Theologische Fakultät - ©  imago / Olaf Wagner

Nicht domestizierte Irritation - oder: Wozu akademische Theologie?

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Perspektiven der Theologie zwischen akademischem Kapitalismus und einer Kirche im Abstieg.

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Perspektiven der Theologie zwischen akademischem Kapitalismus und einer Kirche im Abstieg.

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Schon seit längerem erfährt die akademische Theologie jene gerechte Erniedrigung, welche die katholische Kirche nunmehr auch als Ganze erleidet. Dieser Erfahrungsvorsprung ist eine große Chance.

Denn er eröffnet die Möglichkeit, wieder zur Avantgarde der Kirche zu werden. Wichtiger noch: Die akademische Theologie wurde durch die aufklärerische Kritik bereits hineingezwungen in jenen Habitus demütigen Selbstbewusstseins, der heute ansteht, wurde also befreit von früherer Erhabenheit und Selbstherrlichkeit. Das hilft zu entdecken, was unter den Gesteinsschichten des akademischen Stolzes, der gelehrten Rechthaberei und feinziselierten Spitzfindigkeit nicht weniger verschüttet wurde wie unter den Petrifizierungen der kirchlichen Pracht und Macht: die Faszination, die subversive Fremdheit und die Schönheit der Botschaft Jesu.

Wir sind auf dem Weg zu einer Theologie, die sich nicht so sehr an der vermeintlichen Selbstverständlichkeit der eigenen Fachtraditionen und Traktate orientiert, sondern an den revolutionär neuen Konstellationen, in denen sie heute betrieben wird. Und die sich fragt, wie sie die Faszination, die subversive Fremdheit und die Schönheit der Botschaft Jesu unter diesen Bedingungen zur Geltung bringen kann. Denn das ist ihre Aufgabe.

Nun ist die christliche Theologie immer schon ein umstrittenes mixtum compositum aus zwei nicht selbstverständlich kompatiblen Elementen: dem wissenschaftlichen Wissen und dem kirchlichen Glauben. Das codiert sich seit dem Aufkommen der Universitäten im Hochmittelalter auch sozial: Die Theologie ist notwendiger Teil des jeweiligen Wissenschaftsbetriebs und seines je aktuellen Vernunftbegriffs und damit Teil der spezifischen Methodiken, Institutionen und habituellen Praktiken der Wissenschaften. Andererseits beansprucht sie, als kirchliches Projekt, eine spezifische Erkenntnisquelle, die Offenbarung, und reklamiert sie als spezifische personale Relevanz, als individuell nachvollzogene und existenzprägende Glaubenswissenschaft. Offenbarung als übernatürliche Erkenntnisquelle.

In ihrer konkreten Gestaltung wie grundsätzlichen Konzeption war diese Situierung der Theologie immer umstritten. Die Spezifika der wissenschaftlichen Theologie haben daher sowohl in ihrem Binnen- wie in ihrem Außenverhältnis eine lange und überaus wechselhafte Geschichte. Etwas vereinfachend gilt, dass in der Spätantike das personale Moment, im Mittelalter das Offenbarungselement, in der Neuzeit aber das kirchliche Element hervortraten, was sich etwa darin zeigt, dass sich letztlich erst im 19. Jahrhundert, der Begriff des Magisteriums auf das hierarchische Lehramt verengte – nicht ohne problematische Folgen.

Die auszeichnenden Spezifika der Theologie wurden in der Perspektive der aufklärerischen Erkenntniskritik nach und nach zu wissenschaftsinternen Stigmata. Aus der Offenbarung als privilegierter, da übernatürlicher Erkenntnisquelle wurde eine defizitäre, da nicht-natürliche Erkenntnisweise, aus der Kirche als legitimierendem Plausibilitätsraum wurde eine wissenschaftsbeschädigende, da wissenschaftsexterne institutionelle Kontrollgröße, aus der Glaubenswissenschaft mit der Person des Wissenschafters als personaler Bezeugungsinstanz wurde ein unzulässig ins Persönlichste eingreifender Kontrollanspruch eines schwer einsehbaren und noch weniger kontrollierbaren forum internum, das daher mit Eiden und Glaubensbekenntnissen umstellt werden musste und bekanntlich bis heute umstellt wird, obwohl dieses Bekenntnisinnerste doch der strikten Religions- und
Gewissensfreiheit überlassen sein müsste.

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