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Heftige Aufregung

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Vor allem in der Schweiz hat das relativ dünne Ruch des renommierten Alttestamentlers bereits für heftige Aufregung gesorgt (vgl. Walter Kirchschläger in der Furche 16/1997). Diese ist verständlich, wenn Haag bereits im Vorwort behauptet: „Eine Refragung der biblischen und frühchristlichen Zeugen zeigt eindeutig und überzeugend, daß Hierarchie und Priestertum sich in der Kirche an der Schrift vorbei entwickelten und nachträglich als ihr zugehörig dogmatisch gerechtfertigt wurden” (Seite 8). Die Konsequenz, die die Kirche heute daraus ziehen müßte, lautet: „Die Krise der Kirche wird so lange andauern, wie sich diese nicht entschließt, sich eine neue Verfassung zu geben, eine Verfassung, in der es für zwei Stände - Priester und Laien, Geweihte und Nichtgeweihte - keinen Platz mehr gibt, sondern ein kirchlicher Auftrag ausreicht, um eine Gemeinde zu leiten und mit ihr Eucharistie zu halten” (ebenda). Dieser kirchliche Auftrag ist - laut Haag - lediglich als Auftrag der jeweiligen Gemeinde zu verstehen.

Der biblisch Informierte fragt sich natürlich, wie der Autor zu der Behaup-tung gelangt, das Priestertum hätte sich an der Schrift vorbei entwickelt. Gibt es doch in den neute-stamentlichen Schriften deutlich Ansätze zur Entwicklung von kirchlichen Amtern, vor allem im lukanischen Doppelwerk, dem ersten Petrusbrief und in den Pastoralbriefen (1 und 2, Tim, Tit). Diese Frage führt auch zur entscheidenden Schwachstelle der Ausführungen Haags: Er betrachtet die gegenwärtigen Ämter ausschließlich als Produkt einer erst in nach-bib-lischer Zeit belegbaren an alttesta-mentlichen Kultfunktionen und Opfern orientierten kirchlichen Priestertheorie (vgl. Seite 47) und übersieht, daß sich die Amtstheologie der Kirche auch ganz ausdrücklich als Fortführung der bereits erwähnten neute-stamentlichen Ansätze versteht, in denen die Amtsträger primär autoritative Verkündiger und Gemeindeleiter sind. Von daher stellt sich auch die Frage, ob die Ursprünge liturgischer Funktionen des kirchlichen Amtsträgers wirklich in der Übernahme altte-stamentlicher Priestertheologie zu suchen ist oder ob es nicht naheliegender ist, die Leitung der Eucharistiefeier zuerst als natürliche Konsequenz des Leitungsdienstes zu sehen.

Die Grundintention bei der Entstehung der biblischen Ämter war unter anderem die, daß die Inhalte, die durch das Wirken Jesu und der Erstzeugen vorgegeben waren, nicht der Beliebigkeit ausgeliefert werden sollten. Das Eindringen von Irrlehrern in die christlichen Gemeinden erforderte Garanten und auch Autoritäten für die Wahrung authentischer Tradition. Kann man dabei mit gutem Gewissen behaupten, das sei nicht in der Intention Jesu gelegen? Wenn nach Haags Vorstellung die Ämter besei tigt werden und die Gemeinden selbst den Auftrag zur Leitung der Eucharistiefeier vergeben, so stellt sich die Frage: Wer sagt dann - von den geglaubten und gelebten Inhalten her daß eine Gemeinde sich eben selbst als Gemeinde Christi versteht, unabhängig davon, was sie damit meint?

Freilich ist trotz dieser Bedenken dem Verfasser in anderen Punkten durchaus recht zu geben. Dies betrifft vor allem die Feststellung, daß die alt-testamentliche Priestertheologie tatsächlich im NT niemals auf kirchliche Ämter übertragen wurde und wenn dies doch geschieht - immer die Gefahr in sich birgt, das einzigartige Hohepriestertum Chri-. sti in unbiblischer Weise zu relativieren und überdies die Amtstheologie einseitig an den liturgischen Vollzügen zu orientieren. Ebenso richtig ist es, daß Jesus beim Letzten Abendmahl die Zwölf nicht als Amtsträger bestellte und auch sonst niemals explizit auf Dauer hin konzipierte Ämter installierte. Daraus ist aber nicht abzuleiten, daß die sich in den biblischen Schriften anbahnende Amtsentwicklung gegen Jesu Willen Jesu gewesen sei.

Haag weist auch zu Recht auf, daß die sogenannten „Laien” trotz der angeblich durch das II. Vatikanum erfolgten Aufwertung de facto immer noch kirchenrechtlich zu Handlangern der Amtsträger degradiert und nicht wirklich Subjekte kirchlicher Mitentscheidung und Mitgestaltens sind.

Eine Lösung des Problems wäre jedoch nicht darin zu suchen, die kirchlichen Ämter einfach abzuschaffen, sondern sie kirchenrechtlich - wie im NT - für die Laien hinterfragbar zu machen, um einer willkürlichen Amtsausübung einen wirksamen Riegel vorzuschieben. Im NT steht die Entfaltung der einzelnen Charismen im Vordergrund. Autoritative Weisungen sind dort der Not-, nicht der Normalfall. Manches wäre aufgrund einer Rückbesinnung auf das NT in Amtstheologie und -praxis zu ändern. Doch eine Abschaffung der Ämter wäre keine Lösung, sondern nur eine Verlagerung der Probleme.

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