"Lieben: das heißt Seele werden wollen in einem andern." Welch schönes Lichtwort des protestantischen Theologen Friedrich Schleiermacher, wunderbar hinein gesagt in den November 2018 und in den anderen schwarzen Monat, von dem wir dieser Tage viel reden, einhergehend mit dem Gefühl, wie schnell Sprache unbrauchbar werden kann. "Nie wieder!" Stimmt dieser Ruf noch oder wandelt sich das Nie in ein Schon? "Schon wieder!" Die Zeitspirale dreht sich in eine allgemeine "Unzurechnungsfähigkeit", einer absoluten Sein-und Sinnkippe entgegen. In die spürbar schwindende Hoffnung und in die durch Abgründe von Geschmacklosigkeiten geschwungenen öffentlichen Reden der Verweigerung jedweder Verantwortung formuliert die Theologie Schleiermachers ein heilsames Postulat für das, was der Religion und über die Grenze der eigenen hinaus bleibt als herrlichster Schatz aller Religionen: den "Sinn und Geschmack fürs Unendliche" zu wecken. "Wachet auf, ruft uns die Stimme " Es gibt diese andere Stimme, die Stimme einer wahren, freien, lebendigen Religion, die wie Jesus der Christus etwas fühlt angesichts von Hetze und Not und die wie dieser menschlichste Mensch das Transzendieren liebt und Gottes Schönheit hofft und sie glaubt für die, die nicht glauben können.
"Die religiösen Gefühle sollen wie eine heilige Musik alles Tun des Menschen begleiten", das ist doch ein einladender Aufruf des Theologen! Wie das Vogelgezwitscher um Jesus herum, sage ich mir: Im Einklang mit Gott als dem Geheimnis der Welt soll die Religion lieben und also Seele werden wollen für all jene, die mit Tränen gesät haben und die Freude ahnen lassen, die sie noch ernten werden; Seele werden auch für jene, die irren. Den Wunsch nach Wahrheit und Gerechtigkeit für alles geliebte, leidende und wartende Leben hoch und heilig halten!
Die Autorin ist Pfarrerin an der Lutherischen Stadtkirche in Wien
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