Für eine Diakonie der Vernunft

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Obwohl das Absterben der Religiosität seit Jahrzehnten von vielen europäischen Intellektuellen, zumal von Marxisten, prognostiziert worden ist, gibt es Religiosität europaweit in großer und teilweise neuer Vielfalt. Religion und Moderne oder Postmoderne schließen einander nicht aus. Das breite Spektrum solcher Öffnung des Lebens für Transzendenz reicht freilich vom Glauben an einen persönlichen Gott bei Christen, Juden und Muslimen bis zu einer kosmisch-ozeanischen Gefühlsreligion ohne verbindliches göttliches Du. Viele Deuter des kirchlichen Lebens in Europa erinnern immer wieder daran, daß sich ein großer Teil heutiger Religiosität außerhalb der Kirchen vollzieht, und sie proklamieren einen kirchlichen Modernisierungslauf.

Schon seit Jahrzehnten begleitet das vieldeutige Diagnosewort "modern" den Weg der Kirche. "Modern" bedeutet, je nachdem "aktuell", "neu" oder auch "rasch überholter". Das Gegenteil dazu lautet "veraltet", "alt" oder "ewig". Von Anfang an hat die Christenheit das Attribut "neu" für sich in Anspruch genommen. "Christus hat jegliches Neue gebracht, indem er sich selbst gebracht hat", sagt Irenäus von Lyon im 2. Jahrhundert. Und im 20. Jahrhundert hat Georges Bernanos satt gewordenen Christen scheltend zugerufen: "Das Evangelium ist jung wie am Anfang, nur ihr seid so alt!"

Die Salzburger Hochschulwochen sollen erkunden helfen, wie Christentum, wie Kirche sich angesichts heutiger gesellschaftlicher Modernität oder Postmodernität verhält oder verhalten sollte. Diese Erkundung ist eine Diakonie der Vernunft, zu welcher ein solches Forum viel beitragen kann.

Diakonie der Vernunft, die in der Kirche von dazu Kompetenten erbeten wird, betätigt sich einerseits in nüchterner Analyse und andererseits im geduldigen Versuch zu katholischer Synthese unter heutigen Bedingungen. Der Analyse gilt das Wort des Kirchenlehrers Bonaventura: "Weise ist, wenn die Dinge so schmecken, wie sie wirklich sind." Eine Analyse der kirchlichen Situation Europas in Moderne und Postmoderne wird nicht übersehen dürfen, was in der Kirche defizient ist. Sie wird aber auch die tausendfachen Lebenskeime nicht übersehen dürfen, die es auf allen Ebenen kirchlichen Lebens gibt. Ohne einen Blick mit den Augen eines liebenden Glaubens wird man freilich vieles von diesem Leben nicht sehen können, gerät Diagnose leicht ins Ressentiment, wirkt eher lähmend als heilend und dynamisierend.

Diakonie der Vernunft ist in der Kirche aber auch ein Suchen nach Synthesen. Katholisch sein bedeutet synthetisch sein [...] Zwar sind viele alte Synthesen zwischen Glaube und Vernunft, zwischen Glauben und Kultur zerbrochen oder schwach geworden. Intellektuell-rational oder künstlerisch begabte Katholiken sollten aber nicht auf Grund von zuwenig differenzierten Analysen oder Prognosen Brücken zwischen Wissenschaft und Glaube, zwischen Kultur - zumal als Kunst - voreilig abbrechen helfen. Sie sollten vielmehr versuchen, solche Brücken tragfähig zu erhalten oder neu zu bauen. Die heute innerkirchlich häufig gewordene rasche Preisgabe von tragenden Elementen katholischer Identität, der Verzicht auf Gestalt sollten nicht einfach unkritisch hingenommen werden. Differenzierende Kritik an mancher wenig differenzierten Kirchenkritik ist geboten.

Auszug aus der Predigt des Kärntner Diözesanbischofs beim Festgottesdienst der Salzburger Hochschulwochen am 1. August im Salzburger Dom.

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