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Intrigen um die „Anima“

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„Die Anima in Gefahr!“ Der aus Rom kommende Alarmruf in einem der maßgeblichen Blätter der Deutschen Bundesrepublik („Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 24. Juni 1959) läßt aufhorchen. Soll an jenen alten Baum, letzter ehrwürdiger Zeuge aus dem seither parzellierten Garten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, die Axt gelegt werden? Oder welcher schmähliche Handel soll mit dem vom doppelköpfigen Reichsadler gekrönten Hause Gottes und der Deutschen in Rom getrieben werden? Und welche Schelme sind dabei am Werk? Unter dem Titel des aus scheinbar angstvollem Herzen geschriebenen Artikels steht Antwort und Frage zugleich: „Wollen die deutschen Bischöfe die Nationalkirche in Rom verkaufen?“

Verkaufen? An wen? Und um welchen Preis? Langsam tastet sich der Verfasser an den Grund seiner Besorgnis heran: In diesem Herbst soll die hundertjährige Wiederkehr der Erneuerung der „Anima", der deutschen — im Sinne von gesamtdeutschen — Nationalstiftung in Rom feierlich begangen werden. Bei dieser Gelegenheit erwartet man sich die Bekanntgabe eines päpstlichen Breve mit den neuen Satzungen. Sie sollen an die Stelle jener treten,-die in dem Breve Pius’ IX. „Praeclara institutą chari- tatis", vom 15. März 1859, festgelegt sind und auf welche sich der Trümmerschutt der Geschichte gelegt hat. Die bange Frage bezieht sich aber ausschließlich auf die Besetzung der Rektoratsstelle, von der der Rom-Korrespondent des Blattes nicht will, „daß neues Recht festgelegt werde, das den österreichischen Bischöfen allein die Besetzung des Amtes überläßt". Die Formulierung ist irreführend. Worauf angespielt wird, ist eine den Traditionen, den überkommenen historischen und moralischen Gegebenheiten Rechnung tragende Vereinbarung zwischen der österreichischen und der deutschen Bischofskonferenz, die tatsächlich dem österreichischen Episkopat ein Vorschlagsrecht ein-DIĘ EPISKOPATE EINIGTEN SICH Eine Fühlungnahme zwecks Neuregelung in dem deutschen Priesterkolleg Santa Maria del- I’Anima in Rom ist zwischen dem Erzbischof von Wien, Kardinal Innitzer, und dem Erzbischof von Köln, Kardinal Frings, seit dem Jahre 1954 aufgenommen worden. In einem der Fuldaer Bischofskonferenz zugeleiteten Memorandum empfahl der österreichische Episkopat bezüglich der Besetzung der Rektoratsstelle folgende Lösung: „Der österreichische Episkopat schlägt, nach Fühlungnahme mit dem deutschen Episkopat, einen österreichischen oder deutschen Priester als Rektor der ,Anima’ vor." Wenn die Stelle durch einen Oesterreicher besetzt werde, dann solle der Vizerektor Deutscher sein und umgekehrt. Gleichzeitig müsse eine Regelung bezüglich des deutschen Seelsorgers in Rom getroffen werden. Diese Vorschläge sind von den Bischöfen der Fuldaer Konferenz gebilligt worden, und da in der Zwischenzeit auch die Frage des deutschen Seelsorgers in Rom geklärt worden ist, sind die Vorbedingungen für die Regelung erfüllt und der deutsche Episkopat an die Vereinbarungen gebunden. Im Dezember 1956 haben dann die beiden Bischofskonferenzen durch ihre Vorsitzenden Kardinal Frings und Erzbischof Rohracher in einer getrennten Eingabe Papst Pius XII. gebeten, er möge der Anima nun ein neues Breve geben und dabei die Vereinbarungen der beiden Konferenzen berücksichtigen.

Die Erledigung des gemeinsamen Ansuchens ist jedoch unter Pius XII. nicht mehr erfolgt. Der Heilige Stuhl brachte klar zum Ausdruck, daß zwischen der Neuregelung in der Anima und dem österreichischen Konkordat ein Junktim bestehe. Außerdem scheint er irrtümlich der Meinung ewesen zu sein, die Ordinarien der derzeit inter polnischer Verwaltung stehenden deutschen Diözesen hätten bei. der Fuldaer Bischofskonferenz nicht mitgestimmt, während diese in Wirklichkeit durch ihre Kapitelvikare vertreten gewesen waren. Mit dem Wechsel auf dem Papstthron hat sich die Situation jedoch ganz wesentlich geändert. Johannes XXIII. hat auf das Junktim verzichtet, und die Erlassung des Breve steht nun nichts mehr im Wege. Zuvor möchte jedoch nochmals die Meinung der beiden Episkopate eingeholt werden.

Es ist nicht anzunehmen, daß sich die auf wohlerwogene Gründe stützende Meinung der deutschen Bischöfe in der Zwischenzeit geändert hat, und noch unwahrscheinlicher ist es, daß die Fuldaer Bischofskonferenz von ihren Vereinbarungen mit dem österreichischen Episkopat zurückstehen wird. Aber gerade das ist es, was von Regierungsstellen der Deutschen Bundesrepublik angestrebt wird. Die „Anima“ ist zwar eine rein kirchliche Institution und ein Rechtstitel für das Eingreifen staatlicher Stellen ist schwer Zu finden. Aus diesem Grunde hat sich auch der diplomatische Vertreter Oesterreichs beim Heiligen Stuhl, Joseph Kripp, jeder Einmischung enthalten. Von deutscher Seite hingegen erfolgte eine massive Intervention, die in einem Besuch des Außenministers Heinrich von Brentano und des deutschen Vatikanbotschafters Graf Rudolf von Strachwitz beim Erzbischof von Köln gipfelte. Die Tatsache, daß die deutsche Vatikanbotschaft von dem FAZ- Artikel bereits vor seinem Erscheinen wußte, würde vermuten lassen, daß sie bei ihm Pate gestanden hat. Wenn von gleicher Seite dem österreichischen Botschafter „Bestrebungen für eine Austriazierung der ,Anima' “ nachgesagt werden, so entbehrt dies nicht einer gewissen Ironie.

ÖSTERREICHS DUKATEN

Die deutschen Bischöfe haben ihre Zustimmung zu einem Vorschlagsrecht des österreichischen Episkopats natürlich nicht von ungefähr gegeben, und sie haben nichts „verkauft“ (was schon deshalb unmöglich wäre, weil der deutsche Episkopat nicht Besitzer der „Anima“ ist). Sie gingen bei ihrer Entscheidung von praktischen Erwägungen aus und ließen sich von Gründen historischer Billigkeit und Gerechtigkeit leiten. Ein Blick in die Geschichte der „Anima“ ist notwendig. Ein Stiftungsgelübde des Niederländers Johannes Petrus aus Dordrecht (1386), bewirkte die erste Gründung gemeinsam mit einem aus der Gegend von Paderborn stammenden geistlicher, •. Kurialb.eamten, Dietrich von Niem, Beide . Männer aus dem römisch-äeütschen Reich, und Jjeide von den Inteiftjonen beseel, für dem ganzen Reich zu schaffen. Die deutschen Länder Oesterreichs waren daher von Anfang an durch Pilger und Kapläne an der „Anima“ vertreten. Schenkungen aus allen Reichsteilen sicherten der Gründung die finanzielle Zukunft, in nicht unbeträchtlichem Ausmaße auch aus den österreichischen Erblanden. Zehn namhafte Stifter zählt der Historiker der „Anima", Kerschbaumer, in seiner „Geschichte des deutschen Nationalhospizes ,Anima' in Rom“ für das erste Jahrhundert auf, darunter den Fürstbischof von Brixen, Kardinal Melchior, der die Institution zu seinem Universalerben einsetzte, ferner einen Johann Lambacher aus Innsbruck, der ihr 4500 Dukaten vermachte. Diese Reminiszenzen scheinen überflüssig zu sein, doch hat der Rom-Korrespondent des Blattes das Schwergewicht auf die nichtösterreichischen Schenkungen legen wollen, mit der ulkigen Bemerkung: „Würden sie zurückgezogen, müßte die , Anima' zusammenbrechen.“ Die letzte bedeutende Schenkung stammt wieder von einem Oesterreicher: Im Jahre 1953 hat der vorletzte Rektor der „Anima", Erzbischof Doktor Hudai, sein Haus und seinen Grundbesitz in Grottaferrata der Nationalkirche testamentarisch verschrieben. Der finanzielle Zusammenbruch der „Anima“ stand viermal in der Geschichte in bedrohlicher Nähe und jedesmal erfolgte die Rettung ausschließlich von österreichischer Seite.

UNTER HABSBURGS SCHIRM

Seit Friedrich IlL breiteten nämlich die habsburgischen Kaiser schützend ihre Hand über das Hospiz und Kolleg. Aus dem Protektorat des römisch-deutschen Kaisers entwickelte sich ein habsburgisches und aus diesem ein spezifisch österreichisches, das erst mit dem Zusammenbruch der Donaumonarchie im Jahre 1918 erlosch. Als Benedikt XIV. bestimmte, daß das Protektorat beim Hause Oesterreich verbleiben solle, war dies ein Akt politischer Klugheit, denn er sah voraus, daß die Macht des römisch-deutschen Kaisers im Sinken, die der Habsburger in Oesterreich im Aufstieg sei. Er erwies sich als providentiell im Jahre 1789, als es Kaiser Franz JI. nur unter dem Hinweis gelang, daß das Hospiz kein belgisches (wegen des niederländischen Gründers) noch ein deutsches sei, sondern ein österreichisches, dieses vor der Beschlagnahme durch die Franzosen zu retten. Am 20. November 1810 drohte neuerlich Gefahr: Napoleon ließ alle päpstlichen Staatspapiere aus dem Hospiz requirieren. Die Kongregation der „Anima“ wendete sich in ihrer Bedrängnis an Kaiser Franz I. Dieser Appell ist bedeutungsvoll, weil Franz bereits vier Jahre zuvor die römisch-deutsche Kaiserkrone niedergelegt hatte. Er stellt also eine ausdrückliche Anerkennung des österreichischen Protektorats fest. „Daß es ohne Oesterreich keine ,Anima' gäbe, möge hier ausdrücklich konstatiert werden“, schreibt Kerschbaumer an diesem Punkt. Daß sich die österreichischen Kaiser aber stets der gesamtdeutschen Bestimmung der „Anima“ bewußt geblieben sind, beweist-das Eingreifen Franz Josephs I. im Jahre 1859, nach einer Peritrdh'. des Niederganges, hervorgerufen durch' die kirchlich-politische Lage in Deutschland. Die „Anima“ war zu diesem Zeitpunkt völlig •italianisiert, deutsche Priester in ihr kaum mehr als geduldet. Die letzten Rektoren vor der Neuordnung waren römische Patrizier, Fürst Odes- calchi, Fürst Ruspoli, Graf Silvestri. Auch die Kapläne waren Italiener.

1827 hatte Kaiser Franz einen deutschen Prediger nach Rom geschickt und für ihn 600 Scudi jährlich ausgesetzt, allerdings behielt er sich die Ernennung vor. Dem österreichischen Botschaftsrat Ferdinand Ritter von Ohms gelang es endlich, den italienischen Rektor zu entfernen und den deutschen Prediger an seine Stelle zu setzen. Dem gleichen Diplomaten kommt übrigens das Verdienst zu, am Hospiz des Camposanto Teutonico, wo die Verhältnisse nicht besser lagen und die Italianisierung nicht weniger weit fortgeschritten war, die deutschen Ansprüche und Rechte revindiziert und eine apostolische Visitation herbeigeführt zu haben, die endlich Wandel schaffte. Als der aus Landeck in Tirol gebürtige Alois Flir Rektor der „Anima“ wurde, trat er sofort und unermüdlich für die ursprüngliche Bestimmung der „Anima“ als gesamtdeutsches Institut ein. Der Kaiser folgte den Ideen Fürs eher als jenen seines eigenen Botschafters am päpstlichen Hofe, Graf Esterhazy, als er im Zuge der Neuorganisierung bestimmte, die Aufnahme der nichtösterreichischen Deutschen sei keine Begünstigung, sondern ihr regelmäßiges Recht, und die Kirche der „Anima“ sei nicht mehr österreichische, sondern deutsche Nationalkirche zu nennen. Als das österreichische Herrenhaus 1864 die Dotierung des Rektors der „Anima“ streichen wollte, erhob sich Kardinal Rauscher, Erzbischof von Wien, und sagte: „Der Kaiser erbte die ,Anima' als der letzte Nachfolger Karls des Großen, wie auch die Krone Karls des Großen und sämtliche Reichskleinodien bei ihm verblieben. Dem Schutz des österreichischen Adlers verdankt die fromme Gründung, daß sie die Jahrzehnte überdauerte, in welchen die Königreiche sanken und die Königreiche emporstiegen wie die Wellen des wildbewegten Meeres.“

BRAUCH UND RECHT

Der Rom-Korrespondent der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ schreibt dazu kühl: „Da"der Kaiser einen Zuschuß zum Gehalt des Rektors' leistete, bildete sich 'der BräliCh "Heraus, daßrdife Rektoren der ,Anima' von ihm ernannt wurden.“ Der Kaiser hat aber den Rektor bezahlt, wie alle Rektoren bis zur Gegenwart ihren Gehalt aus Oesterreich bekommen, da die „Anima" nicht in der Lage ist, selbständig für ihn aufzukommen. Erzbischof Hudai hatte sein Gehalt als österreichischer Universitätsprofessor und der jetzige Rektor, Prälat Jakob Weinbacher, seine Bezüge als Domherr von St. Stephan. Und was den Brauch anlangt, der sich langsam herausgebildet haben soll, so ist dem Verfasser eines der grundlegenden Dokumente zur Geschichte der „Anima“ nicht vorgelegen, nämlich das von ihm erwähnte Breve Pius’ IX. aus dem Jahre 1859, wo es im dritten Artikel der Statuten wörtlich heißt: „Die fromme Einrichtung bleibt weiterhin unter dem Protektorat des Kaisers von Oesterreich. Seine gleiche Majestät behält ferner die Vorrangstellung und Ehren, die er bisher genossen hat. Er erhält das Recht, dem Heiligen Stuhl den Rektor des besagten frommen Instituts zu bestimmen.“ Mit dem Verlust des österreichischen Kaiserthrones erlosch auch jedes Recht Oesterreichs, die Person des Rektors zu bestimmen. Aber die Päpste wollten die Verdienste Oesterreichs um die „Anima“ nicht vergessen. Sie ernannten weiterhin Oesterreicher, und diese Entschlüsse haben niemals irgendwo, auch in Deutschland nicht, irgendeine Kritik gefunden. Es gilt dies sowohl für Hudai wie für dessen Vorgänger Brenner. Anläßlich der Ernennung des Prälaten Weinbacher hatte Pius XII. vom österreichischen Episkopat einen Dreiervorschlag verlangt. Somit sind seit 18 53 ununterbrochen Priester aus einer österreichischen Diözese zu Rektoren der „Anima“ bestellt worden. Welches „einseitige neue Recht“ sollte hier geschaffen werden?

Es wurde jedoch von einer viermaligen Rettung der „Anima“ durch Oesterreich gesprochen. 1870 ist nämlich anläßlich der Sequestrierung des kirchlichen Besitzes durch die italienische Regierung die „Anima“ nur dadurch verschont geblieben, daß Oesterreich intervenierte und erreichte, daß alle Besitzungen der Nationalkirche im „Libro uffiziale del Catasto" als „Oesterreichisches Hospiz dell’Anima“ oder „Kaiserlich-Königliche Anstalten der Anima“ eingetragen wurden. Die österreichische Republik griff ein, als nach dem ersten Weltkrieg das Vermögen der „Anima“ mit einer außerordentlichen Besteuerung von mehr als einer Million Lire getroffen wurde. Bundeskanzler Schober und nach ihm Dollfuß haben durch eine Vermittlung unmittelbar bei Mussolini mit ausdrücklicher Zustimmung des Kardinal-Staatssekretärs Gasparri die Befreiung der „Anima“ von dieser Steuer und dadurch vor dem finanziellen Ruin bewahrt.

Von dieser österreichischen Vergangenheit der „Anima“ findet sich wenig in dei Veröffentlichung der FAZ. Es wird vorgerechnet, daß sich „wenige österreichische Grabdenkmäler“ in der Kirche befinden (doch ruhen dort auch 425 Soldaten des österreichisch-ungarischen Heeres des ersten Weltkrieges), es werden die deutschen Memorien in der Kirche beschrieben (doch ist der Grundstein zu ihr von dem kaiserlichen Gesandten Matthäus Lang, dem späteren Bischof von Gurk und Kardinal- Erzbischof von Salzburg gelegt worden), es wird großmütig zugegeben, daß „auch in einzelnen Diözesen Oesterreichs ehemalige Mitglieder des ,Anima‘-Kollegs… tätig sind“, während das Verzeichnis der lebenden ,Anima‘- Priester vom Jahre 1956 im deutschen Bundesgebiet 124 mit acht Bischöfen und in den österreichischen Diözesen (ohne Ausnahmen) 47 Priester mit fünf Bischöfen aufzählt. Es ist aber nicht die Buchhaltung religiösen Wirkens, welche das deutsche Episkopat bewogen hat, dem österreichischen Vorschlagsrecht für die Rektoratsstelle zuzustimmen. Neben den angeführten historischen Gründen und jenen der Tradition war wohl auch die Erkenntnis maßgebend, daß sich die österreichische Führung seit mehr als einem Jahrhundert ohne den Schatten einer Benachteiligung Deutschlands ausgewirkt hat. Dies muß sogar der Rom- Korrespondent mit zusammengebissenen Zähnen zugeben, doch welche wunderliche Folgerung zieht er daraus!

„Die österreichischen Rektoren der ,Anima' waren alle Männer aus dem Geiste Fürs . . . doch wäre es undenkbar, daß der Heilige Stuhl ruhig zusehen könnte, wie dem größten Teil der deutschsprachigen Katholiken ihre Nationalkirche entfremdet würde. Gegenüber dem bisherigen Brauch mag die Aenderung in der Satzung nur gering erscheinen. Aber aus solch kleinen Schritten setzt sich zusammen, was dann schließlich unwiederbringlich verlorengeht. Sollen die Deutschen vielleicht eines Tages keine Nationalkirche mehr in Rom besitzen wie die Franzosen und Spanier und die anderen Nationen.. ? Es ist in dieser Zeitung in letzter Zeit wiederholt von dem Schwinden des historischen Sinnes in unserer Gegenwart die Rede gewesen. Sollte es sich auch an einer Stelle bekunden, an der man es nicht erwartet hätte?“

Hier wird die Lehre der Geschichte in geradezu grotesker Weise auf den Kopf gestellt. Oesterreichs Verdienste um die Erhaltung der „Anima“ für alle Deutschen sind weggewischt, und es wird in beleidigender Weise eine völlig hypothetische Absicht der Entdeutschung in der Zukunft unterstellt. Daß der Rektor der

„Anima" heute wie eh und je das volle Vertrauen des deutschen Episkopats genießt, geht schon daraus hervor, daß ihm alle deutschen Diözesen mit Ausnahme von Köln, Freiburg und Essen ihre Agentie anvertraut haben (die Erledigung der Diözesanangelegenheiten bei den kirchlichen Behörden Roms), wozu keinerlei Notwendigkeit bestünde, weil Gleiches auch vom Rektor des Camposanto Teutonico besorgt werden könnte.

Als Lösung wird in dem Artikel ein Vorschlag gemacht, der auf den ersten Blick billig erscheint, auch wenn er jenes „neue Recht“ schafft, das der Verfasser vermieden haben will: ein Deutscher und ein Oesterreicher sollen abwechselnd die Stelle des Rektors bekleiden. Eine solche Möglichkeit wird auch durch das österreichische Vorschlagsrecht nicht ausgeschlossen. In der Praxis hätte die Verwirklichung jedoch zur Folge, daß Oesterreich auf Jahre und unter Umständen — wenn ein deutscher Priester in verhältnismäßig jungen Jahren ernannt werden sollte — auf Jahrzehnte hinaus durch keinen einzigen österreichischen Prälaten in Rom vertreten sein würde. Der Rektor der „Anima“ ist nämlich der einzige mit höherer geistlicher Würde bekleidete Priester in Röm, während die Deutsche Bundesrepublik deren eine ganze Reihe aufweist: den Rektor des Camposanto, des Collegium Germanicum, einen Rota-Richter, einen geistlichen Beirat bei der Vatikanbotschaft, einen Prälaten im Staatssekretariat, einen Domherrn von St. Peter… Sollte die Frage des Wechsels ernsthaft in Erwägung gezogen werden, so würde auch im Camposanto eine Aenderung des »gegenwärtigen Status notwendig werden (auch hier hängen die Wappen der österreichischen Erbländer), und es müßten auch andere Länder des einstigen römisch-deutschen Reiches in den Wechsel einbezogen werden, wie Luxemburg und Schweiz. Tatsächlich scheint der Luxemburger Bischof für diesen Fall bereits Ansprüche angemeldet zu haben. Die „Anima“ ist nämlich auch stark von Schweizern, Luxemburgern und auch von Südtirolern aus den Diözesen Brixen und Trient frequentiert. Diese aus kleinen Ländern oder vom großen deutschen Volkskörper losgetrennten Landschaften stammenden Priester haben bisher in der österreichischen Führung eine Garantie für die Wahrung ihrer spezifischen Interessen gesehen. Sie blicken einer Aenderung zwar nicht mit Besorgnis, doch mit einer merklichen Unruhe entgegen, gleichsam als wäre die Geschäftigkeit und die Einmischung der deutschen staatlichen Stellen — nicht der kirchlichen — ein Vorbote des unseligen deutschen Totalitätsanspruches. In Oesterreich aber kann ein derartiges Vorgehen nur Trauer und Enttäuschung auslösen. Soll ihm hier auf kirchlichem Boden ein neues Sadowa 1866 bereitet werden?

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