Rückkehr ins Land, in dem man nicht mehr leben kann

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Hassouna Mosbahi erzählt die Geschichte eines Tunesien, von dem die zufriedenen Pauschaltouristen in ihren Komforthotels nichts mitbekommen.

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Hassouna Mosbahi erzählt die Geschichte eines Tunesien, von dem die zufriedenen Pauschaltouristen in ihren Komforthotels nichts mitbekommen.

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Nach Tunesien kann man fahren. Ein sicheres Land. Kein Vergleich mit Algerien. Keine Gefahr von Islamisten. So die zufriedenen Touristen, vor allem jene, die sich in den Hotels auf der Insel Djerba tummelten. Der Tunesier Hassouni Mosbahi erzählt eine andere Geschichte. 1950 als Sohn einer Beduinenfamilie geboren, kam er nach Studienaufenthalten in Paris, Madrid und London 1985 nach München, wo er als freier Schriftsteller, Literaturkritiker und Journalist lebt.

Sein eben erschienener Roman "Rückkehr nach Tarschisch" beginnt fulminant: "In allem hatte er seine beduinischen Vorfahren verraten - nur nicht in ihrer Liebe zum rastlosen Wandern. Als er ein kleiner Junge war, wies seine Mutter unbestimmt auf die weite Ebene und die nackten Hügel. Dann sagte sie: ,Dort habe ich dich geboren.' Erwartungsvoll schaute er in ihr blasses, schmales Gesicht, auf die hohe Gestalt mit der hellgrünen Milaja, in der sie wie ein Olivenbaum in Zeiten der Dürre aussah. ,Aber wo genau?' fragte er."

Die Mutter erinnert sich nicht und verscheucht das neugierige Kind. Neugier beherrscht ihn, während er den Gespenstergeschichten der Älteren lauscht. In seiner erhitzten Phantasie zieht er hinaus in die Welt: "Ringsum gab es nichts als Steine, Dornen und Trugbilder. Er lief und lief, überstieg Gebirge, durchquerte Wüsten und unwirtliche Wadis, bis er schließlich ins Land der Schrecken und der Ghule gelangte. Dort traf er auf dreiste Räuber, die sogar einem Hund beim Bellen die Zähne stahlen, auf Schlangen, die einen Menschen im Handumdrehen wie eine Fliege verschluckten, sah Krokodile, die ganze Armeen des Sultans vernichteten, und Hexen, die Menschen in Affen oder Feldratten verwandelten."

Da schreibt einer, wie heute in Europa keiner schreibt. Mit 15 Jahren beschließt der Ich-Erzähler, Schriftsteller zu werden, geht in die Hauptstadt, die er konsequent beim alten Namen von Tunis Tarschisch nennt, und schließlich übers Meer, wo ihn ein abenteuerliches Leben von einer europäischen Stadt in die nächste treibt. Bis er erkennt: Es ist Zeit, in die Heimat zurückzukehren, das Heimweh ist zu groß. Wer schreibt heute noch über Heimweh? Sein erster Eindruck in der ersten Nacht in Tarschisch: "So viele Sterne hatte er während seines selbst gewählten Exils in den verhangenen Ländern des Nordens nicht mehr gesehen."

Aber dann nimmt er die Menschen in ihrer immer gleichen Apathie wahr, hört von Freunden, wie erstarrt das Land ist, wie wenig sich die Hoffnungen seiner früheren Mitstudenten erfüllt haben: 1956 hatte Tunesien seine Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich errungen. Der erste Ministerpräsident Habib Bourgiba, geboren 1903, beherrschte Tunesien bis zum unblutigen Staatsstreich vom 7. November 1987.

Die Verheißungen der nationalen Befreiung wurden zur perversen Karikatur entstellt und führten zu einer neuen Form der Unterwerfung unter den von den eigenen Brüdern praktizierten Despotismus.

Dies kommt in Mosbahis Roman zu erschreckendem Leben. Der Ich-Erzähler hatte einen hochbegabten Freund, einen Dichter. Als er ihn nach seiner Rückkehr aufsuchen will, erfährt er, dass dieser sich aufgehängt hat. Man händigt ihm ein Heft aus, das Tagebuch des Freundes, ein beängstigendes Zeugnis der geistigen Stagnation eines Landes, in dem die Islamisten schon in den Startlöchern scharren. "Die Bärtigen" drillen Kinder, schüchtern unabhängig Denkende ein, wollen das Rad der Geschichte zurückdrehen. Und der Staat? Längst haben die aufmüpfigen Studenten von einst ihren Weg in die obersten Etagen der Bürokratie gefunden.

Die Anklage eines Dichters, in eindringlichen Bildern vorgetragen, wird übrigens von arabischen Soziologen und Historikern, von denen auch aus Tunesien viele ins Ausland getrieben wurden, bestätigt. So schreibt etwa die in Paris lebende tunesische Historikerin Hele Beji in "Islam - Demokratie - Moderne" (C. H. Beck, 1998): "Die (sogenannte) ,Identität' trat an die Stelle der Freiheit, die Partei an die Stelle der bürgerlichen Souveränität, die Miliz an die Stelle des Gewissens, der Militarismus an die Stelle des Staatsbürgergeistes, der Staat an die Stelle des Rechts, die Diktatur an die Stelle der Republik."

Ein Buch der Trauer. Der Heimkehrer entschließt sich, seine alte Mutter zu besuchen, die tief im Süden des Landes lebt. Als der Bus auf der Fahrt in die Wüste kurz hält, steigt er aus: ",Aus der Wüste kamst du und in die Wüste kehrst du zurück!' Dann umhüllte ihn die Nacht."

Rückkehr nach Tarschisch. Roman von Hassouna Mosdbahi A1 Verlag, München 2000. 176 Seiten, geb., öS 234,-/e 17,-

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