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Kein Service für „Seelentherapie“

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Wir stehen im Zeitalter der Ent- ideologisierung des Kosmos, der Säkularisierung der Gesellschaft, der Vergeschichtlichung der Welt, der Verkümmerung der Metaphysik und der Futurisierung des menschlichen Daseins. In der Pastoral, in der Predigt, in der Erwachsenenbildung und im missionarischen Dialog ist die Kirche vor die schwere Aufgabe gestellt, dem Menschen von heute zu sagen, was Heil für ihn, seine Mitmenschen und die Welt bedeutet. Primär hat sich die Kirche darin zu bewähren, daß sie diese Situation bewältigen kann. Davon hängt in Zukunft ab, ob die Kirche für die säkularisierten Menschen Bedeutung haben wird. Als Service für metaphysische „Seelenthenapie“, als Religionsbehörde, als Institution zur Befriedigung magischer Kultbedürfnisse wird die Kirche in Zukunft keine Anziehungskraft mehr auf die Menschen ausüben.

Providentiell ist, daß viele heute in der neuen Situation des Menschen und der Gesellschaft radikal die Frage nach dem Sinn, das heißt unartikuliert die Frage nach dem Heil, stellen. Ihnen muß die Kirche eine Antwort geben. Man wird Professor Kasper zustimmen müssen, wenn er sagt, daß die Kirche nicht in der Lage ist, den Menschen von heute verständlich zu machen, was mit dem Heil gemeint ist.

Darum hat ihre Verkündigung an Aktualität verloren. Hier handelt es sich um eine sehr ernste, aber wahre Feststellung des Dogmatikers von Münster. Die Verkündigung hat noch nicht die neue Situation erkannt. Zu sehr ist sie mit sekundären Fragen befaßt, mit neuen Formen der Liturgiefeiern, der Sakramentenspendung, des Kirchenregiments und der seelsorglichen Organisation. Durch das sakramentalisüsche Denken, das siah Jahrhunderte hindurch in der

Kirche etablierte, wurde die Tatsache verdeckt, daß der Christ in einer „permanenten Katechumenatssitua- tion“ lebt; dfas um so mehr, als der Durchschnittschniat nicht alls Erwachsener durah die Bekehrung zum Glauben kommt, sondern durch die Kindertaufe, die Tradition und durch das gesellschaftliche Herkommen. Der Hinweis auf die „permanente Katechumenatssituation des Christen“ gehört zu jenen theologischen Feststellungen von Prof. Kasper, die in der Pastoral der Kirche Beachtung finden sollten.

Grenzziehung nach links und rechts

Klare Grenzen zog Prof. Kasper zu den „Integralisten von links und rechts“. Das Heil ist weder im „supranaturalistischen Sinn“ zu vollziehen noch darf das Evangelium „umfunktioniert werden“, als wäre es nur ein Ferment des geschichtlichen Fortschritts. In der Tat, die Supranaturalisten und die „Umfunk- tionierer“ tragen zu schizophrenen Erscheinungen im nachkonziliaren Leben bei. Die „Supranaturalisten“, die das größte Kontingent der Kirchenchristen stellen, müssen erkennen, daß es das Heil nur in der sozialen und universalen Dimension gibt. Für den heutigen Menschen bedeutet zum Beispiel die Chiffre „Gott der Seele“ oder „Seelenfrieden“ nicht sehr viel. Den Christen wie auch den Ungläubigen muß neu verdolmetscht werden, was christliches Heil besagt, was es verspricht und worauf es zielt.

Man muß Prof. Kasper recht geben, wenn er sagt, daß der Mensch von heute die Frage nach dem Sinn, nach dem Heilsein des Menschen neu stellt. Er fragt nicht so sehr nach dem „Privatheil“, nach dem Sinn des individuellen Lebens, wie der Mensch des 19. Jahrhunderts, sondern vielmehr nach dem Sinn der Geschichte insgesamt. Die Frage nach dem Heil ist für den heutigen Menschen eine Frage nach der Ordnung der Freiheit, des Friedens und der Gerechtigkeit. Die Formulierungen von Profes-

sor Kasper schließen jede Zweideutigkeit aus. Diese Klarheit ist gerade in der gegenwärtigen Situation notwendig, wo man sehr leicht der Versuchung des theologischen Synkretismus unterliegt und geneigt ist, christliches Heil einfach mit.

Friede als Ansatzpunkt für das Heil

Christliches Heil ist nicht ohne den „qualifizierten Sprung“ denkbar, der auf einen neuen Menschen und eine neue Schöpfung zielt. Prof. Kasper hat diese Formulierung gebraucht. Christliches Heil ist also nicht identisch mit einer innerweltlichen Kategorie; aber ein innerweltlicher Wert kann ein Anknüpfungspunkt sein, um vom christlichen Heil zu reden. Christliche Verkündigung lebt von der Offenbarungstaitsadhie, daß der Menscih in Goitt sein Heil finden kann. Darum ist das Heil ein Zentralbegriff christlichen Denkens und christlichen Verkündigens. Jede Zeit bedient sich anderer Chiffren, betonte Prof. Kasper, um der Botschaft vom Heil einen Ansatz im Leben zu geben. Der Dogmatiker ist davon überzeugt, daß das Wort „Friede“ ein Anknüpfungspunkt wäre, um den Menschen unseres Zeitalters verständlich vom Heil reden zu können.

Friede wird hier umfassend verstanden. Friede als Chiffre für das christliche Heil darf nicht bloß als „Seelanfniiede“ oder als politischer Friede verstanden werden. Friede im Sinn der Interpretation von Professor Kasper umfaßt alle Bereiche des Seins. Letztlich geht es um das Heilsein und das Wohlsein des ganzen Kosmos. Friede ist nicht etwas, was hinzukommt zum Menschen, bemerkte Prof. Kasper, sondern überhaupt der Sinn der Welt und des

Menschen, die heile Ordnung aller Dinge. Weil der heutige Mensch aus einem umfassenden Sinnentwurf heraus handelt und die Frage nach dem Sinn, nach dem Heilsein der Person und des Kosmos stellt, erfaßt die christliche Verkündigung den Kairos nur dann, wenn sie als Ansatzpunkt für das Heil die Chiffre Friede verwendet. Dabei gilt es, immer zu bedenken, daß christliches Heil im Sinn des „qualifizierten

Sprunges“ den „Friedein unseres Friedens“, „die Versöhnung unserer Versöhnung“ meint.

Aus alf diesen theologischen Überlegungen ergeben sich neue Erkenntnisse für den Heilsdienst der Kirche in der Welt von heute. Heilsdienst verlangt mehr als bloße Seelsorge der Amtspriester zur Sicherstellung, des Privatheíís der Gläubigen oder der Ungläubigen. Es geht um den einen und ganzen Menschen, um die ganze Welt. Der Heilsdienst der Kirche muß als Sorge um das Heilsein und Wohlsein der Welt, als Sorge um den Frieden und die Einheit der Welt verstanden werden. Nach Auffassung von Prof. Kasper ist es an der Zeit, mit der „Verpriva- tisierung“ des Heiles Schluß zu machen. Wo es um den Frieden und die Freiheit geht, darf der Heilsdienst der Kirche nicht abseits stehen, weil die Kirche dem Frieden Gottes in der Welt zu dienen hat.

Nur so können die versöhnenden Kräfte der christlichen Gnade in der Welt wirksam werden. Ist das nicht der Fall, kommt die christliche Botschaft in Verdacht, eine fromme Ideologie zu sein. Ein rechtverstandener christlicher Heilsdienst muß sich einerseits absichern gegen jeden kirchlichen Totalitarismus von rechts und anderseits gegen jeden Integralismus von links. Weil Kirche und Reich Gottes nicht -identisch sind, darf die Kirche die Weltbereiche nicht dirigieren und normieren. Abwegig wäre vor allem ein Denken, das den weltlichen Fortschritt mit dem Wachstum des Reiches Gottes verwechselt. Darum muß zwischen dem Heilsdienst der Kirche und der Weltaufgabe der Christen unterschieden werden.

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