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Christus in Matzleinsdorf
Der Verfasser dieses Buches ist nicht nur in der Praxis des pastoralen Hausbesuches, sondern auch in der literarischen Verwertung seiner Erfahrungen ein Ausnahmefall. Bereits im Jahre 1946 veröffentlichte er „Hausbesuche eines Seelsorgers“, dann folgte 1960 sein Buch: „Warum kommen Sie, Herr Pfarrer?“, das Friedrich Heer mit der treffenden Überschrift „Christus in Matzlensdorf“ wärmstens empfahl, und 1965 erschien wieder „Der Hausbesuch des Priesters. Notwendigkeit, Formen und Praxis“.
Der Verfasser dieses Buches ist nicht nur in der Praxis des pastoralen Hausbesuches, sondern auch in der literarischen Verwertung seiner Erfahrungen ein Ausnahmefall. Bereits im Jahre 1946 veröffentlichte er „Hausbesuche eines Seelsorgers“, dann folgte 1960 sein Buch: „Warum kommen Sie, Herr Pfarrer?“, das Friedrich Heer mit der treffenden Überschrift „Christus in Matzlensdorf“ wärmstens empfahl, und 1965 erschien wieder „Der Hausbesuch des Priesters. Notwendigkeit, Formen und Praxis“.
Begreiflicherweise finden sich im neuesten Buch ähnliche Erfahrungen und Begegnungen wie in den früheren Veröffentlichungen: Gespräche und Aussprachen mit armen, kranken, alten, verzweifelten und vereinsamten Menschen, mit überzeugten katholischen Intellektuellen, nioht-praktizierenden und indifferenten Katholiken oder mit solchen, die sich immer über den leidlichen Kirchenbeitrag beschweren, mit Protestanten, Orthodoxen und Atheisten. Dennoch spürt man in diesem jüngsten Buch eine neuere Umwelt: die Menschen sind anders, moderner, aufgeschlossener und weniger aggressiv geworden, sie leben in einem gewissen Wohlstand, sie verstehen das Anliegen des Priesters, und von fast allen läßt sich wohl sagen, daß die Religion ihnen noch immer etwas bedeutet beziehungsweise sie beunruhigt und daß sie den Hausbesuch eines Priesters zumindest schätzen und in vielen Fällen dafür dankbar sind. Im Zuge der heutigen soziologischen Umwandlungen hat der Verfasser den Kreis seiner Besuche erweitert. Er suchte den Kontakt nicht nur mit einzelnen Familien, sondern auch mit Fabriken, Betrieben, Jugendgruppen, Fachschülern, Internaten, Geschäftsleuten und Gastwirten, die zwar irgendwo anders wohnen, aber den Großteil ihrer Arbeitszeit in seinem Pfarrgebiet verbringen und daher seine pastorale Aufmerksamkeit und Sorge verdienen.
Kardinal König hat das Buch eingeleitet und ' die Praxis des' Haus-“ besuches als eine der wichtigsten Mittel empfohlen, um die „scheinbar nicht übersteigbare Trennungsmauer zwischen den 20 Prozent der kirchentreuen Gläubigen und den 80 Prozent der Entfremdeten zu überwinden“. Es ist gewiß sehr schwierig, in einer Großpfarre einen systematischen Hausbesuch durchzuführen, aber daß dies möglich und teilweise auch erfolgreich ist, davon legt dieses Buch ein klares Zeugnis ab. Übrigens hat der Verfasser neben dem Wiener Erzbischof noch einen Befürworter dieser Form der seelsorglichen Betreuung gefunden. Der bekannte Pfarrer von Hetzendorf, Dr. Joseph Ernst Mayer, schreibt in einem überaus wertvollen Beitrag zu „Kirche in der Stadt“ (Band II, Seite 205 ff.) mit großer Offenherzigkeit, er habe seit 21 Jahren keine Hausbesuche gemacht: aus Zeitmangel, angeborener Schüchternheit, Scheu und — aus Feigheit. Nach den wiederholten Aufforderungen des Wiener Erzbischofs und nach dem Vortrag eines Hausmissionars habe er sich aber entschlossen, die Hausbesuche in Angriff zu nehmen. Als Ergebnis seiner Erfahrung schreibt er: „Ich bin bei der Durchführung der Hausbesuche zu der Überzeugung des Bischofs bekehrt worden, daß systematische Hausbesuche möglich und notwendig sind. Seit September 1965 gehören sie zu meinem normalen Arbeitsplan.“
Es werden gegenwärtig Versuche unternommen, strukturelle Veränderungen in der Pfarrseelsorge durchzuführen, die nur den Zweck haben können, daß die Kirche den Menschen näher gebracht wird. Die Kirche aber kann kaum sinnfälliger zu den Menschen kommen, als gerade im Hausbesuch des Seelsorgers. Hinzu kommt noch, daß der Hausbesuch als ein besonders geeigneter Ausgangspukt für das wiederentdeckte „pastorale Gespräch“ anzusehen ist. So wichtig die neuen Strukturen und die liturgischer oder sonstigen Erneuerungen auch sein mögen, sie richten sich doch ir erster Linie an die Gemeinde unc nicht an die Einzelmenschen, dener Gespräch das geboten werden kann, was sie brauchen. Wenn es sich als notwendig erweist, die herkömmlichen Methoden der Seelsorge zum Beispiel durch eine kategoriale zu ergänzen, so verdienen doch die Ergebnisse der Pastoralpsychologie deshalb besondere Beachtung, weil sie die individuelle Betreuung der Einzelpersonen ins Blickfeld rücken. Und wo könnte dies besser geschehen als in einer persönlichen Aussprache beim Hausbesuch? Kardinal König schreibt im Vorwort: „Von Hausbesuchen dürfen wir keine Wunder erwarten. Aber wir dürfen auch nicht von vornherein den Mut verlieren und aufgeben.“ Dennoch ist die Versuchung dazu sehr groß, und deshalb wäre an Pfarrer Blieweis nicht so sehr die Tatsache zu bewundern, daß er seine Erfahrungen niedergeschrieben hat, sondern daß er nach mehr als zwanzig Jahren systematischer Hausbesuche diese Form der individuellen pastoralen Betreuung noch immer nicht aufgibt. Trotz mancher Enttäuschung, die auch in diesem Buch ihren Niederschlag findet, bekennt er doch am Ende: „Meine jahrelangen Erlebnisse und Erfahrungen in der Hausseelsorge sind keineswegs so deprimierend und pessimistisch.“ Da man heute mit Recht von der Mündigkeit der Christen spricht, sollte dieses Buch nicht nur von den Priestern gelesen werden, sondern auch die Laien — und gerade sie — müßten es zur Kenntnis nehmen. Sie würden dann erfahren, welche Opfer an Selbstüberwindung der systematische Hausbesuch von den Priestern abverlangt, vor allem aber werden sie und die Priester erkennen, daß die Kirche von heute nicht mehr darauf warten darf, bis die Getauften zu ihr kommen.
EIN PFARRER VOR 1000 TÜREN. Großstadtseelsorge. Von Theodor Blieweis. Verlag Herold, Wien-München 1969, 196 Seiten, S 112.—.
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