, ohne etwas zu kaufen." Auch in solchen Fällen helfe die Gemeinde bei der Entscheidung, aber all das sei eine "gewachsene, lebendige Sache", weiß Zotter.

"Man kann die Integrierte Gemeinde nicht beschreiben, wenn man nicht längere Zeit mit ihr gelebt hat", meint der Theologe Gerhard Lohfink, der 1986 seinen Lehrstuhl für Neues Testament in Tübingen aufgegeben hat, um ganz mit der Gemeinschaft zu leben. Er hält alle Vorwürfe, die Integrierte Gemeinde weise sektenähnliche Strukturen auf, für "Verleumdungen", denn heute werde man sehr schnell "in die Schublade Sekte gesteckt". Das sei aber nichts Neues: "Jeder Orden mußte durch eine Phase, wo er verleumdet wurde, weil man an seine Form noch nicht gewohnt war", meint Lohfink. Und schließlich sei man ja kirchlich anerkannt.

Ein Privileg, das teuer genug erkauft wurde, findet Pastoraltheologe Weß, denn "um die Amtskirche" und vor allem jene ihrer Vertreter, die dem konservativen Lager zugerechnet werden, wie etwa Kardinal Josef Ratzinger, als Unterstützer zu gewinnen, sehe die Integrierte Gemeinde "manche Dinge sehr unkritisch".

Manches in den Schriften der Bewegung erscheint denn auch - je nachdem - skurril oder eben unkritisch. So finden sich etwa in den Schriften der Integrierten Gemeinde folgende Aphorismen von Ludwig Weimer, gemeinsam mit Gerhard Lohfink einer der Theologen der Integrierten Gemeinde: "Die Integrierte Gemeinde ist nicht das Reich Gottes. Doch mit dem Himmelreich hat sie gemeinschaftlich, daß nur wenige etwa unternehmen, um hineinzukommen" oder "Der Kampf des Braunbären eröffnete das Abendland. Wird die Resignation vor den Gummibärchen sein Ende einleiten?"

Und Gerhard Lohfink schreibt beispielsweise in seinem neuen Buch "Braucht Gott die Kirche?" (Verlag Herder, 1998): "Die Kirche ist überzeugt, daß die Heilige Schrift die Wirklichkeit so sieht, wie Gott sie sieht." Ein recht problematisches Verständnis von "Verbalinspiration", meint Weß, denn auch die biblischen Verfasser waren Menschen, denen nicht einfach vom Heiligen Geist diktiert wurde.

Mit dem "Wirken des Heiligen Geistes" werde in der Integrierten Gemeinde überhaupt recht frei umgegangen, behauptet das bereits zitierte ehemalige Gemeindemitglied: Der wirke nur im Gemeindevorstand - "am durchlässigsten für den Willen Gottes" sei Frau Wallbrecher selbst -, während die einzelnen Gemeindemitglieder möglichst nicht einmal persönliche Gebete oder Fürbitten formulieren sollten, weil diese nur die Liturgie, die in einer sehr ausgefeilten Form gefeiert wird, stören würden.

Daß sich so ein Gemeindeverständnis nur schwer in eine herkömmliche Pfarrgemeinde einpflanzen läßt, liegt auf der Hand. Ein Problem, unter dem zahlreiche kirchliche Erneuerungsbewegungen leiden, meint auch der Wiener Pastoraltheologe Paul M. Zulehner: Es bestehe die Gefahr, daß die "Freiheit der Gnade" nicht respektiert werde und statt dessen Gott "eingebaut" werde in einen "gruppendynamisch gut inszenierten Prozeß", wo man "unbemerkt Zwangsbekehrung betreibt", fürchtet Zulehner.

Derartige Gefahr dürfte die Pfarre Zorneding in der Erzdiözese München vor einigen Jahren in eine Zerreißprobe geführt haben, als sie der Integrierten Gemeinde zur Betreuung übergeben wurde. Anfangs waren die meisten Pfarrangehörigen der neuen Gemeinschaft gegenüber sehr offen, doch bald "gewann man immer mehr den Eindruck, es ginge den drei Priestern gar nicht mehr um die Pfarrgemeinde, sondern nur darum, neue Mitglieder für die Integrierte Gemeinde zu werben", erzählt ein Mitglied des damaligen Pfarrgemeinderates von Zorneding.

Innerhalb kürzester Zeit sei es zur Spaltung in der Pfarrgemeinde gekommen: "Einer hat den anderen beargwöhnt, immer mußte man sich fragen, ob man offen reden konnte." Schließlich kam es dann vor dem Osterfest zum offenen Konflikt mit dem Pfarrgemeinderat, so der frühere Pfarrgemeinderat. Schließlich seien alle zum Münchner Kardinal Wetter zitiert worden - mit dem Erfolg, daß der Pfarrgemeinderat zurücktrat und die Integrierte Gemeinde die Pfarre verließ. Hätte sich die Situation nicht so zugespitzt, "wäre die Integrierte Gemeinde wohl nicht so leicht zum Rückzug zu bewegen gewesen", vermutet der frühere Pfarrgemeinderat. In der Integrierten Gemeinde sieht man die Vorfälle in Zorneding naturgemäß etwas anders: Rudolf Pesch, ein weiterer renommierter Theologe der Integrierten Gemeinde, sieht in den erhobenen Vorwürfen "zum Teil üble Nachrede und im Fall des angeblich offenen Konflikts vor dem Osterfest eine Verleumdung der Priester der Katholischen Integrierten Gemeinde".

Probezeit in Wien

Nun will sich die Integrierte Gemeinde mit Billigung von Kardinal Schönborn auch in Wien niederlassen. Mit 25. März 1998 wurde ihr von Schönborn, der gemeinsam mit Ludwig Weimer bei Kardinal Ratzinger - ebenfalls ein Förderer der Bewegung - studiert hat, für eine Probezeit von drei Jahren die Rechtsform eines offiziellen kirchlichen Vereins mit approbierten Statuten zugestanden.

In der Jasomirgottstraße - vis-a-vis dem Stephansdom - wurde eine Wohnung angemietet; in der Stiftskirche im siebenten Wiener Gemeindebezirk feiert die Integrierte Gemeinde jeden Sonntag um 10 Uhr ihren Gottesdienst. Der für Wien-Stadt zuständige Bischofsvikar Anton Berger meint auf Anfragen dazu, daß die Gemeinschaft vom Erzbischof eingeladen worden sei; er vermutet aber, daß man in dieser Angelegenheit "sicher noch viel Post" bekommen werde.

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