Die Furche-Herausgeber
Kann und darf man in der Sprachlosigkeit über die japanische Tragödie überhaupt noch von anderem reden und schreiben? Ich versuche es - und gestehe: Ich bin in diesen Stunden noch immer auch in Arabien, dessen Drama der asiatische Tsunami ja einfach überrollt und verschüttet hat. Und immer wieder denke ich auch an jene Millionen "Systemerhalter“ des alten Systems in Tunis, Kairo und anderswo - Polizisten, Soldaten, Beamte usw. usw. -, die eben jetzt den Zusammenbruch ihrer letzten Sicherheiten durchleben.
Luxus ethischer Standards
Jahrzehntelang hatte die enorme Arbeitslosigkeit all ihre Träume von einer "freien Berufswahl“ vernichtet. Zum Kotau vor den ewig gleichen Machthabern verdammt, ist ihnen wenig bis kein Spielraum geblieben, um über den Luxus ethischer Standards ihrer Arbeit nachzudenken. Die existenziellen Prioritäten ihres Lebens standen fest: "Erst kommt das Fressen, dann die Moral“ (© Bert Brecht, "Dreigroschenoper“).
Und doch sind in diesen Wochen, Tagen und Stunden der Revolution unzählige kleine Heldengeschichten geschrieben worden. Von Menschen, die - trotz ihrer Befehle - dann doch nicht geschossen, doch nicht verhaftet und nicht vernadert haben; die sogar mit demonstrieren gegangen sind.
Warum ich das heute schreibe? Weil es auch für uns ein guter Anlass sein könnte, einmal ungeschminkt in den eigenen Spiegel zu schauen. Um darüber nachzudenken, wann, wo und wie oft wir (alle?) unsere freiwilligen Vorleistungen an den vermuteten Zeitgeist machen - noch dazu ganz ohne Zwang und Existenznot. Einmal darüber nachzudenken, wie oft wir das "Spiel dieser Welt“ - auch gegen eigene Überzeugungen - ganz unbesehen mitspielen. Aus keinem anderen Grund als der Bequemlichkeit wegen. Wie rasch wir darauf verzichten, uns mutig zu Wort zu melden, auch wenn es wichtig, ja notwendig wäre. Und wie gerne wir uns mit jenen solidarisieren, die das große Wort führen.
Um es persönlich zu machen: Im Rückblick weiß ich heute ziemlich genau, was ich in einem langen Berufsleben besser hätte nicht tun oder unterstützen sollen. Wo ich mir einfach den Widerspruch und mögliche Konflikte ersparen - oder schlicht nicht aus der Sympathie und Zuneigung eines Mächtigen (Prominenten, Populären …) fallen wollte. Wo die eigene Überzeugung leichtfertig auf der Strecke gelassen wurde.
"Feigheits-Fasten“ als Vorsatz
Ich weiß auch, dass etwas mehr Zivilcourage und Charakterfestigkeit weder zur Kündigung noch zu anderen riskanten Sanktionen geführt hätte. Eher ist das Gegenteil richtig: Bei aller österreichischen Neigung zu falscher Harmonisierung und stilisierter Höflichkeit habe ich oft gerade dann den Respekt und die Achtung anderer gespürt, wenn ich mich offen gegen schnelle Mehrheitsmeinungen und verlockende Stereotypen gestellt habe.
Mut zum Widerspruch braucht oft weit weniger Mut, als wir vermuten und befürchten. Jedenfalls in unseren Breiten. Es ist ein Luxus, den wir uns durchaus leisten könnten.
"Feigheits-Fasten“ - auch das wäre ein möglicher Vorsatz in dieser Fastenzeit.
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