Programmatisch dicht, inhaltlich deutlich

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Manche USA-Besucher schaffen es spielend, in fünf Tagen New York und San Francisco, Las Vegas und den Grand Canyon zu besuchen. Papst Franziskus blieb an der amerikanischen Ostküste. Aber was er dort sagte und tat, war unglaublich vielfältig und hatte es in sich.

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Manche USA-Besucher schaffen es spielend, in fünf Tagen New York und San Francisco, Las Vegas und den Grand Canyon zu besuchen. Papst Franziskus blieb an der amerikanischen Ostküste. Aber was er dort sagte und tat, war unglaublich vielfältig und hatte es in sich.

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Das erste Mal in seinem 79-jährigen Leben ist Papst Franziskus in der vergangenen Woche in die Vereinig ten Staaten von Amerika gekommen. Seine Reise beschränkte sich auf drei große Städte an oder nahe der amerikanischen Atlantikküste: die Hauptstadt Washington, New York und Philadelphia. Im Vorfeld des Papstbesuches wurde diese Reiseroute vom britischen Vatikan-Kenner Robert Mickens als allzu provinziell kritisiert: Sie erlaube dem Papst weder, die Vielfalt Amerikas noch die Vielfalt der katholischen Kirche des Landes zu erleben.

Zweifellos wäre es für ihn selbst und für die US-Kirche mit ihren 68 Millionen Gläubigen bereichernd gewesen, hätte der Papst beispielsweise neben Philadelphia, wo der Anteil der aus Lateinamerika eingewanderten, Spanisch sprechenden Katholiken (Hispanics) lediglich sechs Prozent beträgt, auch San Francisco besucht. Dort sind 70 Prozent der Katholiken Hispanics. An Mickens Kritik ist was dran. Doch stimmt auch, dass das, was dieser Reise an geographischer Weite fehlte, durch programmatische Dichte und inhaltliche Deutlichkeit ausgeglichen wurde. Nach dem Ende des päpstlichen USA-Besuches steht jedenfalls fest: Die Reise des Papstes in "das Land der Freien und die Heimat der Tapferen" - Worte aus der US-Nationalhymne, die Franziskus bei seiner Ansprache vor dem Kongress zitierte -war ein beeindruckendes Unternehmen.

Option für Arme -Ökologisierung

Was zuallererst auffiel, war der schwarze Fiat 500 L mit Vatikan-Wimpel, in dem sich der Papst von der Andrews Air Force Base zur Apostolischen Nuntiatur in Washington bringen ließ. Papst Franziskus bewies damit abermals, dass er einer der nicht gerade zahlreichen höheren Kleriker ist, der die Mahnung der historischen Bischofssynode von 1971 ernst nimmt, kirchliche Amtsträger sollten ihren Besitz und ihren Lebensstil einer genauen Prüfung unterziehen. Franziskus ist ein Papst, der die vorrangige Option der katholischen Soziallehre, für die Armen zu wirken und mit ihnen zu kämpfen, nicht nur lehrt, sondern auch lebt. In Washington aß Franziskus mit obdachlosen Menschen zu Mittag, im New Yorker Stadtteil Harlem unterhielt er sich mit Volksschülerinnen und -schülern aus einkommensschwachen Migrantenfamilien, in Philadelphia traf er sich mit Strafgefangenen und mit Überlebenden klerikaler sexueller Gewalt. Bevor der Papst vor der UN-Generalversammlung eine Ansprache hielt, bedankte er sich bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Weltorganisation. Er vergaß nicht darauf, auch das Reinigungspersonal zu erwähnen.

Vor der UNO Generalversammlung forderte der Papst, sowohl den Raubbau an der Natur als auch die Ausgrenzung von Menschen zu beenden und energische Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen. Aus der Sicht der theologischen Ethik fällt besonders auf, dass der Papst in seiner Rede -wie schon in "Laudato Si'" - die Vernetzung (Retinität) des Menschen mit der übrigen Natur und den Eigenwert jedes Geschöpfes klar und deutlich betonte. Auch wenn der Mensch nach dem Papst über besondere Fähigkeiten verfügt, so "ist er doch zugleich ein Teil dieser Umwelt. Er hat einen Körper, der aus physischen, chemischen und biologischen Elementen gebildet ist, und kann nur überleben und sich entwickeln, wenn die ökologische Umgebung dafür günstig ist. Daher ist jede Schädigung der Umwelt eine Schädigung der Menschheit. Jedes Geschöpf - besonders die Lebewesen -hat einen Eigenwert, einen Wert des Daseins, des Lebens." Mir scheint, dass vielen zu wenig bewusst ist, dass der Papst mit diesen Aussagen einen Bruch mit dem traditionellen christlichen Anthropozentrismus vollzogen hat, der den Daseinszweck von Tieren, Pflanzen und Natur ausschließlich darin sah, dem Menschen zu dienen und zu nützen. Noch das Zweite Vatikanische Konzil stellte fest, dass der Mensch die auf Erden "einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur ist."(Gaudium et spes 24)

Dorothy Day und Thomas Merton

In seiner englischsprachigen Rede vor dem amerikanischen Kongress wies der Papst auf vier Persönlichkeiten der US-Geschichte hin, denen eine Vorbildwirkung in den Krisen der Gegenwart zukomme: Abraham Lincoln, Martin Luther King, Dorothy Day und Thomas Merton. Die ersten beiden sind weitgehend bekannt. Dorothy (nicht Doris!) Day dagegen kaum, eine Konvertitin, Pazifistin und unermüdliche Helferin obdachloser Frauen und Männer, für die ein Seligsprechungsprozess in Rom läuft. Der Bekanntheitsgrad des monastischen Friedensaktivisten und Wegbereiter interreligiöser Gespräche Thomas Merton liegt wohl irgendwo dazwischen. Wenige allerdings wissen, dass die Erwähnung Mertons durch den Papst auch eine eminent innerkirchliche Dimension hatte. Als die US-Bischöfe vor geraumer Zeit die Veröffentlichung eines neuen amerikanischen Katechismus vorbereiteten, bestand der damalige Bischof von Pittsburgh und jetzige Kardinal von Washington, Donald Wuerl, darauf, den darin vorgesehenen Artikel über Thomas Merton zu entfernen. Für den erzkonservativen Wuerl war Merton gegen Ende seines Lebens zu buddhistisch geworden. Der Papst dagegen führte Merton durch die Türen des Kongresses zurück in die erste Reihe US-amerikanischer Katholiken und nationaler amerikanischer Vorbilder.

Auch die US-amerikanischen Ordensfrauen sind für Franziskus nicht zu romkritisch und sozialengagiert, wie ihnen die Glaubenskongregation seit 2008 vorgeworfen und daraufhin entsprechende Untersuchungen angeordnet hatte. Papst Franziskus hat Frieden mit den Ordensfrauen und der die meisten von ihnen repräsentierenden Leadership Conference of Women Religious (LCWR) geschlossen. In der St. Patrick's Kathedrale in New York würdigte Franziskus die Nonnen unter dem Beifall der Anwesenden als starke Frauen und mutige Kämpferinnen an der vordersten Front der Verkündigung des Evangeliums. Er wolle ihnen seine Bewunderung und seinen Dank ausdrücken.

Es gab zwei Gruppen, die - aus sehr unterschiedlichen Gründen freilich - keine Freude mit Papst Franziskus hatten: katholische Rechtskonservative und amerikanische Indianer. Die indigene Bevölkerung protestierte gegen die Heiligsprechung des umstrittenen Franziskanermissionars Junipero Serra und beklagte, dass sie als die ersten Bewohner Amerikas nicht eingeladen waren, ihre Gebete bei der interreligiösen Feier am Ground Zero vorzutragen.

Anfang September dieses Jahres war im US-Musikmagazin Rolling Stone Folgendes zu lesen: "Die improvisierten und radikalen Aktionen des Papstes haben auf eine Art und Weise begeistert, die man bisher nur vom Dalai Lama her kannte." Da ist was dran: Papst Franziskus hat dem Papstamt ein umfassenderes, heitereres, überzeugenderes Image verliehen, den Glanz einer universalen und universal respektierten religiösen Führungsgestalt. Der Papst und der Dalai Lama sind sich - zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung - ähnlicher geworden.

Der Dalai Lama sollte im Oktober in die USA reisen, musste seinen Besuch aber vor kurzem aus Gesundheitsgründen absagen.

Der Autor lehrt Ethik u. christl. Gesellschaftslehre an der Universität Graz. Er war mehrmals Gastprofessor an US-Universitäten

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