Taufe - © Foto: iStock/choja

Wenn Taufen plötzlich ungültig sind

19451960198020002020

Wer mit „Wir taufen dich“ und nicht „Ich taufe dich“ getauft wurde, dessen Taufe ist ungültig. Dies dekretierte die Glaubenskongregation. Eine Vorgabe mit fragwürdiger Begründung – und absurden Folgen.

19451960198020002020

Wer mit „Wir taufen dich“ und nicht „Ich taufe dich“ getauft wurde, dessen Taufe ist ungültig. Dies dekretierte die Glaubenskongregation. Eine Vorgabe mit fragwürdiger Begründung – und absurden Folgen.

Werbung
Werbung
Werbung

Stellen Sie sich vor, Sie sind seit drei Jahren Priester und erfahren, dass Sie kein Priester sind, weil Sie 30 Jahre zuvor ungültig getauft wurden. Stellen Sie sich vor, Ihre Diözese lässt verlautbaren, dass alle Taufen, die ein bestimmter Diakon zwischen 1986 und 1999 gespendet hat, wahrscheinlich ungültig sind, und bietet an, Ihnen dabei zu helfen, Sakramente nachzuholen.

Zu Beginn der Corona-Pandemie hatte Matthew Hood, Priester der Erzdiözese Detroit, dem genau das zugestoßen ist, von seinem Vater eine Videoaufzeichnung seiner eigenen Taufe erhalten. Dabei fiel ihm auf, dass der taufende Diakon Mark Springer „We baptize you …“ sprach. Father Hood erkundigte sich darauf („about five months ago“ im Video, siehe unten) bei seinen früheren Lehrern am Seminar und bei Kirchenrechtlern der Diözese, die feststellten, dass kein Problem bestehe. Am 6. August 2020 publizierte die Kongregation für die Glaubenslehre ein Responsum, also eine Antwort auf eine Frage, die ihr gestellt wurde, und erklärte, dass und warum mit der Formel „Wir taufen …“ statt des vorgeschriebenen „Ich taufe …“ vollzogene Taufen ungültig sind und dass sie deshalb nachgeholt werden müssen.

Navigator

Liebe Leserin, lieber Leser,

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

Father Hood empfing in den vergangenen Wochen die Sakramente der Initiation (Taufe, Firmung, Eucharistie) und wurde zum Diakon und zum Priester ordiniert. Das Responsum der Glaubenskongregation nennt keinen Kontext, in dem man Taufformeln wie „Im Namen von Papa und Mamma [sic!], des Paten und der Taufpatin … im Namen der Gemeinschaft taufen wir dich …“ befürchtet oder in dem sie vorgekommen sind. Der ehemalige akademische Lehrer von Father Hood, Prof. Dr. Robert Fastiggi, deutete in einem Blog an, dass die Diözese Detroit die Anfrage bei der Glaubenskongregation gestellt haben könnte. Bei dieser Andeutung handelt es sich um eine sehr plausible Insiderinformation.

Thomas von Aquin – selektiv

Die Entscheidung der Glaubenskongregation ist erstaunlich. Das Responsum zitiert Thomas von Aquin als theologische Autorität gegen die Praxis, dass „mehrere zugleich einen taufen“ (Summa Theologica III 67 art. 6 nr. 3). Am 25. Oktober 2001 hatten allerdings mehrere Kongregationen des Vatikans eine Erklärung publiziert und festgestellt, dass ein Hochgebet der Apostolischen Kirche des Ostens (die sogenannte Anaphora von Addai und Mari) zu einer gültigen Konsekration führt, obwohl es die Einsetzungsworte nicht enthält. Damit wurde die Möglichkeit einer Eucharistiegemeinschaft zwischen den Kirchen etabliert. Damals verabschiedete sich die katholische Kirche implizit von Thomas von Aquin, der genau das Gegenteil gelehrt hatte. Das wäre auch jetzt möglich gewesen. Bei Liturgien kommt es eben auf Faktoren des Kontexts und nicht auf die präzise Rezitation einzelner Worte an.

Erst im Frühmittelalter entstanden Vorläuferformeln von ‚Ich taufe dich‘. Sobald die Säuglingstaufe Standard wurde, gewannen im Westen deklarative Formeln an Plausibilität.

Das Responsum erklärt die Notwendigkeit des Singulars „Ich taufe …“ mit der Christusrepräsentanz. Der Taufspender „handelt … amtlich als Präsenzzeichen des in seinem Leibe handelnden Christus, der seine Gnade schenkt …“. Eine kollegiale Spendung mit einem Funktionär oder einer Funktionärin, die nur die Intention einer Gruppe („Wir …“) zusammenfasst, sei ausgeschlossen. Damit wird gelehrt, dass alle Menschen (auch wenn sie keine Männer und keine Christinnen oder Christen sind) in der Taufliturgie Christus repräsentieren können.

Johannes Chrysostomus (gest. 407) erklärt aber in einer ähnlichen Denkfigur, warum gerade nicht „Ich taufe N.“, sondern „N. wird getauft“ zu sagen ist: „Denn nicht der Priester allein berührt den Kopf, sondern auch die Rechte Christi. … und macht dadurch deutlich, dass er nur Diener der Gnade ist und seine Hand leiht, weil er dazu vom Geist eingesetzt ist“ (Taufkatechese 3/2.26 FC 6/2 S. 353). Orthodox getaufte Gläubige, die zur katholischen Kirche konvertieren, werden nicht katholisch getauft, auch wenn die Liturgien ihrer Herkunftskirchen passive Formulierungen verwenden. Die Gültigkeit von deren Taufe steht nicht infrage. Sie werden auch in den katholischen Kirchen östlicher Riten verwendet.

Alle Taufen in der Antike ungültig?

Die altkirchliche Taufpraxis basiert auf dem Glaubensbekenntnis, dem die Menschen, die getauft werden, selbst zustimmen. Sie antworten auf die vom taufenden Amtsträger vorgetragenen Glaubenssätze mit „Ich glaube.“ Erst im Frühmittelalter entstanden über das Glaubensbekenntnis hinaus Vorläuferformeln von „Ich taufe dich“. Sobald die Säuglingstaufe zum Standard wurde, gewannen in den Westkirchen deklarative Formeln an Plausibilität: Aufgrund der hohen Säuglingssterblichkeit hatten kleine Kinder einen ähnlich prekären Status wie todkranke (erwachsene) Taufbewerberinnen und Taufbewerber. Damit lag es nahe, die Kurzform des Tauf-Notfallrituals auf sie anzuwenden und deklarative Formeln einzuführen.

Wenn man die Verwendung der heute gültigen katholischen Taufformel anachronistisch verabsolutieren wollte, wären die Taufen in der Antike nur ungültige Taufversuche gewesen. Nach den in der Praxis der Erzdiözese Detroit aufscheinenden Prinzipien hätte es in der Antike keine gültig ordinierten Amtsträger geben können. Father Hood formulierte das drängende Problem im Hintergrund: „We don’t always feel the effects of the sacraments …“. Das sagt aber nur die halbe Wahrheit. Nach allen Regeln der Kunst kann man die Wirkung eines Sakraments (Vergebung der Sünden, Eingliederung in die Kirche) überhaupt nicht fühlen, schon gar nicht messen. Menschen können sich nach der Feier eines Rituals gut fühlen. Das ist aber keine sakramentale Wirkung des Vollzugs der Sakramente. Man kann auch nicht sagen, dass es nicht gewirkt hat, wenn man sich schlecht fühlt.

Die Erzdiözese Detroit publizierte eine lange Liste von FAQs für Menschen, die sowohl mit Diakon Springer als auch mit Father Hood Sakramente gefeiert hatten. Sie versprach, auch initiativ auf diese Menschen zuzugehen und ihre Fragen im Detail zu bearbeiten. Die Lektüre der FAQs zeigt die große Unsicherheit und Angst, die kirchliche Amtsträger im Umgang mit der Antwort auf die Frage, wie Sakramente wirken, den Mitgliedern der katholischen Kirche aufzuerlegen versuchen. Darin stimmen sie mit dem Responsum aus dem Vatikan überein.

Nach allen Regeln der Kunst kann man die Wirkung eines Sakraments überhaupt nicht fühlen, schon gar nicht messen.

Das Responsum meint, „dass die Kirche im Laufe der Jahrhunderte die Form der Feier der Sakramente sorgfältig überliefert und bewahrt hat, insbesondere jene in der Heiligen Schrift bezeugten Elemente, die es ermöglichen, mit absoluter Klarheit die Handlung Christi im rituellen Handeln der Kirche zu erkennen“. Nun ist die mittelalterliche Taufformel nicht in der Heiligen Schrift erwähnt. Die absolute Klarheit kann durch die Feier eines Rituals ebenfalls nicht erreicht werden. Dort herrschen Anspielungen, grundsätzlich unklare Handlungen und Gesten, Metaphern usw. aus verschiedenen Epochen vor, deren Erklärungeneinander widersprechen oder die heutigen Menschen von sich aus nichts sagen.

Man kann Liturgien im Sinn des Responsums tatsächlich nicht optimieren, weil niemand – auch Diakon Springer nicht – messen, ja nicht einmal plausibel machen kann, dass sie vor oder nach einer Reform besser wirken. Man kann jedoch das, was die kirchliche Tradition nicht als Wirkung betrachten will, verbessern: Textverständnis der Feiernden, musikalischen Gegenwartsgeschmack, theologische und sprachliche Treffsicherheit der Texte usw.

Wenn man befürchtet, durch Änderungen die Wirkungen zu gefährden, darf man keine Änderungen vornehmen. Man kann nicht wissen, ob Änderungen und wenn ja, welche Sorte von Änderungen die Wirkungen gefährden. Die FAQs von Detroitund Father Hood selbst bemerken immer wieder, dass Gott nicht an die Sakramente gebunden sei, sondern auch ohne menschliche Rituale gnadenhaft handeln kann. Sie spielen auf die scholastische Vorstellung vom votum sacramenti an, mit dem Thomas von Aquin oft versucht, Probleme der Wirkung konkreter Handlungen (oder der Tatsache, dass sie nicht durchgeführt werden können) zu lösen.

Wenn man diese theologischen Vorstellungen nur ein wenig ernst nähme, hätte man immer noch das Ändern von liturgischem Text tadeln können. Man hätte aber in Rom nicht gefordert – und es in Detroit nicht unternommen –, alle Taufen von Diakon Springer (und wohl auch anderen) nachzuholen und alle Messen, in denen Father Hood sich zu einer Intention verpflichtet hatte, zu wiederholen. Es bleiben die Ängste.

  • Erstens zeigt sich die römische Angst vor den Vorstehern von Liturgien, die versuchen, Texte an ihre pastorale Situation anzupassen, und damit die Angst vor dem Verlust der formalen Willfährigkeit der Gläubigen;
  • zweitens die allgemeine Angst vor den Fehlern, die Vorsteher von Liturgien machen könnten, und vor deren unklaren Konsequenzen.
  • Drittens bleibt die Angst vor dem menschlichen Kontrollverlust über die Gnade Gottes. Die letztere könnte lehrreich sein.

Der Autor bedankt sich bei Thomas Bremer, Professor für Ökumene an der Uni Münster, und FURCHE-Redakteur Otto Friedrich für Hinweise zu dieser Causa, die wesentlich zum Zustandekommen dieser Analyse beigetragen haben.

Der Autor ist Professor für Liturgiewissenschaft sowie Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster.

Navigator

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 40.000 Artikel aus 20 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 40.000 Artikel aus 20 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung