6786680-1970_16_08.jpg
Digital In Arbeit

Englands Gesundung?

Werbung
Werbung
Werbung

Schatzkanzler Roy Jenkins wird in Kürze seine Strategie für die kommenden zwölf Monate festlegen. Und wie so oft unmittelbar vor der Verkündigung des britischen Budgets, ist die Debatte über die Frage, ob der Verbesserung der wirtschaftlichen Wachstumsrate oder der Zahlungsbilanz Priorität gegeben werden soll, in vollem Gange.

Diesmal jedoch besteht ein bedeut-j samer Unterschied. Experten und Politiker aller Richtungen stimmen darin überein, daß sowohl das Jahr 1970 als auch das Jahr 1971 beträchtliche Außenhandelsüberschüsse bringen werden. Hinter dieser Akzentverschiebung in der Diskussion liegt ein Jahr bemerkenswerter Leistungen.

Gegenwärtig sind die britischen Fertigwaren auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähiger als seit vielen Jahren. Das Ausmaß dieses Vorteils zeigte sich in einer von der OECD aufgestellten Tabelle, in der — in Dollars berechnet — dlie Entwicklung der Lohnkosten je Einheit in der britischen Verarbeitungsindustrie mit der durchschnittlichen Entwicklung bei Großbritanniens Hauptkonkurrenten innerhalb der OECD verglichen wurde, beurteilt nach ihrer mutmaßlichen Bedeutung für den britischen Außenhandel. Zu diesen „Kosten“ gehören nicht nur Löhne und Gehälter, sondern auch Belastungen wie der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung und die Beschäftigungssteuer.

Aus der OECD-Statistik ergibt sich, daß, während Großbritanniens auf dieser Basis errechnete Lohnkosten je Einheit in den vergangenen fünf Jahren um nur ein Prozent jährlich stiegen, die Durchschnittskosten der OECD-Länder um 2,2 Prozent jährlich in die Höhe gingen. Der wichtigste Faktor hierbei war natürlich die Pfundabwertung.

In den letzten Wochen war der Auf-wärtstrend bei den britischen Lohnkosten erheblich stärker als im größeren Teil des vergangenen Jahres. Doch steht Großbritannien hiermit nicht allein da. Die kostenbedingte Inflation ist jetzt in allen großen Industrieländern das Problem Nummer eins geworden. So gibt es, obwohl die britischen Lohnkosten in diesem Jähr vielleicht stärker steigen werden als im vergangenen, keinen Grund zu der Annahme, daß sie die durchschnittliche Erhöhung in der OECD überschreiten werden. Doch während vorerst kaum damit zu rechnen ist, daß die britischen Industriegüter auf dem Weltmarkt durch Lohnerhöhungen an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen, könnten sich solche Erhöhungen indirekt nachteilig auf die britische Zahlungsbilanz auswirken, indem sie die Verbrauchernachfrage nach Importen — oder potentiellen britischen Exporten — steigern. Diese Gefahr sollte nicht überbewertet werden. Die Verbraucherausgaben stehen in einem bestimmten Verhältnis zu den verfügbaren persönlichen Einkommen (Einkommen nach Abzug von Steuern und anderen obligatorischen Abgaben) und dem Prozentsatz der Einkommen, der gespart wird. Wenn die Einkommen stärker steigen als die Preise, besteht die Tendenz, daß verhältnismäßig mehr gespart als ausgegeben wird.

Zusammenfassend kann man also sagen, daß die kostenbedingte Inflation — vorausgesetzt, daß auch die Preise im Ausland steigen — weder direkt noch indirekt ernste Auswirkungen auf die britische Zahlungsbilanz haben wird. Was den indirekten Effekt angeht, hängt natürlich viel vom Zeitfaktor ab. Die britische Regierung vertritt anscheinend den Standpunkt, daß eine gewisse Steigerung der Verbrauchernachfrage eintreten wird, bevor die Preiserhöhungen ihre volle Wirkung erzielen können. Sie hält an ihrer restriktiven Steuer- und Geldpolitik fest.

Die jüngste Senkung des Diskontsatzes ist auf eine rein außenwirtschaftliche Überlegung zurückzuführen — die Anziehungskraft, die hohe Zinssätze auf heißes Auslandsgeld ausüben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung