Krise der Institutionen und das Ende der Hierarchien

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"In 'Evangelii gaudium' werden 40 Mal lokale Bischofskonferenzen zitiert. So wird die glorreiche Subsidiarität der katholischen Soziallehre zum Organisationsprinzip."

Eine Wahrheit -überall anerkannt - ist, dass wir nun in einer vernetzten Welt leben, wo jeder und alles miteinander "connected" ist. Die Folge davon ist, dass traditionelle hierarchische Strukturen -nicht nur Staaten, auch Kirchen, Parteien, Unternehmen -in verschiedenen Zuständen der Krise und des Niederganges sind. Disruption, Disintermediation und Dezentralisierung sind "in". Hierarchie wird mit Abschlag gehandelt, wenn nicht verachtet. So der weltbeste Wirtschaftshistoriker, Niall Ferguson, in seinem brandneuen Buch.

Während der vergangenen zwei Jahrzehnte hat sich die Zahl der regelmäßigen Kirchgänger in Österreich von 1,2 Millionen auf 605.000 halbiert. Von den 814 Befragten, die Anfang des Monats zu Fragen der Kirche und des Glaubens gefragt wurden, sind 7 Prozent völlig überzeugt, dass der Papst die richtigen Antworten auf die Fragen unserer Zeit hat, weitere 46 Prozent sehen die päpstlichen Haltungen überwiegend als zeitgemäß an. Aber nur 14 Prozent geben an, dass sich diese Haltungen auch in der österreichischen Kirche bemerkbar machen.(Standard, 24.12.2017)

"Roma locuta" gilt nicht mehr

Der Wiener Pastoraltheologe Paul M. Zulehner schreibt im Kurier (6.1.2018): Roma locuta (Rom hat gesprochen) und damit basta, gilt nicht mehr? Das ändert sich insofern als das, was Rom sagt, von der Peripherie kommen kann. Bisher tanzte alle Welt nach der römischen Pfeife. Jetzt sagt man, Rom geht in die Schule der Regionen, der Kontinente, der Bischofskonferenzen, lernt dort, und sagt dann: Okay, das akzeptieren wir für die Weltkirche oder unterstützen es, zumindest vorerst, regional. Das ist eine Revolution Der Nachteil des Zentralismus war, dass vieles, das sich regional durch das Wirken des Geistes entwickelt hat, nicht in die Politik der Weltkirche einging. Diesen Entwicklungsverlust, diese Stagnation macht Papst Franziskus jetzt wett, indem er sagt: Der Heilige Geist ist nicht nur in Rom. - Der Mentor von Papst Franziskus, Kardinal Martini, hat gesagt, die katholische Kirche sei 300 Jahre hinter der modernen Welt zurück.

Teilweiser Einspruch -Euer Ehren! Als Verhalten der Institution: Ja. In den Inhalten: Nein. Das Dokument "Lumen Gentium" des II. Vatikanums war Avantgarde, auch im Amtsverständnis ("Servus Servorum Dei", Amt als Diakonia =Dienen), 30 Jahre vor den neuen Managementkonzepten. Aber wenn man es genau nimmt, wurde die Kirche nach dem -großartigen - Konzil bei allen neuen Inhalten nie richtig einer Organisationsreform unterzogen. Junger Wein ja, neue Schläuche nein! "Es ist die Pastoralkultur (= Organisationskultur), die mit Papst Franziskus eine neue Grundmelodie bekommen hat", so Zulehner.

"Wir erleben nicht eine Ära des Wandels, sondern einen Wandel der Ära", so Papst Franziskus.

Daher das Ende der Hierarchien (Hierarchie =Heilige Ordnung/Ursprung). Im Buch "Kirchenreform" (Hg. Zulehner) schrieb ich 1998 schon von Invertierten Pyramiden, Abschied des Managers vom Master zum Server und Coach, von Command und Control hin zu Coordinate and Cultivate. Von feudalen Strukturen zu föderalen. Der Chairman von Cisco, John Chambers, gefragt zu 20 Jahren Erfahrung an der Spitze des Unternehmens: Zu Beginn war es "one-to-one"-Management, danach "one-to-many", heute ist es "many-to-many". Von globalen, multinationalen Strukturen hin zu "multilokalen" und transnationalen.

Also Netzwerke. Wie klug ist da Richard Rohrs Ansatz: It is not necessary to be perfect, but to be connected. Auch für kirchliche Pastoral. Die neue Meinungs- und Willensbildung geschieht durch Social Media. Alte Kategorien stimmen nicht mehr: oben-unten, Überordnung-Unterordnung, links-rechts, konservativ-progressiv Wir halten Ursache und Wirkung nicht mehr auseinander.

Das klassische buddhistische Sprichwort: Wenn der Philosoph auf den Mond zeigt, schaut der Dumme auf den Finger. Kapitalismus als Mond, Globalisierung (ja prinzipiell gut) als Finger.

"Revolution" Dezentralisierung

Das Ende der Parteien? Wenn ich mir die Erfolge der sozialen Bewegung En Marche von Macron anschaue, das Movimento 5 Stelle in Italien, den Erfolg der Liste Kurz: Ähnliche Ermüdung gibt es in unserem alten Kontinent (und eigentlich nur da) mit der Kirche. Da brauchen wir auch neue Movimenti.

Die "Revolution" von Papst Franziskus: Dezentralisierung. Die lateinamerikanische Bischofskonferenz (dessen Vorsitzender einst Papst Bergoglio war) wird 2019 eine wohlvorbereitete Empfehlung für verheiratete Priester -Viri Probati nach dem Konzept des emeritierten Bischofs von North Aliwal in Südafrika, Fritz Lobinger, beschließen, und der Papst wird es wohlwollend annehmen, so die Auguren. In "Evangelii gaudium", dem ersten Apostolischen Schreiben von Franziskus, werden 40 Mal lokale Bischofskonferenzen zitiert. So wird die glorreiche Subsidiarität der katholischen Soziallehre zum Organisationsprinzip. Subsidiarität (=Verantwortung so nahe wie möglich bei der Aktion) ist damit auch Vorbedingung für Solidarität, was manche Fantasten bei der Griechenland-Finanzkrise oder der Diskussion um die Mindestsicherung in Österreich auch verstehen sollten. Und sogar manche Sozialethik-Professoren. Also Selbsthilfe zuerst, dann Solidarität.

Diese neuen Konzepte hat auch die Erzdiözese Wien bei ihrer Strukturreform nicht verstanden. Wir Menschen sind durch die Evolution zum Netzwerken angelegt. Wir sind ja soziale Wesen. Doch die Geschichte hat uns gelehrt, Hierarchie der Anarchie vorzuziehen. (Ferguson). Also brauchen wir ein neues Verständnis von Hierarchie: In der Leitung ("Management") ist sie problematisch. Whenever you turn your face to your boss, you turn your ass to the customer, hat schon der berühmte Jack Welch gesagt. In der Führung ("Leadership") ist sie weiterhin essenziell. Leadership is to take people from where they are to where they have not been before. Die Führungsrolle des Papstes ist ja erwünscht, wird auch angenommen.

Purpose -Values -Principles

IBM Indien ist einmal innerhalb von fünf Jahren von 4500 auf 89.000 Mitarbeiter angewachsen. Das lässt sich mit Management-Methoden von Headquarter und strategischer Planung nicht realisieren. Das geht nur, wenn ich das denen selbst überlasse, allerdings unter einem gemeinsamen Konzept von PVP: Purpose (=Raison d'être, Gründungszweck). Für die Kirche heißt das: Erlösung, Gott als dreifaltig Liebender (Amoris Laetitia). Values (gemeinsame Werte, die das Verhalten bestimmen): die Bergpredigt, das Liebesgebot, die zehn Gebote, Barmherzigkeit überbietet und fördert Gerechtigkeit. Principles (Regeln fürs Zusammenleben) gehören schon dezentralisiert: Zulassung zum Amt, Sakramente bei wiederverheirateten Geschiedenen etc. Die Mariatroster Erklärung zur Empfängnisverhütung.

Der Jesuit Antonio Spadaro, mit dem Papst befreundet, auf die Frage, ob der Papst links oder rechts sei: Weder das eine noch das andere. Die Alternative lautet ganz anders: Ist er Ideologe oder ein Hirte? Also: Tun, Sein vor Reden!

Die neue Kirche hat den Menschen im Mittelpunkt. Gott baut seine Kirche, indem er Menschen hinzufügt (Apostelgeschichte 2,47). Aber ohne die richtige Organisation dazu wird es nicht prosperieren. Einer der berühmtesten Managementdenker, Tom Peters: Ja, die Menschen sind wichtig. Das Wichtigste dazu ist die Organisation. Was nützen dir die besten Menschen, "if the blood cannot flow freely". Er nennt es auch institutionelle Arteriosklerose. Organization is Strategy, heißt das Mantra im Business schon seit 1993 (Bob Waterman).

Zurück zum buddhistischen Sprichwort: Der Mond heute ist die Sehnsucht nach Sinn, der Finger die Unzulänglichkeit der Institution!

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