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WAS IST KONTEMPLATION?

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So viele Christen wissen die herrliche Würde ihrer Berufung zur Heiligkeit gar nicht zu schätzen — ihrer Berufung zur Kenntnis, zur Liebe und zum Dienste Gottes.

So viele Christen geben sich gar keine Rechenschaft darüber, welche Möglichkeiten Gott einem christlich vollkommenen Leben eröffnet hat — welche Möglichkeiten der Freude in Seiner Erkenntnis und Liebe.

So viele Christen haben so gut- wie keine Ahnung von der unerschöpflichen Liebe Gottes zu ihnen, und von der Macht dieser Liebe, ihnen wohlzutun und ihnen Glück zu schenken.

Warum halten wir die Gabe der Kontemplation — der eingegossenen Kontemplation, des mystischen Gebets —für etwas seinem Wesen nach Fremdes und Esoterisches, das einer kleinen Kaste fast unnatürlicher Menschen vorbehalten und allen anderen versagt ist? Vielleicht darum, weil wir nicht mehr wissen, dafj Kontemplation das Werk des Heiligen Geistes ist, der mit Seinen Gaben der Weisheit und des Verstandes besonders eindringlich- auf unsere Seele einwirkt, um unsere Liebe zu Ihm zu vermehren und zu vervollkommnen. Diese. Gaben gehören zur normalen Ausrüstung christlicher Heiligkeit. Sie werden in der Taufe allen verliehen, und wenn sie verliehen werden, dann doch wohl darum, weil Gott wünscht, dafj sie sich entfalten. Ihre Entfallung wird immer ein freies Geschenk Gottes bleiben, und es ist wahr, dafj Sein weise Vorsehung es für richtig hält, sie in manchen Heiligen weniger zu entfalten als in anderen., Aber es ist auch wahr, dafj Gott Seine Gaben off darnach bemifjt, wie sehr wir nach ihnen verlangen, und nach unserer Mitwirkung mit Seiner Gnade, und der Heilige Geist verschwendet Seine Gaben nicht an Leute, die für sie wenig oder kein Interesse zeigen.

Es wäre ganz falsch zu meinen, dafj mystische Kontemplation notwendigerweise ein ganze Litanei unheimlicher Erscheinungen mit sich bringe, wi Ekstasen, Verzückungen, Wundmale und dergleichen. Dies gehören einer ganz anderen Ordnung von Gnaden an. Sie sind „charismatische“ Gaben, gratiae gratis datae, und sie sind nicht in erster Lini dazu bestimmt, ihren Empfänger zu heiligen. Eingegossene Kontemplation dagegen ist in besonders kräftiges Mittel der Heiligung. Sie ist das Werk der Liebe, und nichts,ist wirksamer, unsere Liebe zu Gott zu mehren. Ja, eingegossene Kontemplation ist innig mit reiner und vollkommener Gottesliebe verknüpft, und diese ist Gottes gröfjfes Geschenk, an die Seele. Eingegossen Kontemplation ist eine tiefe und innige Kenntnis Gottes auf Grund einer Liebesvereinigung — einer Vereinigung, in der wir Dinge über Ihn erfahren, welche jene, die ein solches Geschenk nicht empfangen, erst im Himmel entdecken werden.

Wenn also jemand fragen sollte: .Wer darf nach dieser Gabe verlangen und darum beten?“, ist die Antwort selbstverständlich: .Jedermann.“

Es gib! nur' eine Bedingung. Wenn du nach einer innigen Vereinigung mit Qoti verlangst, mu(jt du,bereit sein, den Preis dafür zu entrichten. Der Preis ist bescheiden genug. Es ist eigentlich überhaupt kein Preis; hur uns scheint es einer zu sein. Uns fällt es schwer, unser Verlangen nach Dingen, die uns nie befriedigen können, aufzugeben, um den einen Gott zu erwerben, in dem all unsere Freude ist — und in dem wir überdies alles andere wieder erhalten, worauf wir sonst noch verzichtet haben mögen!

Die Tatsache bleibt bestehen, dafj allen jenen die Gabe der Kontemplation versagt ist, die freiwillig in einem gewissen Abstand von Gott verharren, die ihr inneres Leben auf ein paar gewohnheitsmäfjige Frömmigkeifsübungen, einige äuherliche Akte der Anbetung und aus Pflichtbewußtsein geleisteten Dienst beschränken. Solche Leute meiden die Sünde sorgfältig. Sie achten Gott als ihren Herrn. Aber ihr Herz gahört Ihm nicht. Sie interessieren sich nicht wirklich für Ihn, es sei denn, um sich gegen den Verlust des Himmels und gegen die Hölle zu sichern. In ihrem tatsächlichen Verhalten sind Herz und Sinn ganz ausgefüllt von eigenen Wünschen und Schwierigkeiten, Annehmlichkeiten und Vergnügen und all ihren weiflichen Interessen, Besorgnissen und Aengsten. Gott ist in diesem Bannkreis nur willkommen, um Schwierigkeiten zu glätten und Belohnungen auszuteilen.

Aus „Vom Sinn der Kontemplation“, Verlag „Die Arche“, Zürich.

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