Wie in der Sowjetunion ...

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... marginalisiere Europas "Säkularismus" die Religion, so der russische Bischof Hilarion Alfejew.

Seit drei Jahren ist Hilarion Alfejew russisch-orthodoxer Bischof von Österreich. Der junge Hierarch, er ist erst 40 Jahre alt, ließ seit seinem Amtsantritt mit Aussagen über die Gefahr eines Säkularismus in Europa aufhorchen und damit, dass es eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Orthodoxen und der katholischen Kirche geben sollte. Eine entsprechende Dialog-Konferenz zwischen dem Päpstlichen Kulturrat und Moskauer Patriarchat, die im Mai dieses Jahres in Wien stattfand, hat er wesentlich mitgestaltet. Hilarion profilierte sich da einmal mehr als Kritiker der europäischen Politik wie als Widerständler gegen einen "theologischen Liberalismus".

Der russisch-orthodoxe Bischof ist "weltweit" gebildet: Er studierte Mitte der 90er Jahre in Oxford, wo er den philosophischen Doktor machte, 1999 folgte das theologische Doktorat in Paris. Von 1997 bis 2002 war er im Außenamt des Moskauer Patriarchats für die Ökumene zuständig. Nach seiner Bischofsweihe 2002 wurde Hilarion für kurze Zeit Vikarbischof in London, dann aber zum Leiter der Ständigen Delegation des Moskauer Patriarchats bei der EU in Brüssel bestellt. Diesen Posten füllt er - neben seiner Wiener Tätigkeit - bis heute aus.

Die Furche besuchte den vielbeschäftigten Kirchenmann in seinem Büro in der russischen Kathedrale im 3. Wiener Gemeindebezirk, um nachzufragen, was es mit der Kritik an dem, was er "Säkularismus" nennt, auf sich hat.

Böse Aufklärung!?

Und Bischof Hilarion findet von Anfang an klare Worte: "Säkularismus ist eine Ideologie, die den modernen europäischen intellektuellen Diskurs beherrscht und von den meisten europäischen Politikern geteilt wird. Diese Ideologie hat ihre Wurzeln in den Theorien der Epoche der Aufklärung, als die Idee von der Trennung von Kirche und Staat aufkam." Der Bischof wendet sich aber gegen diese Trennung mit dem Argument, dass die Religion nicht etwas ausschließlich Privates sein, sondern in der Öffentlichkeit und in der Gesellschaft einen Platz haben müsse: "Jede Religion, insbesondere das Christentum, hat einen missionarischen Auftrag", meint er und spricht von großen Kränkungen, die der Religion von Europas Politikern und Managern angetan würden. Hilarion nennt etwa den Fall der Angestellten von British Airways, die ihr Kreuz nicht mehr öffentlich tragen durfte, weil das Muslime oder Atheisten kränken könnte: "Wenn Religion auf diese Weise behandelt wird, leugnen viele, dass Europa christliche Wurzeln hat." Und das sei eine große Ungerechtigkeit.

Sind aber die Prinzipien der Aufklärung nicht auch von Christen formuliert worden? Hilarion stimmt zu: "Ursprünglich war die Aufklärung von der christlichen Botschaft inspiriert." Aber, wie es mit intellektuellen Theorien oft geschehe, habe sich die Philosophie der Aufklärung von den christlichen Wurzeln entfernt und "ganz auf die Dominanz der menschlichen Vernunft" gesetzt. Eine solche Anthropologie, meint der Bischof, sei von einem christlichen Standpunkt aus "unrealistisch". Denn die Philosophen der Aufklärung hätten die negativen Seiten der menschlichen Persönlichkeit unterschätzt und die Vorstellung von der Sünde ignoriert: "Sie glaubten, das einzige Problem der Menschen sei, dass sie nicht richtig unterwiesen wurden, aber wenn sie lernen würden, was gut ist, dann würden sie nur Gutes tun und nichts Böses."

Die Wirklichkeit, so Hilarion, sei aber komplizierter: "Wir Religiösen anerkennen die Tatsache, dass das Böse in jedem Menschen ist - nicht, dass es ursprünglich von Gott geschaffen wurde, aber dass es nach dem, was wir den ,Sündenfall' nennen, existiert." Unter diesen Bedingungen sei es nicht einfach eine Frage des Lernens, sondern "einer spirituellen Entwicklung und Vervollkommnung, zu der wir die Menschen aufrufen".

Mit solchen Aussagen liegt die Hauptkritik am säkularen Europa auf dem Tisch: Es müsse einen regelmäßigen Dialog zwischen "Politikern und Vertretern der traditionellen Religionen" geben, fordert Hilarion. Der finde zur Zeit aber nicht statt. Jedenfalls nicht auf Augenhöhe. "Traditionelle Religionen" - hier taucht das Stichwort fürs zweite große Thema des Bischofs auf: Er versteht darunter die Katholiken und die Orthodoxen sowie die altorientalischen Kirchen, die einander sehr ähnlich seien und in Fragen der Soziallehre weitgehend übereinstimmen würden: Besonders in Fragen der Bio-und Familienethik gebe es viele Gemeinsamkeiten. Im Übrigen sind für Hilarion hier auch Muslime potenzielle Verbündete, denn viele Menschen in der islamischen Welt hätten "bei Gesellschafts-und Familienfragen auch ein sehr traditionelles Verständnis".

Ökumene der Traditionellen

Dann gebe es, so Bischof Hilarion, eine "zweite Version des Christentums", eine "liberale", dazu zählt er die Protestanten und die Anglikaner "die in jüngerer Zeit bestimmte moderne Trends übernommen" hätten. Mit diesen seien Allianzen schwieriger, weil man etwa in der Frage der Abtreibung oder der Homosexualität kaum zu gemeinsamen Positionen komme. Generell meint er, gehe aber die Hauptgefahr von einem "militanten Säkularismus" aus, der antichristlich sei und "fortwährend das christliche Europa" leugne.

Wie kann man aber damit in einem nichtreligiösen Staat umgehen, der ja Gesetze in Bezug auf für Homosexualität oder Abtreibung hat? "Niemand hat bis jetzt erklärt, warum in der Gesetzgebung eines Landes die atheistische Position dominieren sollte, warum Religion nicht auch die Gesetzgebung beeinflussen sollte", so die Antwort des Bischofs. Die Kirchenleute sollten öffentlich ihre Position vertreten dürfen, auch wenn diese "im Gegensatz zu den Standards, die durch eine säkulare Mentalität definiert werden", stehen. Und das ist zur Zeit nicht der Fall? Laut Hilarion leidet Europa unter der "Ideologie der Political Correctness", die benutzt werde, "um die freie Stimme der religiösen Führer zu unterdrücken". Der Bischof vergleicht diesen Zustand mit der Lage in der Sowjetunion, wo es offiziell Religionsfreiheit gab, aber wer sich öffentlich zur Religion bekannt habe, konnte keine höhere Position erlangen, ja nicht einmal Lehrer werden. Hilarion nennt das Beispiel des italienischen Politikers Rocco Buttiglione, der wegen seiner - privaten - Ansichten, Homosexualität sei eine Sünde, nicht EU-Kommissar geworden sei.

Erstaunte Nachfrage: Die Nichtnominierung Buttigliones sei ver-gleichbar mit der religiösen Unter-drückung in der Sowjetunion? Hilarion präzisiert: "Ich sage nicht, dass das ganz gleich ist." Aber er könne nicht umhin, Ähnlichkeiten zu sehen. Ein weiterer Einwand: Die Geschichte zeigt doch eine Menge von kriegerischen Konflik-ten zwischen Religion und Kon-fessionen - ist der säkulare Staat nicht eine Konsequenz daraus, um Europa zu befrieden? Bischof Hilarion leugnet keineswegs diese geschichtliche Wahrheit, meint aber, dass die Religionen großes Friedenspotenzial hätten. Die Ideologen des Säkularismus würden sie aber ständig als "Quelle des Konflikts" denunzieren. Außerdem seien Religionen historisch als "Banner" für ethnische und politische Konflikte benutzt worden, sie seien nicht der "Hauptgrund für diese Konflikte" gewesen.

Gutes Modell Russland

Dennoch: Muss der Staat heute nicht gerade ein System sein, das keiner Religion verpflichtet ist? Noch einmal benennt Bischof Hilarion auch den Atheismus als "Religion", der nur ein "proportionaler Platz" neben anderen Religionen zustehe: "Wenn etwa in einem Land 50 Prozent katholisch, 25 Prozent Atheisten und 25 Prozent Muslime sind, dann darf der Atheismus nicht das Denksystem sein, das über jeden gestülpt wird", meint Hilarion: "Ich trete für eine multipolare Gesellschaft ein, wo jede Religion ihren Raum in der Öffentlichkeit hat - entsprechend dem Anteil der Bevölkerung, welcher zu dieser Religion gehört."

Wie soll das aber in der Realität funktionieren - 50 Prozent katholische und 25 Prozent muslimische Gesetze usw.? Nein, es gehe nicht so sehr um Gesetze, entgegnet der Bischof - und präsentiert sein Heimatland als gelungenes Modell: "Das moderne Russland ist ein vollkommen säkularer Staat, wo die Kirche vom Staat, aber nicht von der Gesellschaft getrennt ist." Es gebe viele Wege, wie Kirche und Staat zusammenarbeiten und viele Wege, wie die Kirche politische Prozesse und das gesellschaftliche Denken beeinflussen könne, meint Hilarion: "Diese Art Partnerschaft hat sich entwickelt, weil der Staat imstande war, die Rolle der Religion in der Gesellschaft anzuerkennen und einen bestimmten Raum in der Öffentlichkeit für religiöse Führer zur Verfügung zu stellen. Das gilt in Russland nicht nur gegenüber der russisch-orthodoxen Kirche, sondern auch gegenüber dem russischen Islam, dem russischen Judentum und dem Buddhismus."

In dieser Aufzählung, in diesem System fehlt die katholische Kirche. Über diese Tatsache muss man aber auf einer anderen Baustelle - nämlich jener der katholisch-orthodoxen Beziehungen - reden.

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