Finanzführerschein - © Illustration: iStock/ Denis Novikov (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Finanzführerschein: Wissen statt Schuldencrash

19451960198020002020

Immer mehr Menschen nehmen Schuldnerberatung in Anspruch. Dort bemüht man sich mit Maßnahmen wie dem Finanzführerschein, dass es gar nicht so weit kommen muss.

19451960198020002020

Immer mehr Menschen nehmen Schuldnerberatung in Anspruch. Dort bemüht man sich mit Maßnahmen wie dem Finanzführerschein, dass es gar nicht so weit kommen muss.

Werbung
Werbung
Werbung

E s sind bezeichnende Zahlen: 1.555.000 Menschen in Österreich gelten derzeit als „armutsoder ausgrenzungsgefährdet“. Sie leben in Haushalten mit keiner Erwerbsintensität, einem Einkommen unter der Armutsschwelle oder sind materiell eingeschränkt. Betroffen sind vor allem Jugendliche und ältere Menschen. Kommen noch Schulden dazu, erhöht sich der Druck. Häufig ist auch eine mangelnde Finanzbildung einer der Gründe für den Abrutsch ans Existenzminimum.

Navigator

Liebe Leserin, lieber Leser,

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

Schulden entstehen selten durch plötzliche Teuerungen oder kurzfristig getätigte Ausgaben, sie bauen sich über einen längeren Zeitraum hinweg auf.

Um dem Phänomen entgegenzuwirken, müssen viele Stellschrauben gedreht werden, denn Schulden und Armut können jeden treffen. Das zeigt unter anderen eine Erhebung der Statistik Austria im Auftrag der Arbeiterkammer Wien aus dem Jahr 2022. Dabei wurden die Referenzbudgets der Schuldenberatungen und nicht das Haushaltseinkommen als Maßstab für das Erreichen der Armutsschwelle herangezogen. Bei einem Ein-Personen-Haushalt beträgt der gängige Grenzwert für Armutsgefährdung 1392 Euro. Die Referenzschwelle der Schuldnerberatungen liegt jedoch bei 1593 Euro. Ein Zwei-Personen-Haushalt mit einem Kind muss demnach mit Ausgaben von 2474 Euro rechnen, die Referenzschwelle liegt hier bei 2506 Euro.

Bis das Kartenhaus zusammenfällt

„Die tatsächlichen Lebenskosten liegen weit über dem definierten Grenzwert für eine Armutsgefährdung“, erklärt Clemens Mitterlehner. Er ist Geschäftsführer der ASB Schuldnerberatungen GmbH, der Dachorganisation der staatlich anerkannten Schuldenberatungen in Österreich. Er plädiert dafür, dass die aktuellen Referenzbudgets bei Maßnahmenpaketen gegen die Teuerungen als Maßstab herangezogen werden – und dass das staatliche Existenzminimum erhöht wird.

Das fordert auch Gudrun Steinmann, die Leiterin der Abteilung Finanzbildung im Fonds Soziales Wien. Zur Ursachenbekämpfung brauche es tiefgreifende Maßnahmen. Denn Schulden entstehen ihrer Meinung nach selten durch plötzliche Teuerungen oder kurzfristig getätigte Ausgaben, sie bauen sich über einen längeren Zeitraum hinweg auf. „Die Schicksale, denen wir in der Schuldnerberatung begegnen, sind sehr unterschiedlich“, erzählt sie, „die Konstante ist jedoch eine plötzlich erfolgte Veränderung. Lebensereignisse, die sich nicht planen lassen, die einfach das Leben schreibt.“ Kommt zu einer finanziell ohnehin angespannten Situation noch ein unvorhersehbarer Schicksalsschlag wie der Verlust des Arbeitsplatzes, gefolgt von Einkommenseinbußen, eine gescheiterte Selbstständigkeit, Scheidung mit Unterhaltszahlungen oder eine Erkrankung hinzu, fällt das Kartenhaus in sich zusammen.

Bei älteren Menschen ist meist der Tod des Partners ein Faktor, durch den sie Gefahr laufen, in die Altersarmut zu rutschen. „33 Prozent unserer Kundinnen und Kunden im ersten Halbjahr 2023 waren über 50 Jahre alt“, erklärt Steinmann.

Auf der anderen Seite sind mehr als zehn Prozent der Klienten zwischen 20 und 29 Jahre alt und kämpfen mit Schulden zwischen 10.000 und 50.000 Euro. Die Schuldnerberaterin nennt beispielhaft den Fall einer jungen Frau: An eine gemeinsame Zukunft glaubend übernahm sie kurz nach Beendigung ihrer Ausbildung einen stattlichen Geldbetrag für ihren Partner und zog mit ihm in eine große Wohnung. Kurz danach wurde sie von ihrem Arbeitgeber gekündigt, es folgte die Trennung vom Partner. Nun kann sie mit dem Arbeitslosengeld die Kosten der Wohnung nicht mehr stemmen und sitzt auf dem Schuldenberg fest.

In der Bewältigung der finanziellen Schieflage setze man in allen Fällen auf die Eigenverantwortung der Betroffenen, erklärt Steinmann. Dazu würden in der Beratung Möglichkeiten und Wege aufgezeigt. Die Erstattung der Schulden lasse sich meist auch noch gut regeln; schwierig sei dann aber die Umstellung der Lebensweise, um mit dem geringfügigen Geld auszukommen und keine neuen Schulden anzuhäufen. Um solchen Schwierigkeiten von vorneherein zu vermeiden, soll Finanzbildung Abhilfe schaffen. Die ersten modularen Finanzbildungsprogramme wurden bereits in den 1990er-Jahren ausgearbeitet. 2006 entwickelte die „ifs Schuldenberatung“ im Auftrag der Vorarlberger Landesregierung gemeinsam mit weiteren Partnern den Finanzführerschein. Dieser wird als finanzielle Basis-Bildung verstanden, der Kompetenzen für ein gesundes Geld-Leben vermittelt.

Seit 2008 wird er auch in Oberösterreich angeboten. Im Frühjahr 2020 stieg Wien im Zuge einer Kooperation der Arbeiterkammer mit der Bildungsdirektion ein. Seither wurden mehr als 500 Finanzführerscheine ausgestellt, österreichweit sind es inzwischen mehr als 71.000. Inhaltlich richtet sich das Angebot an Schülerinnen und Schüler ab der neunten Schulstufe. In Polytechnischen Schulen oder Fachschulen wird am Übergang von Ausbildung zu Berufsleben beispielsweise über Verkaufstricks in der Werbung sowie Risiken bei Internetbestellungen informiert. In den weiteren Ausprägungen in höheren Altersstufen, etwa an Berufsschulen oder für junge, arbeitssuchende Erwachsene ab 18 Jahren, geht es dann auch um Nebenkosten von PKW und Wohnung, Versicherungen, Bürgschaft oder Mithaftung.

Ziel des Finanzführerscheins ist unter anderem, dass die Schülerinnen und Schüler Multiplikatoren in ihren Altersgruppen werden. Steinmann verweist auch auf vermeintlich unbedeutende Situationen, etwa jene, in der eine ehemalige Kursteilnehmerin ihren Freund vom Kauf überteuerter Turnschuhe abraten konnte. „Der Gedanke geht auf, die erworbenen Kompetenzen werden im Alltag umgesetzt und weitergetragen“, resümiert die Schuldnerberaterin. Zudem ergibt eine Begleitstudie der Studienrichtung Soziologie an der Universität Wien von Gerald Hutterer positive Ergebnisse. Demnach gehen Besitzerinnen und Besitzer eines Finanzführerscheins bewusster mit ihrem Konsumverhalten um. Die Evaluierung empfahl aber auch, die Referenzthemen für die Schulungen möglichst breit aufzustellen, um so auf die unterschiedlichsten Finanzfallen für junge Menschen hinweisen zu können.

Gegen Vereinsamung

Um derartige Projekte aber langfristig aufrechtzuerhalten, sei die finanzielle Unterstützung der öffentlichen Hand wichtig – auch um zu gewährleisten, dass private Anbieter präventiver Finanzbildung nicht ihre Eigeninteressen in den Vordergrund rücken, meint Steinmann. Deshalb sei es auch wichtig Finanz- und Wirtschaftsbildung generell in die Lehrpläne zu integrieren.

Letztlich führt die Bewältigung von Geldfragen zu einer besseren gesellschaftlichen Teilhabe – das zeigt sich laut Arbeiterkammer derzeit in den Lebensumständen der zahlreichen armutsgefährdeten Menschen in Österreich. Drei von vier Österreicher(inne)n verzichten demnach auf Freizeitaktivitäten, um Kosten zu sparen. Nach den Entbehrungen der Corona-Jahre würden auch in diesem Zusammenhang vor allem junge und ältere Menschen Gefahr laufen, sozial weiter abgeschottet zu werden. Für ältere führe das oft zur Einsamkeit im Lebensabend.

Deshalb verweist Steinmann auf einen Schlüsselanhänger, der in ihren Finanzbildungskursen verteilt wird – eine Ampel mit drei Kugeln, grün, gelb und rot: „So wie im Straßenverkehr sollte man auch seine Finanzen im grünen Bereich halten.“

Navigator

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf mehr als 175.000 Artikel seit 1945 – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf mehr als 175.000 Artikel seit 1945 – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung