"Das war - gelinde gesagt - erstaunlich, Herr Professor"

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Die Wissenschaft hat ein gutes Image - ein hohes Gut, das es vor Ideologieanfälligkeit zu schützen gilt.

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Die Wissenschaft hat ein gutes Image - ein hohes Gut, das es vor Ideologieanfälligkeit zu schützen gilt.

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Im Rahmen einer Promotionsfeier an der Technischen Universität in Wien wurde kürzlich in Form einer "Festrede" ein österreichisches Beispiel für jene Art von "wissenschaftlichen" Äußerungen gegeben, die Professor Otmar Wassermann von der Universität Kiel in einem Artikel in der Furche (2/2000 vom 13. Jänner) angeprangert hat.

Der Tenor der "Analyse" des Mitglieds des akademischen Senats war auch für weniger kritische Zuhörer erstaunlich: Die jungen Absolventen einer vom österreichischen Steuerzahler wesentlich mitfinanzierten "Hohen Schule" vernahmen - hier kurz und notwendigerweise verkürzt zusammengefaßt -, daß die Wissenschaft alles im Griff habe, daß in den vergangenen Jahren insgesamt (fast) alles besser geworden sei und daß nur die Medien schuld daran seien, wenn Entwicklungen falsch dargestellt und so den Menschen Angst gemacht würde.

Neben einigen durchaus richtigen Hinweisen argumentierte der "Experte" auch mit allgemein bekannten Fakten, die wegen der von ihm offensichtlich gewünschten Schlüssigkeit ins Gegenteil verkehrt wurden. Als Beispiel sei hier nur angeführt, daß die Industrieländer angeblich die Schadstoffemissionen bereits wesentlich verringert hätten, während heute die Entwicklungsländer die großen Umweltsünder seien.

Es ist wohl noch nicht bis ins Institut des Herrn Professor durchgedrungen, daß nach dem Kyoto-Abkommen Industrieländer ihre überschrittenen Grenzwerte durch "Zukauf" von unterschrittenen Werten von Entwicklungsländern kompensieren können.

Eine international vergleichende Studie in zehn Ländern hat schon vor zwei Jahrzehnten festgestellt, daß die junge Generation der sechziger Jahre um so skeptischer gegenüber technologischen Entwicklungen war, je weiter diese Entwicklung im eigenen Land bereits fortgeschritten war. Tatsächlich haben die Medien erst viel später diese wachsende Sorge vieler Menschen thematisiert, als einige negative Seiten des "Fortschritts" nicht mehr zu übersehen waren.

Ethisch verantwortlich Übrigens hat wenige Tage nach der kontroversiellen "Festrede" der jüngste Jahresbericht des renommierten World Watch Institute in den USA die Euphorie des österreichischen TU-Professors Lügen gestraft. Aber auch ohne diese Zusatzinformation haben zumindest einige ganz unterschiedliche Teilnehmer an der akademischen Feier die Äußerungen des Festredners von "unzumutbar" bis "skandalös" eingestuft.

Bleibt die grundsätzliche Frage nach der ethischen Verantwortung der Wissenschaft. Gerade die Naturwissenschaften müssen ein unverzichtbarer Partner aller jener sein, die auch bei der fortschreitenden Globalisierung vieler Entwicklungen ein menschenwürdiges Leben für alle Menschen im Auge haben. Eine Wissenschaft, die nicht über den eigenen ideologischen Tellerrand hinauszusehen und kurzsichtige Eigeninteressen langfristigen Gesamtinteressen einer Weltgesellschaft unterzuordnen vermag, wird weiter an Glaubwürdigkeit und Vertrauen in der Bevölkerung einbüßen. Das wäre schade. Oder wie der deutsche Fachkollege urteilte: "Der Schaden für die Betroffenen und für die gesamte Gesellschaft ist ungeheuerlich!"

Es genügt allerdings nicht, den Schaden allein festzustellen. Einmal die Problematik erkannt, bleibt zu fragen, was zu tun sei, daß diese Kurzsichtigkeit gemildert wird. In einem Zeitalter, in dem lebenslanges Lernen angesagt ist, würde es auch so manchem Lehrenden der TU Wien gut anstehen, die an der eigenen Universität angebotenen Lehrveranstaltungen und Vorträge zur einschlägigen Thematik auch selbst zu besuchen - und vor allem auch ihren Studenten zu empfehlen.

Bedauerlicherweise werden aber solche Veranstaltungen, wie sie etwa vom Institut für Technik und Gesellschaft an der Technischen Universität Wien, reichlich angeboten werden, kaum frequentiert. Es scheint also bei den Hochschullehrern die Freude am eigenen, transdisziplinärem Lernen nicht sehr stark ausgebildet zu sein.

Das ist an und für sich schon bedenklich. Noch bedenklicher ist es allerdings, daß die in diesen Bereich fallenden Lehrveranstaltungen kaum in den Studienplänen der einschlägigen Studien aufscheinen. Dieser Umstand ist mehr als bedauerlich, weil solcherart die bemängelte Einstellung mit Gewißheit für die nächste Generation konserviert werden wird.

Der Autor ist entwicklungspolitischer Konsulent der Österreichischen Bischofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission.

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